Sack Reis:Peking im Ohr

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Nichts klingt so nach Peking wie ein Pekinger, der den Mund aufmacht. Sie sind schon geborene Mauler, die Pekinger, wie unser Autor täglich erfährt.

Von Kai Strittmatter

Augen zu. Manchmal martert uns Peking, dann bleibt nur das. Wir lauschen. Dem sanften Rauschen des Luftwäschers zu Hause. Dem blechernen Politpop der tanzenden Großmütter im Park. Dem sphärischen Surren des Taubenschwarms über ihnen, der sich den Notenschlüssel mit ein paar Schlenkern selbst an den Himmel malt. Sie tragen Pfeifen aus Ton und Holz, die Pekinger Tauben.

Früher, als ich noch in einem Apartmentblock wohnte, gehörte für mich das zum Klang Pekings: der allmorgendliche Fahnenappell bei der Grundschule nebenan. Der Presslufthammer der Nachbarn. Das Gurgeln der Heizungsrohre, ein Bariton tief aus den Eingeweiden des Heizungskellers. Die elfengleiche Wang Fei. Kann Tag und Nacht, kann richtig und falsch nicht mehr auseinanderhalten / bin komplett betrunken und ziemlich kaputt. Jeder von uns war in Wang Fei verliebt. (Sie noch nicht? Schauen Sie mal Wong Kar-Wais "Chungking Express".)

Heute, in der Gasse, höre ich das: die Stille bei uns im Hof. Die Singvögel des Nachbarn. Das rhythmische Klatschen von Männerhänden auf nackte Bäuche. Den ewigen Gruß: "Schon gegessen?" Vor den Lokalen ein Echo des symphonischen Dreiklangs aus Spucken, Schlürfen, Schmatzen. Meine Fahrradklingel, ein Klang so vielstimmig und satt, als musizierte darin ein kleines Orchester. Den CD-Laden um die Ecke, der eine Lautsprecherbox vor der Türe stehen hat, die uns an jedem Tag, zu jeder Stunde Überraschungen beschert: Annett Louisan. Miles Davis. Gustav Mahler. Tiroler Blasmusik. Aretha Franklin. Wang Fei. Nein, den Schlaf such' ich nicht, aber ach / ich wach' einfach nicht auf.

Nichts aber klingt so nach Peking wie ein Pekinger, der den Mund aufmacht. Sind geborene Mauler, die Pekinger, und haben sich einen Dialekt zugelegt, der ihre Bärbeißigkeit kongenial lautmalerisch umsetzt. Der Pekingdialekt, das ist vertonter Sarkasmus, er zeichnet sich aus durch rindviehartiges Wiederkäuen der einzelnen Silben, dadurch, dass er sie wie Kaugummi hoch und runter über die ganze Tonleiter zu ziehen vermag. Rotzig in der Attitüde, nasal in der Stimme. Der Pekinger erschreckt Südchinesen damit, dass er in der Lautstärke turtelt, die sie sich für handfesten Zoff vorbehalten. Und so hat sein Knarren, Stöhnen und Seufzen oft etwas Sirenenhaftes, manchmal tatsächlich im Homerschen, im betörenden Sinne, aber gerne auch im "Hilfe, hier brennt's, und Herrgott, meine Ohren"-Modus.

Der Pekinger ließe am liebsten alle Wörter in jenem "r" ausrollen, das gar kein "r" ist, sondern in der Sprache der Linguisten ein "r-gefärbter Vokal". So wie das "r" hinten im amerikanischen "car". Er klingt dann wie der Pekinese unten an der Leine, der einen mit schräg angelegtem Kopf misstrauisch fixiert, während sein Knurren wie ein näher kommendes Donnergrollen zum Crescendo anhebt. Die Pekinger sind Meister des missbilligenden Einsilben-Knarzens, das einem durch Mark und Bein geht. Bei den Damen in unserer Gasse hat das bisweilen Ausschläge ins Schrille, in die Kopfstimme hinein. Ein Quietschen, als lasse da einer die alte Zugbrücke beim Palast runter. Pekingoper ohne Instrumentalbegleitung.

Und doch können sie anders. Wang Fei ist Pekingerin, ihre Stimme ist eine Himmelsleiter. Und selbst wenn ich aufwachte / Du wärst nicht hier. Alle waren wir in sie verliebt. Ich glaub', ich bin es noch.

© SZ vom 05.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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