Medizin und Wahnsinn, Folge 111:Brust zum Anfassen

Lesezeit: 2 min

Im Namen der Aufklärung wird auch in der Medizinwelt viel Unfug getrieben: Ob es der begehbare Darm oder die Brust zum Anknipsen ist - was bringt es dem Laien?

Werner Bartens

Es gibt Bilder aus der Medizin, die kann man auch im neuen Jahr nicht so schnell vergessen. Da ist zum Beispiel der Arzt, ein Experte für die Nebenniere. Als Weihnachtsgruß hat er Plätzchen in Form von Nebennieren gebacken und an Forscherkollegen in aller Welt verschickt.

Das begehbare Darmmodell bietet tiefe Einblicke in den Verdauungstrakt. (Foto: Foto: dpa)

Nun weiß der Laie zumeist nicht, wie eine Nebenniere aussieht. Die Nebenniere gilt als Saarland unter den Organen, auch wenn sie eher dreieckig als saarlandförmig gestaltet ist. Damit wenigstens die Nebennieren-Experten die Nebennieren erkennen und nicht mit Kokosmakronen verwechseln, hat der Arzt einen Schokoklecks in der Mitte der Plätzchen platziert. Er kennzeichnet auf diese Weise die Grenze zwischen Nebennieren-Rinde und -Mark.

Dem backenden Medizinmann möchte man zurufen: Forme doch im neuen Jahr Herzen aus Teig, auch wenn das nicht dein Fachgebiet ist. Immerhin kann man die Plätzchen essen. Anders verhält es sich mit anderen Verunstaltungen aus der Wunderwelt der Medizin.

Zimmerpflanzengroße Sekrettröpfchen

Seit Jahren steht beispielsweise die "begehbare Prostata" auf "Männergesundheitstagen" und ähnlichen Heimsuchungen als Plastikklops herum. Es gibt viele technikbegeisterte Männer. Aber wer von denen möchte schon in einer drei Meter breiten und fünf Meter langen Vorsteherdrüse stehen? Dabei zusehen, wie sich zimmerpflanzengroße Sekrettröpfchen abseilen?

Zudem ist das raumhohe Organmodell in unappetitlich vergilbten Pastelltönen gehalten - fleischfarben eben. Damit Interessierte auch hindurchspazieren können, ist die Plastikdrüse krankhaft vergrößert. Die Medizin versucht wahrscheinlich nach dem mündigen, mittlerweile den "embedded" Patienten zu fördern.

Überlebensgroßes Modell der Gebärmutter

Ein begehbares Darmmodell ist ebenfalls im Angebot. Diesem freiwillig in den Hintern zu kriechen und nur bückend voranzukommen, kann man von vorsorgewilligen Mitbürgern selbst im Dienste der Gesundheit nicht verlangen, auch wenn manchen Menschen diese Form der Fortbewegung bekannt vorkommen mag. Ein überlebensgroßes Plastikmodell der Gebärmutter ist mit Wucherungen und anderen krankhaften Veränderungen verziert. Was soll das bloß?

Früher gab es Ärzte, die noch die hohe Kunst der Moulagen beherrschten und Hauterkrankungen in Wachs lebensecht und lebensgroß nachformten. Das diente zur Ausbildung zukünftiger Mediziner. Was erwachsene Männer davon haben, wenn sie in einer Prostata herumturnen, die eher an einen Heißluftballon als an die Engstelle in ihrem Unterleib erinnert, bleibt hingegen schleierhaft. Hätte man die verdienten ehemaligen Mitarbeiter des Kombinats VEB Plaste und Elaste nicht besser unterbringen können?

Die Brust zum Anknipsen

Besonders grotesk sieht das begehbare Brustmodell aus. Es erinnert von oben eher an eine Jutetasche oder einen Lederrucksack. Die Brustwarze ist so groß und unförmig wie ein Medizinball, wobei Sprachforscher einmal untersuchen sollten, warum ein so faszinierendes Körperteil überhaupt als Warze bezeichnet wird. Innendrin hängen Drüsenläppchen, das Modell kann sogar beleuchtet werden. Will man das? Am besten noch mit einem Orientierungsplan und dem Hinweis: "Sie befinden sich gerade hier"?

Natürlich kann man im Namen der Aufklärung jeden Unsinn und jede ästhetische Entgleisung rechtfertigen. Man sollte sich diese Form der Anschauung vielleicht bei anderen Berufsgruppen vorstellen. Wie wäre es mit einem begehbaren Abflussrohr mit Ablagerungen, Haaren und anderen Körperresten, um die Bevölkerung darüber aufzuklären, wie schädlich es ist, alles in den Ausguss zu kippen? Oder eine mannshohe begehbare Leberkässemmel in jedem Fleischwarenfachgeschäft, wobei der Senf beleuchtet wäre? Die begehbare Leberkässemmel könnte vielleicht mit dem begehbaren Darmmodell kombiniert werden.

© SZ vom 02.01./03.01.2010/dog - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Gesund durch den Winter
:Kiwi gegen Kollaps

Hände waschen, Kiwi essen und viel schlafen - mit ein paar Tricks steigt die Wahrscheinlichkeit, trotz eisiger Kälte gesund durch den Winter zu kommen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: