Medizin und Wahnsinn (129):Dickbauch zum Runterladen

Lesezeit: 2 min

Der zerstreute Mensch der Zukunft: Zeitung und Internet bedrohen unser Gedächtnis. Für die Früherkennung aller anderer Gefahren haben wir das IPhone.

Werner Bartens

"Was passiert mit unseren Gehirnen?", hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrem Feuilleton kürzlich gefragt. Das ist ohne Frage ein wichtiges Thema. In der Tat wurde von der Wissenschaft bisher kaum erforscht, welche Auswirkungen Zeitungskonsum auf Stirnlappen und Stammhirn-Reflexe haben kann, insbesondere bei wenig gefestigten Gemütern. In mehreren Fallberichten haben Hirnforscher zwar schon Wesensveränderungen bei der auf bestimmte Titel konzentrierten Lektüre beschrieben, systematisch untersucht wurden die Folgen bisher aber noch nicht. Hochachtung also vor den Frankfurter Kollegen.

Durch Zeitungs- und Internetkonsum zerlöchert der Mensch tagtäglich sein Gedächtnis. Die Folge: "Der Stirnlappen verkommt zum Jammerlappen". (Foto: Foto: dpa)

Aber wir gehen ruhig noch einen Schritt weiter. Man kann den Text nicht nur als Warnung vor der Lektüre der eigenen Zeitung verstehen. Schlimmer sind womöglich die Folgen, wenn regelmäßig das Internet benutzt wird. Wobei unklar bleibt, ob sich der Alarmruf auf fragwürdige Angebote im Netz bezieht, oder auf das World Wide Web allgemein. Ein wichtiges Thema, dieses Internet, dem man gerade im Feuilleton mehr Aufmerksamkeit wünscht. Wenn wir uns den Artikel richtig gemerkt haben, drohen bei wiederholtem Surfen im Netz nach kurzer Zeit Gedächtnislücken und Konzentrationsmängel. Die Menschen sind fortan leicht abzulenken, zerstreut und kognitiv recht unstete Gesellen. Statt ihre emotionalen Zentren in geordneten Bahnen anzusteuern, droht das Chaos der Gefühle. Und der Stirnlappen verkommt zum Jammerlappen.

Diese Entwicklung ist schwerlich aufzuhalten, im Gegenteil, es drohen immer neue Gefahren. Die kalifornische Edelmarke Apple bringt nämlich pünktlich zum Beginn der Badesaison eine neue Applikation für das iPhone auf den Markt - zum Thema Hautkrebs. Auf dem Display des Handys erscheinen verschiedene Leberflecke, die bereits bösartig entartet sind oder auf dem besten Wege dahin durcheinander zu wuchern. Man kann die Ansicht mit der typischen Gynäkologen-Bewegung der Finger vergrößern, so dass die Flecken aussehen, als hätten sie die Ausmaße einer Kartoffel oder Wassermelone. Sieht man die Melanome in der Großaufnahme, sind sie unregelmäßig verfärbt, ihr Rand ist unscharf begrenzt, manche wirken erhaben, andere wiederum bluten. Alle diese Veränderungen können auf Hautkrebs hinweisen.

Man hat sich daran gewöhnt, den Lieblingskollegen als Multitasking-Wrack vorzufinden. Er surft im Netz, telefoniert gestenreich, macht sich Notizen und erzählt nebenbei in Wortfetzen von seinen Plänen für das Wochenende. Er kann sich nichts merken, wirkt zerfahren und dabei ebenso überinformiert wie unglücklich.

Demnächst werden wir auch eine soziale Umwälzung am Badesee erleben. Der junge Liebhaber richtet nicht mehr wechselweise seine Augen auf die Segel in der Ferne oder das Dekolleté seiner Liebsten, sondern verengt sein Blickfeld. In Naheinstellung mustert er die extrem gerötete Haut der Angebeteten in Planquadraten, um Unebenheiten mit den dermatologischen Monstern von iHautkrebs auf seinem Handy zu vergleichen.

Ähnliches geht im öffentlichen Schwimmbad vor sich. Statt zu versuchen, mit rankem Becken am Beckenrand bella figura zu machen, sieht man nur noch gebeugte Kreaturen, die sich iFußpilz runtergeladen haben und nach weißlichen Ablagerungen zwischen ihren Zehen suchen. Auf der Liegewiese sieht man grotesk verdrehte Körper, die sich die grässlichen Bilder von iCellulite neben die Rückseite ihrer Oberschenkel halten, iDickbauch auf den Wanst oder gar iKrampfader an die Knöchel. Gesund ist das nicht, vermutlich ist es sogar ungesünder, als mehrere Tageszeitungen zu abonnieren.

© SZ vom 25.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Training fürs Gehirn
:Fit im Kopf

Sie vergessen ständig Telefonnummern oder Geburtstage? Wie Ihnen eine Achterbahn und ein Gartenzwerg dabei helfen können, Ihr Gedächtnis zu trainieren.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: