Österreich:"Wir sind's gewohnt, verarscht zu werden"

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Das ist die Bühne, auf der das österreichische Wahlergebnis von der Wiener Intelligenzia in diesen Tagen verhandelt wird: Café Korb, 1. Bezirk. (Foto: Konrad Limbeck)

In den morgendlichen Diskussionsrunden der Wiener Kaffeehäuser gibt es derzeit nur ein Thema: Wie hält man die österreichische Politik aus? Na ja, mit viel Boshaftigkeit geht's noch.

Von Peter Münch

Der Herr mit den Hosenträgern hat sich die Zeit mit einem Kreuzworträtsel vertrieben. Die Dame mit den rot gefärbten Haaren und dem Hund hat sich still dazu gesellt. Vom dritten Mann nimmt kaum einer Notiz. Erst als der Vierte, der mit der Wortgewalt, das "Café Vindobona" betritt und sich an den Stammtisch wuchtet, kann das tägliche Schauspiel beginnen.

"Die First Lady ist jetzt arbeitslos", sagt der Vierte zur Eröffnung. Dazu muss man wissen, dass die Gattin des österreichischen Präsidenten bei den Grünen beschäftigt war, die bei der Wahl am vorigen Sonntag aus dem Parlament geflogen sind. Aber das weiß hier jeder. Steht ja in der Kronen Zeitung, und wer die nicht liest, weil im Vindobona auch noch so viele andere Zeitungen und Zeitschriften zur Lektüre ausliegen, der bekommt ihre Schlagzeilen jetzt in der für geboten gehaltenen Lautstärke samt saftiger Kommentare präsentiert.

Wien, Wallensteinplatz, 20. Gemeindebezirk: Die Prachtbauten liegen drüben auf der anderen Seite des Donaukanals, ins Kaffeehaus Vindobona verirren sich keine Touristen und auch kein Bobos. Zur Stammkundschaft zählt die morgendliche Rentnerrunde, die in diesen Tagen über nichts anderes redet als über die Parlamentswahl und die große Politik - außer über Fußball natürlich und über die Deutschen, "die heute noch keine Autos hätten, wenn nicht der Porsche Ferdl ..." Aber das nur am Rande. Zur Politik nimmt die Runde nun die anstehenden Koalitionsverhandlungen vorweg, erklärt, was "die FPÖ will" und die "SPÖ muss". Als es schließlich um die Ohrwaschln von Sebastian Kurz und Niki Lauda geht, empfindet man den Vergleich am Ende doch als sehr ungerecht.

Mit größter Beiläufig- und routinierter Boshaftigkeit wird hier die eigene Weltsicht ausgebreitet, und Franz Joseph Machatschek glaubt, dass er als Zeuge dieser Darbietung "den Kaffee eigentlich umsonst kriegen müsste". Aber weil der im Vindobona eh nur einen Euro kostet, besteht er nicht darauf.

Der Machatschek ist Kabarettist, zu Hause ist er auf Kleinkunstbühnen, und im Vindobona ist er Stammgast. Man kennt ihn nur mit Hut, Sonnenbrille und Bart. So verkörpert er seine Bühnenfigur, den Maurermeister Machatschek aus Simmering, der leider pleite gegangen ist und nun sein Glück als "Liederat" versucht. Die "Liederatur" hat er übrigens selbst erfunden, als Mischung aus schrägen Geschichten und Wiener Liedern. "Gemma Gifter schau'n und Tschuschen hauen" hat er gedichtet und ist dafür schon mit Georg Kreisler verglichen worden.

Zur Tagespolitik hat auch der Machatschek eine klare Meinung: "Wir sind's gewohnt, verarscht zu werden." Der Frage, wie es weitergehen soll im Land, hat er gerade ein politisches Lied gewidmet: "Es herrscht ab jetzt der Pinguin, über Frösterreich und Pinguwien." Und als Alternative zum Hauen und Stechen der Parteien, so sagt er, habe er einen Chor gegründet: "Machatscheks friedlicher Gesangsverein". Jeder aus dem Publikum, der am Ende seiner Vorstellungen mitsingt, wird Mitglied auf Lebenszeit. "Im Chor wird nicht gefragt, ob einer zu den Roten, den Schwarzen oder den Blauen gehört", erklärt er. "Es gibt nur eine Regel: dass man sich nicht gegenseitig in die Goschn hauen darf."

Im Café Korb sitzen auch viele Literaten. Die müssen gerade so einiges aushalten

Luftlinie nur ein paar Kilometer weg, doch Welten entfernt, liegt im schicken 1., dem Innenstadtbezirk, das "Café Korb". Der Preis für einen Kaffee ist um einiges höher, die Debatten sind dafür tiefschürfender, auf jeden Fall ernster. Dieses Kaffeehaus blickt zurück auf eine mehr als hundertjährige Tradition, zur Eröffnung kam Kaiser Franz Joseph persönlich. Heute preist der Reiseführer Lonely Planet den Apfelstrudl in "Sigmund Freud's former hang-out". Hier treffen sich Dichter, Denker und andere Prominente. Hier wird gelesen und geschrieben und über das Gelesene und Geschriebene geredet.

Doron Rabinovici sitzt vor seinem Laptop auf einem der roten Sitzmöbel am Fenster. Der Schriftsteller, dessen neuer Roman "Die Außerirdischen" gerade erschienen ist, wurde vor 55 Jahren in Tel Aviv geboren, mit drei Jahren kam er nach Wien, wo er als intellektuelle Instanz gelten darf und als einer, der sich einmischt. Damals, im Jahr 2000, als eine Regierung aus ÖVP und FPÖ gebildet wurde, da rief er unter dem Motto "Nein zur Koalition mit dem Rassismus" zur Großdemonstration auf. 300 000 Menschen kamen auf den Wiener Heldenplatz. Und heute?

"Wir hatten damals recht", sagt er. "Die Freiheitlichen werden in der Regierung nicht gezähmt. Tatsächlich sind sie radikaler denn je." Auf die Burschenschaftler verweist er, die die Partei übernommen hätten und darauf, dass Österreich in Europa "Avantgarde ist bei dieser rechtsextremen Entwicklung". Dafür, dass sich die Aufregung über 26 Prozent der Wählerstimmen für die FPÖ dennoch im Land eher in Grenzen hält, verweist er zurück auf das Jahr 2000: "Man kann nur einmal einen Tabubruch machen."

Mit Rabinovici könnte man sich gewiss noch lange darüber unterhalten, wo es hingeht mit Österreich nach dieser Wahl. Doch leider ist er gerade sehr beschäftigt mit einem Twittersturm, der sich über ihm zusammengebraut hat. Dort ist er in schlimmster antisemitischer Manier als "Brunnenvergifter Rabinovici" beschimpft worden.

© SZ vom 21.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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