Reportage:Duft des Geldes

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Weil viele Kunden echte Vanille wollen, ist der Preis explodiert. Ein Besuch bei Bauern in Madagaskar, die vom Boom profitieren wollen.

Von Bernd Dörries

Um zum kleinen Feld von Michel zu kommen, steigt man in der Hauptstadt Antananarivo in ein Flugzeug in die Provinz, mietet einen größeren Jeep, der dann etwa sieben Stunden über eine Straße holpert, von der nur noch wenig zu sehen ist, auf der Lastwagen in hüfthohen Schlaglöchern versinken und die von der Financial Times einmal zur gefährlichsten der Welt gekürt wurde. Weil sich die Straße dann im Norden Madagaskars in Luft auflöst, muss ein kleines Boot bestiegen werden, das sich fast eine Stunde durch die Mangroven schlängelt. Es ist eine magische Landschaft, der kleine Strom verläuft fast parallel zur Küste, nur einige Meter entfernt vom Meer. Es wirkt so, als sei die Natur hier gedopt, alles scheint zu bersten vor lauter Wachstum, an den Bäumen hängen riesige Jackfruit, die in etwa aussehen wie zwei Meter große Honigmelonen. Ein Sturm zieht plötzlich auf, peitscht die Wellen des Flusses in das kleine Boot und verschwindet genauso schnell wieder.

Als der Kahn um eine Kurve biegt, öffnen zwei Hände das Schilf und Michel lächelt zur Begrüßung, obwohl er sein Feld ja gerade deshalb hier draußen versteckt hat, damit ihn niemand findet. Er hilft dabei, das Boot durch das Schilf zu ziehen, ein paar Äste werden mit der Machete abgeschlagen, dann geht es an Land und ein paar Meter durchs Gebüsch, bis Michel eine kleine einladende Bewegung macht: Man sieht ein paar grüne Gewächse, die sich an kleinen Bäumchen hinaufranken. Das einzig Auffällige an dieser Pflanze ist, dass ihre großen grünen Blätter einen Stempel tragen, der sich ins Fruchtfleisch gebohrt hat: ANT092 ist auf dem kleinen Feld hundertfach zu lesen. ANT steht für das nahe Dorf und 092 ist die Nummer des Pflanzers Michel. Die kleine Tätowierung wird die Pflanze ihr Leben lang begleiten und soll sie vor Dieben schützen.

"Es ist mein Schatz", sagt der 52-Jährige, der keinen Nachnamen besitzt, dafür aber diese kleine Plantage, deren Ernte ihm etwa 100 Kilogramm Vanille einbringen wird - eine Frucht, die in verarbeiteter Form teurer ist als Silber. Beim Meerbuscher Feinkosthändler Bos kostet ein Kilo bester Vanille aus Madagaskar zurzeit mehr als 1300 Euro. Ein sagenhafter Preis, der das Leben auf der Insel ziemlich durcheinanderbringt.

Madagaskar ist eine andere Welt, aber eine, die durch die Kaufentscheidungen in Europa beeinflusst wird, durch den Griff in die Tiefkühltruhe und ins Gewürzregal. Das Leben von Michel verändert sich in dem Maße, in dem die Verbraucher Eis mit echter Vanille kaufen oder zu Weihnachten mit Vanille-Rezepten backen. Zurzeit sieht es ganz gut aus für ihn. Nicht nur in Deutschland und in den USA ist Vanille nach wie vor die beliebteste Eissorte.

In den Vereinigten Staaten gibt es sogar einen nationalen Vanilleeis-Tag. Im Juli beginnen die Vanille-Bauern in Madagaskar offiziell mit der Ernte, die in diesem Jahr nicht ganz so üppig ausgefallen ist, was aber den Vorteil hat, dass die Preise weiter hoch bleiben. An manchen Abenden rechnet Michel durch, was er mit dem Ertrag machen wird: "Ein neues Haus aus Stein wäre gut", sagt er. Sein altes ist wie so viele nur aus Bambus und hält den Wirbelstürmen nicht stand, die regelmäßig über die Insel ziehen. Der neue Reichtum durch die Vanille, die zur Familie der Orchideen zählt, kam auch wie ein Sturm über die Insel. Keiner hat damit gerechnet. Viele Jahrzehnte lang lag der Weltmarktpreis bei gerade mal 50 Dollar für das Kilo, was bedeutete, dass die Bauern um die fünf Dollar pro Kilo bekamen. Seit 2015 hat sich der Preis verzehnfacht.

Drei Dinge kamen zusammen: Weil der Preis so niedrig war, hatten viele Bauern die Produktion fast eingestellt. Gleichzeitig stieg aber die Nachfrage, weil die Verbraucher auf der ganzen Welt lieber echte Vanille haben wollten als das künstliche Aroma. Es begann mit der Werbekampagne von Häagen-Dazs, einem weltweit vermarkteten Industrieeis, das echtes Aroma versprach.

Auf den Packungen wurde die Vanille-Schote abgedruckt, 2014 startete Häagen-Dazs seine neue internationale Kampagne, "real or nothing". Die Firma warb damit, dass sie echte Vanille verwendet, keine künstlichen Aromastoffe, die etwa auch aus Holzabfällen hergestellt werden können: "Echt oder gar nicht." Und die Kampagne zeigte Wirkung: Als die Stiftung Warentest im Juli 2019 die beliebtesten Sorten testete, stellten die Prüfer fest, dass keine Firma mehr künstliche Ersatzstoffe verwendete und der Anteil der echten Vanille im Eis sich verdoppelt hatte. Echte Vanille statt Ethylvanillin - das passt natürlich auch zum Zeitgeist, zum Boom der Biosupermärkte weit weg von Madagaskar. Die Nachfrage jedenfalls stieg, nur leider hatte ein Zyklon einen großen Teil der Ernte hier vernichtet, was die Preise weiter in die Höhe schnellen ließ. Was die Produzenten ärgerte, schien für die Bauern auf Madagaskar wie ein Lottogewinn zu sein.

Eine Arbeiterin in Madagaskar sortiert die getrocknete Vanille. (Foto: Rijasolo/Riva Press/laif)

Die Insel gehört zu den zehn ärmsten Ländern der Welt, durch den explodierenden Vanillepreis kam plötzlich der Reichtum ins Land. "Viele meiner Nachbarn haben sich Satellitenschüsseln gekauft und neue Matratzen", sagt Michel auf seinem Feld. Zwischenhändler kamen in die entlegenen Dörfer und wedelten mit Geldscheinen, die Frauen hatten Geld für besseren Reis und das Schulgeld der Kinder. Die Männer schauten sich die neuesten Pick-up-Geländewagen beim Autohändler an. Es war wie ein kleines Märchen. Der neue Reichtum weckte aber auch Begehrlichkeiten. "Es wurde viel gestohlen, ich habe meine Plantage im Dorf nicht mehr bewirtschaftet, weil es sich nicht mehr gelohnt hat", sagt Michel.

Ein Solar-Panel auf dem Dach? Das bedeutet Reichtum in Madagaskar

Das Dorf ist letztlich einfach eine Ansammlung von Bambushütten, die auf kleinen Podesten stehen, damit es nicht gleich nass wird, wenn wieder der große Regen kommt. Tagsüber wird es weder richtig hell noch dunkel, die kleinen Häuser stehen unter dichten Baumkronen, die den Himmel verdecken. Es ist ein winziger Ort ohne Zentrum, kleine Wege führen von Hütte zu Hütte, ein paar Hühner gackern umher, aus einer offenen Hütte ist ein Schnarchen zu hören. Auf den meisten Dächern sind neue Solar-Panels installiert, mit denen man die Handys laden kann, die es vorher nicht gab, mit denen man etwas Licht in die Dunkelheit bringen kann. Das bedeutet Reichtum auf Madagaskar.

Alles hat sich verändert mit den steigenden Preisen, sagt Michel. Ein Mann mit feinem Lächeln und groben Händen. Man kann anfangen, von kleinen Dingen zu träumen, die früher unerreichbar waren. Man kann die Kinder in die Schule schicken. Man kann überlegen, einmal in die Hauptstadt zu fahren, wo noch kaum einer je war. Oder einmal auf die andere Seite der Insel. Das Leben ist größer geworden. Aber auch unübersichtlicher.

Viele Bauern ernteten die Vanille immer früher, weit vor der eigentlichen Reife, aus Angst, dass sie sonst von Kriminellen gepflückt wird. Am Ende war kaum einer mehr richtig glücklich in Madagaskar: Viele Bauern lebten in Angst, bis zu 80 Prozent der Ernte verschwanden, es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit kriminellen Banden. Die UN-Menschenrechtsorganisation schätzt, dass zwischen 2016 und 2018 mehr als 150 Menschen auf der Insel durch Selbstjustiz ums Leben gekommen sind. Hunderte Kinder, die beim Klauen erwischt wurden, leben in verliesartigen Gefängnissen.

Die Konzerne in den USA und Europa waren ebenfalls unzufrieden, weil sie immer mehr Geld für Vanille von immer schlechterer Qualität bezahlten, die viel zu früh geerntet und oft dilettantisch verarbeitet wurde. Einfach weiterziehen konnten die Konzerne mit ihren Einkäufern nicht, etwa 80 Prozent der weltweiten Vanilleproduktion kommt aus Madagaskar.

Entdeckt wurde sie von den Maya in Mexico, die damit ihre bitteren Kakaogetränke süßten. Die Spanier brachten die Pflanze nach Europa, die französischen Kolonialisten schließlich nach Madagaskar. Das Klima ist ideal, warm, aber mit regelmäßigen Regenfällen. Zwar wächst Vanille nur in wenigen Regionen der Insel, dort aber so gut, dass die großen Konzerne nicht an Madagaskar vorbeikommen. Ihnen blieb nichts anders übrig, als sich Gedanken darüber zu machen, wie beide Seiten etwas haben vom teuren Rohstoff.

Unternehmen wie der Schokoriese Mars entwickelten mit Nichtregierungsorganisationen Projekte, die der Industrie einen stetigen Nachschub von hoher Qualität und nicht ganz so exorbitanten Preisen garantieren sollen. Und den Bauern ein regelmäßiges Einkommen und Schutz vor Diebstahl. "Unsere Partner wollen Stabilität, wenn der Preis zu hoch ist, steigen viele Produzenten wieder auf künstliche Vanille um. Das wäre schlecht für die Bauern", sagt Bernard Giraud von der Organisation Livelihoods Funds in Paris, die mit Mars, Danone und anderen westlichen Konzernen und lokalen Farmern zusammenarbeitet. Es gebe bei dem Projekt nur Gewinner.

In der Geschichte Afrikas war das bisher eher die Ausnahme. Rohstoffreichtum war für die meisten Staaten eher Fluch als Segen. Die Europäer hatten den Kontinent im 19. Jahrhundert unter sich aufgeteilt, die entstandenen Staaten waren keine Nationen im eigentlichen Sinn; sie wurden abgesteckt wie Claims im Wilden Westen, damit die Kolonialherren ihre Reichtümer nach Europa abtransportieren konnten. Der Kongo lieferte Palmöl, die Goldküste das Gold und Nigeria das Öl. Nach der Unabhängigkeit übernahm oftmals eine lokale Elite die Ausbeutung, zusammen mit internationalen Konzernen, die große Mehrheit der Bevölkerung verharrte in Armut.

In Madagaskar sollen nun möglichst viele vom Vanilleboom profitieren. "Als wir mit unseren Projekten begannen, wurden große Teile der Ernte gestohlen, jetzt sind es nur noch zehn Prozent", sagt Giraud. Seine Organisation hat zusammen mit lokalen Partnern die einzelnen Bauern in verschiedenen Regionen zu Kooperativen organisiert, die sich gegenseitig helfen und ihre Ernte gemeinsam verkaufen.

Die Vanillepflanze braucht viel Aufmerksamkeit, "wie ein kleines Kind"

"Es ist ein Gemeinschaftsgefühl entstanden, das es bisher nicht gab", sagt Michel, der Vorsitzende seiner lokalen Kooperative. "Wir organisieren gemeinsam Patrouillen, wenn wir einen Dieb erwischen, übergeben wir ihn dem lokalen Partner. Die Diebstähle sind zurückgegangen, weil die Kriminellen auf einmal Konsequenzen fürchten müssen. Die größte Veränderung ist aber, dass die Farmer die Vanille mittlerweile selbst weiterverarbeiten, nicht mehr nur die grünen Schoten an den Zwischenhändler verkaufen.

Es wäre die Lösung für das afrikanische Rohstoffdilemma insgesamt. Äthiopischer Kaffee wird bisher meist im Ausland geröstet, nigerianisches Erdöl ebenfalls jenseits der Landesgrenzen raffiniert, dabei machen die Konzerne mit diesem Teil der Wertstoffkette große Gewinne.

Der Farmer Michel geht davon aus, dass er auf seinem Feld etwa 100 Kilogramm grüne Vanille ernten wird, dafür bekäme er 5000 Dollar vom Zwischenhändler. Lässt er seine Ware aber von der Kooperative weiterverarbeiten, bleiben von 100 Kilo zwar nur noch 16 reine Vanilleschoten übrig, für die bekommt er aber etwa 500 Dollar pro Kilo, was 8000 Dollar ergibt, ein satter Gewinnsprung.

Ein paar Kilometer hinter dem Feld von Michel steht ein weißer Kasten auf einer Lichtung in der Landschaft, der aussieht wie ein Flugzeughangar. Zwei Soldaten bewachen das Gelände, ein Sicherheitsbeauftragter verteilt Zugangskarten an langen Bändeln. Drinnen sitzen ein gutes Dutzend Frauen auf dem Betonboden und sortieren die frische Vanille für die Verarbeitung. Sie wird drei Minuten in heißes Wasser gelegt, idealerweise bei 63 Grad, danach werden die Schoten über drei Monate abwechselnd in der Sonne getrocknet und in warmen Decken aufbewahrt. Es ist kein besonders kompliziertes Verfahren, aber eines, bei dem man ein genaues Gefühl braucht für den richtigen Zeitpunkt.

Produktionschef Salava Bosca ist schon seit vielen Jahren im Geschäft, erst bei einem Privatunternehmen, jetzt im Auftrag der Kooperative. "Ich bin hierher gewechselt, weil mein Gehalt zu niedrig war. Hier verdiene ich aber auch zu wenig", sagt Bosca. Die Frauen, die hinter ihm die Ernte sortieren, bekommen gerade mal einen Euro am Tag. Es ist ein Lohn, den die Kooperative festlegt, nicht die Konzerne. Es sei noch Luft nach oben, sagt der Bauer und Vorsitzende der Kooperative Michel. "Vanille ist wie ein kleines Kind, es braucht ständig Aufmerksamkeit", sagt er. Man müsse die Pflanzen täglich besuchen, beschneiden, sie düngen und gießen. Für die Bestäubung gebe es auf der Insel keine Tiere, also muss der Bauer sie selbst machen, und den einen Tag dafür abpassen, an dem die Pflanze bereit ist. Eine Arbeit, die sich nur lohne, wenn der Preis weiter stabil ist.

Zwei Soldaten bewachen die große Halle und den Vanilleschatz, viele Hundert Kilo in Schachteln. Ob sie manchmal auch von der Vanille kosten, fragt man die Arbeiter. Manchmal aromatisiere er seinen Zucker mit dem Gewürz, stecke eine Stange hinein, antwortet einer. Ansonsten sei Vanille einfach viel zu teuer.

© SZ vom 16.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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