Mode-Vermarktung im Internet:Gut vernerzt

Lesezeit: 3 min

"Die Mode demokratisiert sich durch das Internet": Junge Designer nutzen das World Wide Web als Plattform. Welche Entwürfe am Ende umgesetzt werden - darüber entscheiden die User.

Hannah Beitzer

Ein Abendkleid, das sich in hellblauen Kaskaden bis auf den Boden ergießt, gleich darunter ein schwarzes Military-Jackett mit dicken Schulterpolstern, gefolgt von einem schokobraunen Hemdkleid mit riesigen Puffärmeln: Das sind die neuesten Modelle aufstrebender Designer auf der Internetseite Garmz.com. Und sie kommen ausnahmsweise nicht aus Paris, London, Mailand oder New York. Sondern aus Minsk, Johannesburg und Wien.

Am Anfang war nur eine Skizze auf einer Internetseite, doch die gefiel so vielen Usern, dass die taillierte Winterjacke mit falschem Fellbesatz in Serie ging. (Foto: Garmz.com)

Den Glamour der großen Modestädte brauchen die Kreativen im Internet nämlich nicht mehr. Ebenso wenig wie die Modeindustrie. Die Jungdesigner stellen ihre Entwürfe einfach selbst ins Netz. Welche davon produziert werden, darüber stimmen dann die Nutzer der Seite ab - ganz demokratisch. Die Betreiber von Garmz.com kümmern sich am Ende um Produktion und Vermarktung.

Eine Internetseite reicht zur Kundenakquise

"Good bye, fashion industry. Good morning, designers", ist deswegen das Motto der aus Wien geschalteten Seite. Mitbetreiber Andreas Klinger beschreibt die Idee hinter dem Unternehmen so: "Viele junge Designer kommen von der Modeschule, haben markttaugliche Entwürfe - aber keine Kundenkontakte und keine Möglichkeit, ihre Modelle zu produzieren."

Die Lösung: Um einen Partner zu gewinnen, muss man nicht unbedingt reiche Investoren von den eigenen Entwürfen überzeugen. Im Prinzip reicht eine Internetseite völlig aus. Das Team bei Garmz.com besteht aus Modedesignern, Wirtschaftswissenschaftlern und Technikern. "Durch die User-Abstimmung sehen wir, welche der hochgeladenen Modelle einen Marktzuspruch haben und überlegen dann gemeinsam mit dem Designer, wie die Modelle realisierbar sind."

Garmz.com ist nur eine von vielen Seiten, die Jungdesigner fördert und User in den Entwurf von Mode einbindet. Ebenfalls aus Wien kommen die Betreiber von Useabrand.com. Hier können kreative Nutzer Modeentwürfe für die neueste gemeinsame Kollektion einreichen und werden, sofern die User sich für ihre Idee entscheiden, am Gewinn beteiligt.

Die US-Seite Fashionstake.com lässt - ähnlich wie Garmz.com - die Nutzer darüber abstimmen, welche Entwürfe junger Designer in die Produktion genommen werden. Die Seite hat bereits 30.000 registrierte User und mehr als hundert Designer. Und auf der Streetware-Site Threadless.com stimmt eine Community von inzwischen mehr als einer Million Nutzern über Design-Entwürfe für T-Shirts, Kapuzenpullis und Kunstdrucke ab.

"Crowdsourcing", also die Auslagerung von unternehmerischer Arbeit an Amateure im Internet, heißt diese Produktionsweise. Sie bringt den Unternehmen, die sonst teures Geld in Trend- und Marktforschung investieren, neue, marktfähige Ideen und den Kreativen eine Plattform, ihre Entwürfe und Produkte zu präsentieren und umzusetzen.

Fashion Week Berlin
:Nicht sehen, nicht sprechen

Was Mohr kann, können wir schon lange, mögen sich die Designer der Fashion Week gedacht haben - und beraubten die Models ihrer Sinne. Eindrücke von der Fashion Week.

Violetta Simon

Auch die großen Modemarken binden ihre Konsumenten längst in den Entstehungsprozess der Kollektion mit ein. Personalisierte Turnschuhe von Nike und Adidas etwa gibt es schon seit Jahren. Die Modemarke Burberry sucht gerade auf artofthetrench.com Lieblings-Trenchcoats und ihre Geschichte - nur zwei von vielen Beispielen einer neuen Kommunikation zwischen Produzent und Kunde.

"Der Einfluss einzelner Designer wird dadurch geringer", sagt Geoff Watts von der Marktforschungsseite Editd.com, "Trends entstehen heute nicht mehr wie früher von oben nach unten, sondern häufig umgekehrt." Der Informatiker Watts hat gemeinsam mit der Modedesignerin Julia Fowler im vergangenen Jahr Editd.com gegründet. Sie analysieren Trends auf Modeschauen, aber auch in sozialen Netzwerken wie Facebook, in Modeblogs, auf Konzerten, Kulturveranstaltungen oder auf der Straße."Die Mode demokratisiert sich durch das Internet", sagt Watts. "Es gibt zwar immer noch Leute, die Trends setzen, aber das System ist transparenter geworden."

Musste man sich früher in der Modeindustrie, in mächtigen Konzernen und großen Modejournalen nach oben arbeiten, genüge heute häufig Talent und vor allem ein gutes Netzwerk, um als Fashion Blogger oder Designer erfolgreich zu sein.

"Im Internet können sich Kreative aus der ganzen Welt treffen, da erschließen sich ganz neue Möglichkeiten, gerade abseits des Massenmarktes", sagt Andreas Klinger von Garmz.com, "im Netz haben auch Nischenmoden eine Chance, auf den Markt zu kommen." Eine Schlüsselrolle schreibt Klinger dabei den Fashion Bloggern zu: "Das ist die bestvernetzte Community weltweit", sagt er, "ein Unternehmen wie unseres wäre ohne die Blogger nicht möglich."

Stretware mit individuellem Einschlag

Garmz.com ging im Sommer 2010 online und hat inzwischen mehr als 8000 User und einige hundert Designer. "Natürlich hat die Demokratie in der Mode bei uns auch ihre Grenzen", schränkt Andreas Klinger ein, "wenn unsere User riesige Diamanten an den Kleidungsstücken wollen, dann geht das allein aus Kostengründen nicht."

Doch meistens interessieren die User sich ohnehin eher für tragbare Mode, eben Streetware mit individuellem Einschlag. Kühne, wagemutige und zuweilen größenwahnsinnige Entwürfe, die die Modewelt erschüttern, sind hingegen nach wie vor eher auf den Laufstegen der Fashion Weeks als auf den Designseiten im Internet zu finden.

Der erste demokratisch gewählte Entwurf auf Garmz.com ist schon produziert: eine schwarze Frauen-Shorts des Labels "W.ink.", umhüllt von transparentem Chiffon, der sich in einer großen Schleife in der Körpermitte bündelt. Das nächste Designerteil kann man auf der Seite schon vorbestellen: einen taillierten braunen Mantel mit falschem Fuchsfellbesatz von "American Duchess". Gerade eben noch rechtzeitig für die letzten Wintermonate.

© SZ vom 05.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: