Männerkolumne:Thomas

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In dieser Woche berichtet unsere Kolumnistin von einer Begegnung mit Thomas, dem früheren Freund ihrer Freundin. Thomas sagte, die Freundin sei eine starke Frau. Sollte das etwa freundlich gemeint sein? Über Komplimente, die keine sind.

Von Johanna Adorján

"Sie ist eine starke Frau", sagte Thomas. An seinem anerkennenden Nicken konnte ich sehen, dass er das als Kompliment meinte.

Thomas war acht Jahre lang mit einer meiner besten Freundinnen zusammen gewesen. Sie wollten ein Kind, dann er doch nicht oder nicht gleich, dann irgendwie doch, kurz wurde von Hochzeit gesprochen, ein Termin gesucht, über den Ort gestritten, dann war er weg. Hatte ganz alleine für sich die Trennung vollzogen, war der gemeinsamen Zukunft durch den Hinterausgang entflohen, hatte seine Sachen gepackt und war in eine andere Stadt gezogen, in ein anderes Leben. Es kam erst etwas später heraus, dass er da schon eine neue Freundin hatte, was ihm praktischerweise die leidige Wohnungssuche ersparte, er zog einfach von der einen direkt zur nächsten Freundin. Die beiden bekamen dann ziemlich schnell ein Kind.

Das passiert ja öfters, dass eine Frau sehr viel Liebe und Mühe investiert, einen Mann dazu zu bewegen, all seine herrlichen, über Pubertät und Studium liebgewonnenen Freiheiten gegen so etwas Lästiges, Altmodisches wie Familie einzutauschen, wogegen er sich nach einer stürmischen Phase der Verliebtheit und Eroberung, in der übrigens er es war, der von einem Kind überhaupt anfing, beharrlich und listenreich wehrt. Und dann geht es auseinander, und völlig egal, welche Frau als nächstes kommt: Sie erntet. Sofort wird groß Verlobung gefeiert, super-romantisch, und schon sind die Zwillinge da. Und die Verlassene sieht das alles auf Instagram, wo sie blockt und entblockt, und versteht die Welt nicht mehr.

So eine Geschichte war das mit meiner Freundin und diesem Thomas. Mittlerweile ist sie darüber hinweg, aber nach all den Jahren, in denen er immer wieder rotweinbegleitendes Thema war, erschrak ich, ihm unerwartet bei einer Abendeinladung zu begegnen.

Obwohl wir uns aus dem Weg gingen, standen wir irgendwann nebeneinander. In mir rasten die Gedanken. Würde er es wagen, nach meiner Freundin zu fragen. Wie könnte ich ihr grenzenloses Glück, ihren Erfolg, ihre fantastische Beziehung erwähnen, ohne dass es übertrieben klang. Irgendwann fragte er. Nachdem ich geantwortet hatte, lächelte er versonnen, als erinnere er sich an etwas Schönes. Und dann sagte er: "Sie ist eine sehr starke Frau." Und bevor Sie jetzt finden, das sei ein Kompliment, Augenblick. Man sollte sehr wachsam sein, wenn über eine Frau gesagt wird, sie sei stark. Über Männer heißt es das nämlich nie, ausgenommen vielleicht Gewichtheber. Das bedeutet nicht nur, dass derjenige, der es sagt, Frauen allgemein als schwach wahrnimmt, ausgerechnet diejenigen Menschen also, die zum Beispiel Kinder gebären. Es bedeutet im speziellen Falle eines Mannes, der seine Freundin nach acht Jahren von heute auf morgen brutal verließ, dass er sich damit selbst freischaufelt von allzu schlechtem Gewissen oder einem Gefühl von Schuld. Jemand Starkem kann man so was ja antun, eine starke Frau haut ja so schnell nichts um.

Ich wünschte, das wäre mir nicht erst auf dem Nachhauseweg klar geworden. In dem Moment, in dem er es sagte, klang es versehentlich nett. Aber stellen Sie sich mal vor, eine Frau, die ihren Freund böse verlassen hat, würde rückblickend über ihn sagen: "Ein sehr starker Mann."

© SZ vom 23.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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