New-York-Kolumne (XLI):"Sie lügen wirklich lächerlich schlecht"

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Unser Kolumnist muss beruflich von New York nach Toronto fliegen. Und steht vor einer resoluten Grenzbeamtin. Die merkt natürlich sofort, dass die Aussage, er wolle in Kanada nur Freunde besuchen, eine Lüge ist.

Von Christian Zaschke

Von Hell's Kitchen nach Kanada ist es nicht weit. Also nahm ich ein Taxi zum Flughafen La Guardia, was keine dreißig Minuten dauert, bestieg dort ein Flugzeug, in dem ungefähr so viel Platz war wie in einer Kernspinröhre, und ein Stündchen später stand ich am Flughafen von Toronto, wo ich auf die Frage der Grenzbeamtin, was ich in Kanada wolle, antwortete: "Ach, ich treffe bloß ein paar Freunde."

Grenzbeamte sind erstaunliche Menschen. Sie haben einen Sinn dafür, ob man die Wahrheit sagt oder nicht. Ich hatte bis dahin keine Freunde in Kanada, was für die Grenzbeamtin offenbar auf den ersten Blick ersichtlich war. Ich habe eine sehr schlaue kanadische Freundin namens L., aber die wohnt in New York, wo sie manchmal tolle Bücher schreibt und manchmal tolle Bilder malt. Vermutlich wusste die Grenzbeamtin auch das.

Die Wahrheit war, dass ich ein bisschen was über die Wahlen in Kanada schreiben wollte und mich zu diesem Zweck mit ein paar Menschen in Toronto und in Ottawa verabredet hatte. Keine Ahnung, warum ich das nicht einfach sagte, vielleicht hatte der Flug in der Winzmaschine nicht nur meinen massigen Körper gestaucht, sondern auch mein in jeder Hinsicht nicht ganz so massiges Hirn.

"Haben diese Freunde Namen?", fragte die Grenzbeamtin.

"Ja, klar", sagte ich.

Ich kramte das Handy aus meiner zu eng sitzenden Tweedjacke, die ich einst in Edinburgh erstand, als mein Körper weniger massig war. Ich öffnete die Mails und las ein paar Namen vor.

"Sie müssen im Handy nachschauen, wie Ihre Freunde heißen?", fragte die Grenzbeamtin.

"Ja, klar", sagte ich.

Okay, zugegeben, so cool war ich nicht. Ich erzählte sofort die ganze Wahrheit. Sollte ich jemals in ein Verhör geraten, in dem ich etwas vertuschen muss, würden mich die Verhörleute nach zehn Sekunden knacken. Ich lüge lächerlich schlecht. Das ist in manchen Situationen von Nachteil, aber in meinem Beruf ist es eigentlich ganz gut.

"Sie lügen wirklich lächerlich schlecht", sagte die Grenzbeamtin lächelnd, "schönen Aufenthalt."

Ich sprach mit dem üblichen Mix aus Politikerinnen, Taxifahrern, Professoren, Strateginnen, Straßenmusikern und Barfrauen. An einem Abend aber hatte ein Freund von L. ein Künstlertreffen organisiert und mich dazu eingeladen, damit ich mehr über Kanada erfahre. Fünf Stunden lang redeten wir über alles. Ich habe die halbe Welt bereist, und noch nie bin ich so aufgenommen worden in einem neuen Land. Tags drauf stand ich am Flughafen in Ottawa. Wenn man von Kanada in die USA fliegt, sitzen die US-Grenzbeamten auf der kanadischen Seite.

"Was haben Sie in Kanada getan?", fragte der Grenzbeamte.

"Ach, ich habe bloß ein paar Freunde getroffen", sagte ich.

Er winkte mich durch.

© SZ vom 26.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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