Reportage:Da haben wir den Salat

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Der Gastronomie in Deutschland ging es noch nie so gut wie heute, und Spitzenköche werden verehrt wie Popstars. Trotzdem haben Restaurants große Probleme, Lehrlinge zu finden.

Von Verena Mayer und Marten Rolff

Gut, sagt Lorenzo Roig Meine, er habe immer gewusst, worauf er sich einlässt. Roig Meine steht vor dem Restaurant, in dem er das Kochen lernt, und raucht mit hastigen Zügen eine Zigarette. Drinnen warten sie schon auf ihn, der Chef, der Sous-Chef und die vielen Glasteller, auf denen Roig Meine Forellenmousse anrichten soll. Es wird heiß sein, der Sous-Chef wird Dinge wie "Sashimi nach vorne, zack, zack!" oder "Steh nicht rum und guck dem Fisch beim Braten zu!" rufen, und über den Glastellern werden Roig Meines Hände leicht zittern, weil die hauchdünnen Fähnchen aus Frühlingsrollenteig nicht verrutschen dürfen.

Roig Meine schnipst die Zigarette weg, die ihn entspannen soll. Die erste von sehr vielen an diesem Abend. Er ist 19, und er raucht erst, seit er in der Gastronomie arbeitet. Aber wie gesagt, ihm war klar, was sein Traumberuf mit sich bringt. Sein Vater hat als Küchenchef im Hilton gearbeitet, bis er mit Burn-out in die Klinik musste. Die Küche hatte ihn ausgebrannt.

Berlin, Kurfürstendamm. An einer Ecke, an der jedes Haus ein Palais und alles glitzernd und teuer ist, liegt das Restaurant Balthazar. Ein hoher Raum mit Säulen, weißen Flügeltüren und einem langen schwarzen Glastisch. Alles ist für ein zwölfgängiges Menü bereit, für geeiste Papaya-Paprika-Suppe mit Kokosmilch und Thunfisch-Tartar oder für Paillard vom Rinderfilet mit Pfifferlingen, davor war das Balthazar bekannt für italienisch-japanische Fusionsküche. Alles hier ist gediegen, aber auch ambitioniert, ein Ort, wie er nicht typischer für die gehobene Gastronomie in Deutschland sein könnte.

Der ging es noch nie so gut wie heute. Hotels und Gaststätten boomen, diesen Sommer wurden wieder einmal Umsatzrekorde gebrochen. Fast 300 Sterneköche gibt es inzwischen in Deutschland, nur Frankreich hat mehr. Im Fernsehen laufen rund um die Uhr Kochshows, und seit Leute wie Jamie Oliver oder Tim Mälzer Gemüse schnippeln, haben Küchen ein Image wie Internetfirmen oder Model-Agenturen. Als Orte, um groß rauszukommen.

In Berlin und München ist es schwierig, auf dem Land fast unmöglich, Personal zu finden

Das Paradoxe daran: Kaum einer will die Arbeit machen. Gerade hat der Hotel-und Gaststättenverband Dehoga Alarm geschlagen. In keinem anderen Bereich gebe es so viele freie Jobs, sei es so schwer, Leute zu finden. Lehrstellen sind in der Gastronomie überhaupt nur mehr Leerstellen. 40 000 waren im Sommer offen, darauf kamen nicht einmal halb so viele Bewerber. Generell gilt: In großen Städten wie Hamburg, Berlin, München oder Frankfurt ist es mühsam, Personal zu finden, in den kleineren und auf dem Land ist es fast unmöglich. Ganz oben und ganz unten ist alles halb so wild, also in den Sterne-Restaurants und Luxushotels, aber auch in jenen Berliner Kneipen, deren Szenecharme daraus besteht, dass die Bedienung die Schauspielschule besucht und einen bei Beschwerden mit "Ich servier nicht, ich studier" anpampt. In der Mitte, zum Beispiel in den gutbürgerlichen Restaurants, wo es auf das Handwerk ankommt, weiß man inzwischen kaum noch weiter. Den Gastronomen kommt der Nachwuchs abhanden.

Holger Zurbrüggen, dem Besitzer des Balthazar zum Beispiel. Zurbrüggen steht in schwarzer Kochjacke in seinem Restaurant und guckt über die Tafel. Am Tresen werden die letzten Servietten gerollt, eine Kellnerin zupft ihre Uniform zurecht. Es ist später Nachmittag, gleich trudeln die Gäste ein, Paare, eine Reisegruppe, Leute, die einen Geburtstag feiern. Anspannung liegt in der Luft, wie am Theater, kurz bevor die Darsteller auf die Bühne müssen. Zurbrüggen sagt, er habe gerade drei offene Stellen. In Berlin, wo elf Prozent der Bevölkerung arbeitslos ist, ist er damit eine Jobmaschine. Demnächst will er sogar ein zweites Restaurant aufmachen, im Nikolaiviertel im touristischen Herzen Berlins. Doch er findet einfach niemanden.

Die meisten Bewerber sind Portugiesen oder Israelis, die kein Deutsch sprechen

Zurbrüggen, 48, hat auf den Bahamas und in Singapur gearbeitet und viel gesehen. Aber noch nie hatte er so wenige Bewerber wie in diesem Jahr. Gerade mal 15 seit April. Die meisten sind Portugiesen oder Israelis, die in Berlin ihr Glück suchen und kein Deutsch sprechen. Manchem fehlt auch der Biss. Ein junger Mann, der für einen Probearbeitstag blieb, sagte, er könne nicht schon morgens 20 Kilo Fisch filetieren oder Hummer aufbrechen.

Hinten in der Küche steht jetzt der Jungkoch mit gebeugtem Rücken und malt mit Sojasauce Striche auf seine Glasteller. Lorenzo Roig Meine, dunkles Haar, Bärtchen, ist ernst, aber auch offenherzig, man merkt, dass er in der Küchenhierarchie seinen Platz finden will. Unter seinen Kumpels ist er der Einzige, der mit 19 schon etwas auf die Reihe gekriegt hat. Er ist in Berlin aufgewachsen, aber seine Familie stammt aus Mallorca.

Im Balthazar ist Roig Meine damit nicht mal der Exotischste. Ein Koch ist Jurist, der andere hat als Elektroinstallateur gearbeitet. Der Sous-Chef hat in Bayern mit 1,0 Abitur gemacht und Medizin studiert. Doch dann beschloss er, Koch zu werden, weil ihm das Krankenhaus "zu viel Routine war, und im Restaurant gleicht kein Tag dem anderen". Nur die einzige Köchin ist so, wie man sich seit dem bekannten Animationsfilm "Ratatouille" eine Frau in der bis heute von Männern dominierten Restaurantküche vorstellt. Diszipliniert, bestimmt, und wenn die Jungs glauben, Zeit zum Rumalbern zu haben, arbeitet sie weiter an ihrer Suppe. Nur, dass dieser Job im Film so begehrt ist, dass sich sogar eine Ratte Kochbücher anliest, um im Restaurant anfangen zu können.

Davon ist die deutsche Gastronomie weit entfernt. Im ersten Lehrjahr waren sie an der Berufsschule von Lorenzo Roig Meine noch 30 Jugendliche. Zuerst warfen die fünf Mädchen hin, dann die Jungs. Am Ende waren sie zu acht. Die Abbrecherquote im Gastgewerbe liegt durchschnittlich bei 50 Prozent, so hoch wie in keinem anderen Ausbildungsberuf. Er liebe alles an seinem Job, sagt Roig Mein. Das Kochen, vor allem Suppen, "weil sich das am meisten nach Kochen anfühlt", das Team, manchmal geht er mit Kollegen Motorradfahren. Und diesen Moment, "wenn man sich nach der Schicht hinsetzt, etwas trinkt, und alles ist gut gegangen". Er will mal nach Mallorca oder auf ein Kreuzfahrtschiff und spätestens mit 28 Jahren selbst Chef sein. Zukunftssorgen hat er keine. "Essen müssen die Leute ja überall."

Warum wollen dann so wenige einen Beruf lernen, der nicht nur sicher ist, sondern in dem einem auch die ganze Welt offen steht?

"Früher war es toll, wenn es über den Sous-Chef hieß: Der hat einen zum Heulen gebracht."

Frage an einen, der die Branche seit Jahrzehnten kennt. Herbert Beltle, weißhaarig, polternd, Bayer, gehört das Restaurant Aigner am Gendarmenmarkt, beste Hauptstadtlage, George Clooney war auch schon hier. Zu kaum jemandem passt das Wort "Patron" so gut wie zu Beltle. Seit 1973 ist er im Geschäft, schon als Kind hat er im Gasthof seiner Eltern gearbeitet, den ersten freien Tag hatte er während der Kochlehre mit 16. "Ich sage meinen Azubis immer: Der Beruf hat mich reich und erfolgreich gemacht." Er findet, dass es für Lehrlinge derzeit nicht besser sein könnte. Die Küchen sind klimatisiert, es gibt Mindestlohn, der Ton ist anders. Beltle hat noch zu Zeiten gelernt, "als es toll war, wenn es über den Sous-Chef hieß: Der hat wieder einen zum Heulen gebracht". Aber Beltle erzählt auch, dass die Lehre früher etwas war, was sie heute nicht mehr ist: eine Institution, eine Art Familie. Streng, aber man war geborgen. Als ihn damals andere Lehrlinge aufzogen, weil er das Buch "Verdammt in alle Ewigkeit" nicht kannte, ging der Sous-Chef persönlich in einen Buchladen und kaufte es ihm.

Wie viele Gastronomen kritisiert Beltle die Ausbildung. Praxisfern und veraltet sei sie, da würde noch abgefragt, wie man Forelle blau filetiert. Und dann gab es noch den Azubi, der bei seiner Prüfung aus dem Warenkorb Kartoffeln holen sollte. Er fand sie nicht, denn er hatte in seinem Leben noch nie Kartoffeln in der Schale gesehen. In dem Betrieb, in dem er lernte, wurden sie gekocht und geschält aus einer Vakuumverpackung gerissen. Viele Azubis bestehen die Prüfung trotzdem, nach dem Motto: Wenn man den auch noch durchfallen lässt, kommt gar keiner mehr. Wer nichts wird, wird Wirt.

Beltle überlegt, ob man nicht junge Leute auf der Straße anwerben sollte wie die Model-Agenturen. Andere suchen konventionellere Auswege. Christian Ottenbacher zum Beispiel, Chef des Hotels Adler Asperg in Baden-Württemberg. Er ist Vorstand im Verein FHG, einer Art Exzellenz-Initiative für Spitzenpersonal. Wer drei Jahre diese Edel-Ausbildung macht, hat in der Regel Abitur, Fremdsprachen-Kenntnisse und ein zusätzliches Fachgebiet, die Absolventen hängen oft ein Studium oder eine Hotelfachschule im Ausland dran. Um heute noch gute Lehrlinge zu kriegen, müsse man als Ausbilder echte Karrierebegleitung bieten, sagt Ottenbacher. Er sorgt sich, dass die Branche sich in zwei Lager teilt. Den wenigen gut vernetzten Spitzenkräften stehe immer mehr schlecht geschultes Personal gegenüber.

Doch auch bei Ottenbacher, der als Chef eines Luxushotels und eines Gourmetlokals viel zu bieten hat, bricht ein Viertel der Azubis die Ausbildung ab, dieses Jahr war es krankheitsbedingt die Hälfte. Im Hotel Adler haben sie daher vieles neu geregelt. Eine Schicht dauert nur acht Stunden, bei Feiern und Banketten zehn. Abends schickt man die Gäste um 23 Uhr an die Bar, damit das Personal Feierabend hat.

Im Restaurant Balthazar in Berlin wird es Abend, die Frau von Chef Holger Zurbrüggen kommt mit den beiden Kindern vorbei. Zurbrüggen nimmt sein Baby auf den Arm, der kleine Sohn darf in die Küche gucken. Kinder und Karriere lassen sich am besten vereinbaren, wenn man Chef ist. Sonst hat hier kaum einer Familie, und alle müssen damit leben, ihre Freunde so gut wie nie zu sehen.

Hinter der Küchentür: Es ist heiß, es ist laut, alles muss perfekt sein. Aber Lorenzo Roig Meine (Bild rechts, l.) weiß, dass ihm eines Tages die Welt offensteht. (Foto: Hannes Jung)

Jungkoch Lorenzo Roig Meine sagt, dass er gerade Single sei. Aber selbst wenn er eine Freundin hätte, würde er sie wohl selten wach antreffen, wenn er um 23 Uhr von der Arbeit nach Hause kommt. Er hat schon viele Beziehungen scheitern sehen, seit er als Koch arbeitet, erzählt Roig Meine, während er seine fertigen Glasteller zur Durchreiche balanciert und der Sous-Chef gebratenen Saibling darauf drapiert. Er spricht darüber so abgeklärt wie über den Burnout seines Vaters. "Wenn's passiert, passiert's, das gehört dazu."

In der Küche wird es heißer, die Ansagen werden lauter. Der Saucier guckt nicht mehr von seinen Pfannen hoch, in der Spülküche wird ein Geschirrberg nach dem anderen weggeschrubbt. "Zweimal Menü", kommandiert der Sous-Chef und scheucht einen Koch zur Seite, der zu lange vor dem Fisch am Grill gestanden hat. Eine Tüte Erbsen fällt zu Boden, jemand ruft "Fick-Erbsen!" Mal ehrlich, sagt Roig Meine, während er die nächste Reihe Glasteller vor sich hinstellt. "Welcher Jugendliche will heute schon so einen Arbeitsplatz?"

Manche sprechen schon von "Ausbildungsperspektiven für syrische Flüchtlinge"

Der hier ist immerhin schön und hell, mit Tageslicht, das durch schräge Fenster auf Kochstellen, Regale mit Lebensmitteln und ein kleines Büro fällt. Prinzipiell steht aber jeder im Weg, der hier nichts verloren hat. Alle haben ihre festen Abläufe, ihre Bewegungen greifen ineinander wie beim Ballett. Und dann ist da noch dieser schmale Gang zur Küche, durch den die Kellnerinnen laufen. Konzentriert, die Hände voller Teller, man merkt die Anspannung. Doch bevor sie die Schwingtür nach draußen aufstoßen, knipsen sie ihr Lächeln an wie Tänzerinnen vor einem Solo. Viel größer als bei den Köchen ist das Nachwuchsproblem beim Servicepersonal. Hier sind die meisten Stellen offen, und es gibt die wenigsten Leute. Ein Top-Restaurant in Berlin, so heißt es in der Branche, muss für einen guten Maître inzwischen 7500 Euro Monatsgehalt hinlegen. Darunter macht es keiner.

Ändern könne sich das alles nur, wenn der Arbeitsmarkt flexibler wird, glauben Gastronomen. Wenn es für Leute aus dem Ausland einfacher und interessanter wird, in Deutschland zu arbeiten. "Für Polen zum Beispiel", sagt ein Spitzenkoch, "doch die gehen lieber nach England." Andere sprechen schon von "Ausbildungsperspektiven für syrische Flüchtlinge" oder schwärmen von "supermotivierten Afghanen". Die EU hat zuletzt Spanier ermuntert, nach Deutschland zu kommen. In Bayerns Touristenhotels, wo früher Ostdeutsche in die Presche sprangen, liegen nun manchmal Zettel auf den Tischen. Tenor: Wir bitten, die Sprachprobleme im Service zu entschuldigen. Wir helfen gern.

Und da ist noch Phanthipha Nowak. Eine kleine, zarte Frau, das dunkle Haar steckt unter einer Kochmütze. Nowak ist 40, aus Thailand, und sie hat zwei Kinder. Dann hat sie einen deutschen Beamten geheiratet und ist zu ihm nach Berlin gezogen. Weil sie gerne kocht, bewarb sie sich um einen Ausbildungsplatz, im Balthazar hat man sie sofort genommen. Und nun wuselt sie in der Küche hin und her, schleppt Pfannen, schwenkt Pfifferlinge im Wok. Das immerhin ist ein Gutes an der Situation. Sie gibt auch Leuten wie Phanthipha Nowak eine Chance. Nowak sagt, wenn sie ausgelernt hat, will sie ihr eigenes Restaurant haben. In Thailand. Dort sei es einfacher, Personal zu finden.

© SZ vom 05.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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