Sack Reis:Spätzle und so

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Chinesen sind leise, höflich und zurückhaltend? Ha! Klischees sind am tollsten, wenn sie einem vor der Nase zerplatzen. In Peking wie in Stuttgart. Im Ländle kann es passieren, dass man bei einer Auktion gefragt wird: "Pimmel oder Muschi?" Es geht nicht immer um Autos.

Von Kai Strittmatter

Neulich im Stuttgarter Westen. Die Dame am Einlass: "Pimmel oder Muschi?" Ich: "Hä?"

Okay, mal ohne nachzudenken: Sagen Sie spontan drei Dinge, die Ihnen zu China einfallen. Pandas, Tee, Reis? Gut. Und jetzt drei Dinge, die Ihnen zu Stuttgart einfallen. Daimler, Feinstaub, Maultaschen? Das hier wären die meinen: Spätzle, Kehrwoche, Steffi. Nicht in der Reihenfolge.

Klischees. Mögen Sie nicht? Klischees können etwas Wunderbares sein, gerade für einen Auslandskorrespondenten. Für den sind sie ein Haken, mit dem er den Leser angeln und im Idealfall in unerwartete Gefilde führen kann. Chinesen sind leise, höflich und zurückhaltend? Ha! Chinesen essen jeden Tag Reis? Seit ich in Peking bin, ernähre ich mich praktisch ausschließlich von den besten handgemachten Nudeln der Welt, jedenfalls jenseits des Neckars. Klischees sind am tollsten, wenn sie einem vor der Nase zerplatzen. In Peking wie in Stuttgart.

Seit sie sich grün regieren lassen, sind die Stuttgarter gut im Nicht-Stuttgarter-Überraschen. Trotzdem hatte mich die Dame am Eingang komplett überrumpelt. "Pimmel oder Muschi?" Erst als die Frau neben mir, eine elegant gekleidete Mittsechzigerin, sagte: "Muschi. Pimmel hab ich schon", und ihren Handrücken vorstreckte, um sich den Eintrittsstempel aufdrücken zu lassen, ging mir ein Licht auf. "Ich auch", sagte ich und reichte der Stempelfrau meine Hand. "Dasselbe bitte."

Wir standen vor "Frau Blum", Stuttgarts "Boutique Erotique", und waren auf dem Weg zu einer Auktion. Werke der Textilkünstlerin Justyna Koeke, tentakelwerfende, bonbonbunte, großartige Stoff- und Schaumstoffkreationen (die meisten zum Anziehen), mit denen ich als Kind gerne gespielt hätte. Bloß hätten mich meine Eltern nicht gelassen, nicht mit dem "Kaktuspimmel zum Umhängen" (Nr. 5), nicht mit der "Tittenkette" (15), wahrscheinlich nicht mal mit der "Arschflamme" (45).

Das Schöne waren die Konzentration und der Ernst, mit dem das Publikum zur Sache ging. Da saß nur vereinzelt hippes Künstlervolk. In der Mehrzahl war es gutbürgerliches Normal-Stuttgart, das nun der strengen Auktionatorin lauschte (als Hut trug sie ein pinkfarbenes Gehirn). Andächtig boten sie um "Kopfbedeckung Spaghetti mit Ketchup" (12) und "Ejakulat-Wandskulptur" (48), eine sicherte sich den Vibrator "Dolly" ("Für die Handtasche. Ein Stauversüßerle"). Auch die Nummer 16, "Genitalausschlag-Strumpfhose (mit echtem Dreck)", fand am Ende einen stolzen Käufer. Alles für eine gute Sache: Die Caritas sammelte für ein Projekt, das Prostituierten den Ausstieg erleichtern sollte.

Als wir "Frau Blum" verließen, hatte ich einen ganz frischen Eindruck von Stuttgart gewonnen und zudem das Gefühl, ich müsse mir Deutschland doch mal wieder genauer anschauen.

Wir gingen dann, ungelogen, keine 500 Meter, da stand mutterseelenallein eine mittelalte Hausfrau in geblümelter Schürze und fegte mit einem Reisigbesen und einem Schäufele den Gehsteig. Sie bückte sich sogar, um mit ihrem Besen unter die geparkten Autos zu kommen. Als habe sie das Fremdenverkehrsamt für uns da hingestellt. Ach, sagte meine Stuttgarter Freundin (Steffi), das letzte Mal sei ihr eine begegnet, die sei mit dem Staubsauger auf dem Gehsteig gestanden. Dann gingen wir essen. Zwiebelrostbraten und Spätzle, auf den Händen diverse Geschlechtsteile in blauer Stempelfarbe.

© SZ vom 05.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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