Parapsychologie:Wenn der Besuch durch die Wand verschwindet

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Wie umgehen mit außergewöhnlichen Erfahrungen, wie sie messbar machen? (Foto: PilzFotografie / photocase.de)

Stimmen dringen aus dem Spucknapf einer Arztpraxis, Möbelstücke bewegen sich wie von selbst: Wer so etwas erlebt, besucht besser eine Tagung für Parapsychologie. Die Experten glauben nicht an Wunderwasser - aber an Psi.

Von Ulrike Nimz

Als der Besucher in der Wand verschwand, saß die Familie beim Frühstück. Er war durch den Flur geschlurft, mit starrem Blick vorbei am Tisch, wo Mutter, Vater und Tochter gerade Brötchen schmierten. Dann schritt er aus dem Zimmer, als sei dort eine Tür. Nur dass da eben keine Tür war. Und Frieden war von da an auch nicht mehr.

Der Besucher war keiner der stillen Sorte. Er machte auf sich aufmerksam, wann immer es ging. Er brüllte den Schlafenden ins Ohr. Batteriebetriebenes Spielzeug erwachte zum Leben. Und manchmal sah es aus, als hätte das Töchterchen einen zweiten Schatten bekommen, als stünde eine große, stämmige Gestalt hinter ihr. "Da ist einer bei mich, Mama", sagte sie dann.

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Wäre dies der Auszug eines Drehbuchs, es würde wohl nicht verfilmt. Geschichten, vor allem Spukgeschichten, brauchen eine Auflösung - diese hat keine. Kein missgünstiger Vormieter, kein indianisches Gräberfeld unter der Garage, keine Psychosen. Nur diese Familie, die seltsame Dinge erlebte und einen Brief schrieb. Der Brief landete in einem Briefkasten in Freiburg im Breisgau. Dort beherbergt eine Gründerzeitvilla Deutschlands einzige Anlaufstelle für Spukgeplagte. Menschen, die Verblichenen begegnen, die Zukunft träumen oder wissen, dass da etwas im Kleiderschrank hockt und nur darauf wartet, dass das Licht ausgeht - who you gonna call?

Walter von Lucadou stützt sich beim Gehen auf einen Stock, unter seinen Füßen wispert das Herbstlaub. Der graue Bart ist akkurat gestutzt, die Brille sitzt auf der Nasenspitze. Deutschlands bekanntester Spukexperte sieht nicht aus wie ein Ghostbuster. Er sieht aus wie ein Bibliothekar.

Es ist acht Uhr morgens, Oberösterreich liegt noch im Nebel. Lucadou leert heute nicht diesen Briefkasten in Freiburg, er geht auch nicht ans Telefon, er wird über das "Skandalon Spuk" sprechen - auf einer Fachtagung für Parapsychologie. Hinter ihm erhebt sich die verzierte Fassade von Schloss Puchberg, einem Prunkbau aus dem 16. Jahrhundert. Drinnen meterhohe Spiegel, viel Blattgold, von der Stuckdecke grienen entblößte Engel herab. Über die Jahre war das Schloss in der Hand von Waffenhändlern und Gummifabrikanten. Inzwischen finden hier Kongresse, Seminare und Konzerte statt. Es ist nicht bekannt, ob sich auf Schloss Puchberg je etwas Sonderbares zugetragen hat. Das letzte Mal, als die Gegend von einem Spuk heimgesucht wurde, war es Norbert Hofer, der in einem Festzelt dröhnte, dass es diesmal schon klappen werde mit dem Amt des Bundespräsidenten und den sicheren Grenzen. Die FPÖ-Hausband sang: "Das Leben ist crazy, la ola ole".

Um Grenzen soll es heute auch gehen, wie crazy das wird, mal sehen. Im Raum steht die Frage: Wie umgehen mit außergewöhnlichen Erfahrungen, wie sie messbar machen? Im Raum sitzt: die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen. Neben Lucadou ist da Peter Mulacz, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Parapsychologie und Grenzwissenschaften. Die gibt es seit 1927. Peter Mulacz gibt es fast genauso lang. Er sieht ein bisschen aus wie ein Wiedergänger von C. G. Jung. Brauner Tweed-Anzug mit Einstecktuch und Uhrenkette. Er beginnt Sätze mit "wissen Sie" und schließt mit "nicht wahr? Die Enden seines Schnurrbarts weisen den Weg zu den Sternen. Da ist der Psychologe Wim Kramer. Anfang der Neunziger hat er eine Privatpraxis betrieben, behandelte Patienten, die nach Spuk- oder Nahtoderfahrungen an sich und der Welt zweifelten. Damals hatten Parapsychologen noch mehr zu tun. Die Neunziger waren ja nicht nur Loveparade, sondern so etwas wie die Blütezeit des Jugendokkultismus. In Kinderzimmern wurden Gläser gerückt und Lehrer verflucht. Im Ländlichen lief der Friedhof der Bushaltestelle den Rang als beliebtester Treffpunkt ab. Die Bravo machte Auflage mit Foto-Lovestorys wie "Im Bann des Teufels". Hauskatzen hießen Mulder und Scully.

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20 Jahre später, im digitalen Zeitalter, erscheint die Welt ziemlich entzaubert, das gilt auch für den Spuk. Nicht Kettenrasseln oder Klopfgeräusche lassen die Menschen heute aus dem Schlaf schrecken, sondern die Windows-Melodie, die aus dem verwaisten Arbeitszimmer herüberweht.

An Geister glaubt auf Schloss Puchberg im Übrigen auch niemand mehr. Die anwesenden Parapsychologen haben Doktortitel in Physik und Psychologie. Sie wollen Schwindler entlarven und das, was übrig bleibt, wissenschaftlich erklären. Sie glauben an Psi. Unter dem 23. Buchstaben des griechischen Alphabets werden all jene Phänomene summiert, die nicht mit physikalischen, biologischen, psychologischen Gesetzmäßigkeiten zu erklären sind. Dazu gehören Dinge wie Psychokinese (das Bewegen von Gegenständen durch Gedankenkraft) oder Präkognition (das Voraussehen zukünftiger Ereignisse). Psi, das ist die Grenze, an der sich die Parawissenschaften von den Naturwissenschaften scheiden. Keine Botschaft aus dem Jenseits, kein Schluckauf Gottes - nur eine Abweichung von der Norm. Eine Anomalie, von der Skeptiker behaupten, dass sie durch Messfehler entstanden ist. Oder Betrug.

Kramer, Mulacz, Lucadou - sie alle haben seltsame Dinge gesehen. Wenn andere die Decke über den Kopf ziehen oder die Koffer packen, halten sie es mit dem verblichenen David Bowie: "Turn and face the strange". Da ist die Wohnung, in der die Bilder an der Wand hin und her pendelten (Magnetfeld). Da ist der Geist, dessen Stimme aus einem Spucknapf in einer Regensburger Zahnarztpraxis drang und Patienten mit allerlei Zoten und Hinweisen auf mangelnde Dentalhygiene bedachte (Schwindel). Und dann ist da das Mädchen, das ein ganzes Besteckset des österreichischen Heeres binnen Sekunden zu einem silbernem Knäul bog. Oder der Gasthof, in dem das Mobiliar zu Bruch ging und Messer durch die Luft flogen - immer dann, wenn der Ehemann der Wirtin nicht zugegen war. Erklärung: Die überforderte Frau selbst habe die Phänomene ausgelöst - um ihren Gatten nach Hause zu holen.

Geht es nach den Experten, dann ist ein Spuk vergleichbar mit dem Geschehen auf einer Theaterbühne: Eine Person in einer seelischen Krise will ihre Umwelt auf ein Problem aufmerksam machen. Sie tut das unbewusst - mit psychokinetischen Fähigkeiten. "Stellen Sie es sich vor wie Bauchweh, das sich außerhalb des Körpers manifestiert", sagt Lucadou. Wohl wissend, dass er den meisten seiner Wissenschaftskollegen mit solchen Ausführungen, nun ja, auf den Geist geht. Denn so ein Spuk lässt sich schwer ins Labor holen. Wie will man seelische Ausnahmezustände reproduzieren? Genauso gut könnte man bei Windstille einen Drachen steigen lassen.

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Natürlich haben es ein paar Unerschrockene trotzdem versucht - Psi sichtbar, messbar, nutzbar zu machen. In den Kellerräumen des altehrwürdigen Princeton College gingen Mitarbeiter jahrelang der Frage nach, ob der Mensch kraft seines Geistes die Prozesse einer Maschine beeinflussen kann. Auch an anderen Universitäten ist endlos auf fallende Würfel gestarrt worden, um statistische Abweichungen mittels Gedankenkraft zu erzeugen. Als RAF-Terroristen 1977 den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer entführten, befragte die Polizei den niederländischen Parapsychologen Gerard Croiset. Nachdem der Hamburger Gemüsehändler Süleyman Taşköprü 2001 durch die Rechtsterroristen des NSU erschossen worden war, nahmen Ermittler die Dienste eines iranischen Geisterbeschwörers in Anspruch. Der Mann beschrieb den Täter als dunkelhäutig.

Wer sich mit Parapsychologie beschäftigt, erfährt weniger über die Existenz von Zwischenwelten als über Zwischenmenschliches. Einer Allensbach-Umfrage zufolge wollen 73 Prozent aller Deutschen schon ein- oder mehrmals im Leben ein "subjektiv paranormales Erlebnis" gehabt haben; jeder Sechste glaubt an Geister.

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Pause auf Puchberg. Es gibt Schnittchen und Zeit, sich auszutauschen. Über die neueste Ouija-App und darüber, dass jetzt, wo nicht nur Bowie, sondern auch Leonard Cohen tot ist, ein heißer Draht ins Jenseits eine prima Sache wäre. Die Tagung richtet sich an Psychologen, Sozialarbeiter, Mediatoren. Sie glauben nicht an Wunderwasser oder die Heilkraft von Rosenquarz, aber alle erinnern sich an diesen Moment, als sie sich nicht mehr sicher waren, womit sie es eigentlich zu tun hatten. Da ist der Gerichtspsychologe, dessen Mandantin davon überzeugt war, ihr indischer Ex-Mann habe ihr einen Dschinn auf den Hals gehetzt. Da ist das Paartherapeutenpaar, das manchmal eben Dinge weiß. Wo er den Autoschlüssel hingelegt hat. Nach welchem Wort sie sucht. Beide sind überzeugt, etwas Besonderes zu sein, und vermutlich sind sie es auch: nach 50 Jahren Ehe.

Und dann ist da noch Andrea Weilguni, weiße Bluse, Schreibblock unter dem Arm. Sie arbeitet als Psychologin in einem Altenheim in Salzburg. An solchen Orten ist der Tod näher als anderswo. Weilguni erzählt von Menschen, die den Krieg erst überlebt, dann verdrängt haben und nun hinter den Gardinen Leichen hängen sehen. Alte Männer, die wimmernd in ihren Betten liegen und im Schützengraben. "Die Gespenster der Vergangenheit sind das eine", sagt Weilguni. Oft aber berichten auch die Angehörigen verstorbener Heimbewohner von sonderbaren Dingen: Schritte, die sich vom Bett des Vaters entfernten, nachdem dessen Brust sich das letzte Mal hob. Ein Traum, in dem die Mutter flüsterte: "Mach's gut." Weilguni erzählt von einem Patienten, dessen Datensatz noch Wochen nach seinem Tod ohne ihr Zutun auf dem Computerbildschirm aufblinkte. "Vielleicht sollten wir uns einfach darauf einlassen, dass da etwas ist?"

Am Ende des Tages ist da nur: Dunkelheit. Im Schlossgarten schwingt trotz Windstille eine Schaukel hin und her. Irgendwo zupft jemand eine Akustikgitarre (Leonard, bist du das?). Und dann denkt man an diese Familie und den Brief, den sie schrieb. Über den Besucher, der durch Wände ging. Nach anfänglichem Schreck hatten Mutter, Vater und Tochter einen Weg gefunden, mit dem Unerklärlichen umzugehen: Sie sagten dem Geist guten Tag und auf Wiedersehen.

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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