Luft und Liebe:So willst du aus dem Haus?

Lesezeit: 4 min

Verbeulte Hosen, Schuhe wie totgebissene Kleintiere: Männerkleidung muss nicht gut aussehen. Hauptsache, sie ist bequem. Bei Dessous ist genau das Gegenteil der Fall.

Violetta Simon

Der Chef eines führenden deutschen Herrenmodeunternehmens sagte einmal: "Es ist eine Generation von Männern herangewachsen, die sich auch für Mode- und Stilfragen interessiert. Die sich ihre Kleidung selbst aussucht und nicht allein das anzieht, was Ehefrau oder Freundin ausgewählt haben." Der erste Satz ist erfreulich. Der zweite sorgt für eine Menge Ärger.

Bei manchen Männer-Hosen fragt man sich: Gab es die auch in schön? (Foto: Foto: iStockphotos)

Hätte dieser Modeexperte einmal mitbekommen, wie Hannes aussah, wenn er sich ohne Hilfe ankleidete, hätte er seiner Aussage sicherlich weniger Euphorie verliehen. Als Ina Hannes kennenlernte, trug er Hosen, die immer ein Stückchen zu kurz waren, und Hemden, die selbst Keith Richard für die visuelle Nebenwirkung eines LSD-Trips gehalten hätte.

Und dann die Sache mit seinen Lieblingsschuhen - die reinsten Rentnerlatschen! Wie die meisten Männer hatte Hannes ein eigenartiges Verhältnis zu Schuhwerk. Während er an Frauen hohe, spitze Pumps bevorzugte, die locker als Folterwerkzeug durchgingen und einem beim bloßen Anblick schon Tränen in die Augen trieben, legte er bei seinen Schuhen nur auf eines Wert: Bequem mussten sie sein! Dass die Dinger aussahen wie ein totgebissener Nacktmull, kümmerte ihn nicht.

Projekt Geschmacksübertragung

Ina versuchte, die Sache in den Griff zu kriegen. Wie eine Frau das eben so macht, wenn sie sich mit einem Mann zusammentut: Sie überträgt ihren guten Geschmack auf ihn ("Aber natürlich kannst du rosa Hemden tragen!"). Lässt das ein oder andere Teil verschwinden ("Grünes Muskelshirt? Nie gesehen."). Kauft was Neues und schmuggelt es in seinen Schrank ("Keine Ahnung, wo das herkommt. Sieht jedenfalls rattenscharf aus!"). Übt sanfte Kritik, wenn er danebengreift ("Und du willst den Pulli wirklich anlassen? Ich mein ja nur ...").

Doch Hannes schien vollkommen beratungsresistent zu sein. Nur unter wüstesten Drohungen konnte sie ihn dazu bringen, seine geliebte Karottenhose mit Karomuster in den hintersten Winkel seines Schranks zu verbannen. Er wollte einfach nicht verstehen, dass die Zeit, in der diese Hose als cool galt, vorbei war. Und dass sie auch nicht zurückkam, nur weil er sie immer wieder anzog.

Neulich erwischte Ina ihren Mann, als er in einer schlabbrigen, ausgebleichten Cordhose das Haus verlassen wollte. "Was um Himmels Willen ist das?", fragte sie ihn. "Was genau meinst du?", antwortete er. "Na, das Ding da mit den Beulen". "Das ist meine Lieblingshose". "Was du nicht sagst. Gab es die auch in schön?" "Dafür ist sie bequem." "Dann nimm sie halt mit ins Bett oder leg sie dir abends zum Fernsehen auf den Schoß, statt sie deiner Umwelt zu präsentieren." "Ist ja gut, ich ziehe mich um".

Als Hannes wiederkam, trug er die Hose noch immer. "Wolltest du dich nicht umziehen?" "Ich dachte mir, ein anderes Hemd tut es auch". "Aber das Hemd war in Ordnung, die Hose ist das Problem - sie ist scheußlich!" "Na und? Dafür ist das Hemd schön!" "Das reicht aber nicht!" "Und ob das reicht. Du siehst auch nicht an jeder Stelle gleich gut aus, meine Liebe!", sagte Hannes.

Ein verlockendes Angebot ... Fortsetzung nächste Seite ...

Als Ina darauf empört etwas erwidern wollte, sagte er: "Ich mach dir ein Angebot: Ich ziehe meinen Mantel drüber, dann sieht man fast nichts mehr von der Hose". "Nicht den Mantel, bitte!", flehte Ina. Der Mantel war mit Abstand das Schlimmste an seiner Garderobe. Er war schäbig und straßenkötergrau. Außerdem hatte das Futter in den Taschen Löcher, so dass manches von dem, was Hannes im Laufe der Jahre hineinsteckte, in den Saum des Mantels wanderte und dort unschöne Wülste verursachte.

Hannes stopfte Handy, Hausschlüssel, Geldbeutel, Zigaretten, einen Taschenschirm, Tempos und einen zusammengerollten Prospekt in die ausgeleierten Taschen und verließ das Haus. Ina wandte sich erschüttert ab. Hoffentlich verlief er sich und fand nie wieder heim. Und: Hoffentlich traf er auf dem Weg in die Hölle keinen gemeinsamen Bekannten.

Immerhin musste sie nicht zusammen mit ihm auf die Straße. Es gab da nämlich einen sonderbaren Zusammenhang: Die Wahrscheinlichkeit, dass sie dann jemanden trafen, war umso größer, je geschmackloser das Outfit von Hannes war. Es war wie mit der Zigarette und dem Bus, der kam, sobald man sich eine angezündet hatte. Wie mit dem Schirm, den man immer dann vergaß, wenn es regnete. Bis man irgendwann erkannte: Es regnet eigentlich nur, WEIL man ihn zu Hause gelassen hatte. Wenn sie also einen alten Bekannten wiedersehen wollte, musste sie nur mit Hannes durch die Gegend laufen, wenn er besonders peinlich gekleidet war.

Spitzen-Argumente

Ina beneidete Frauen, deren Männer guten Geschmack hatten und sich gepflegt kleideten. Sie wusste, dass es sie gab. Auch, wenn ihre Mutter immer behauptete, dass diese Wesen zu 90 Prozent schwul seien. Das sagte sie sicher nur, um sie zu trösten. Inzwischen beneidete Ina sogar Frauen, deren Männer keinen Geschmack hatten, und die Kleiderfrage ihnen überließen. Die konnten ihren Partner nach Belieben gestalten, fast wie ihre Anziehpuppen aus der Kindheit. Blöd war nur, dass man ihnen jeden Tag die Sachen aufs Bett legen und bei jedem Urlaub die Koffer packen musste. Darauf hatte Ina überhaupt keine Lust. Also versuchte sie es auf ihre Weise.

Als Hannes eines Abends nach Hause kam, kam sie ihm in einem seidenen Morgenmantel entgegen, darunter hauchzarte Spitzendessous. "Wow! Sieht ja toll aus!", sagte er begeistert, warf seine Tasche in die Ecke, schälte sich aus seinem Mantel und steuerte auf sie zu. "Wenn es nur nicht so unbequem wäre!", jammerte sie. "Das Zeug zwickt und kratzt irgendwie." "Bestimmt gewöhnst du dich daran, warte einfach ein bisschen", versuchte er es. "Es hat keinen Sinn, ich zieh mich lieber um", quengelte sie. "Muss das sein?", fragte er enttäuscht, während sein Blick auf ihrem Po haftete.

Als sie zurückkam, trug sie Baumwollunterwäsche, ein weites Shirt mit Teddybärmotiv und eine ausgebeulte Jogginghose. "Na, wie gefällt dir das?", fragte sie. "Muss ja unheimlich bequem sein", stellte er missmutig fest. "Mindestens so bequem wie deine Cordhose". Hannes sagte lange nichts. Dann stand er auf und ging zu seinem Schrank.

Am nächsten Tag brachte Hannes einen Sack zur Altkleidersammlung. Darin befand sich: Eine ausgebeulte Cordhose, ein Paar Schuhe, ein Shirt mit Teddymotiv und eine Jogginghose. Mit einem Seufzer schob er den Sack durch die Luke. In letzter Sekunde überlegte er es sich anders und angelte seine Hose heraus, bevor er den Rest in den Container fallen ließ. Er rollte sie zusammen und verbarg sie unter seinem Mantel. Dabei fühlte er sich wie ein Dieb.

Die Hose lag an einem sicheren Ort. Ina ist noch heute der Meinung, sie hätte den Kampf gewonnen. Und in den auberginfarbenen Dessous sieht sie einfach hinreißend aus.

Die Kolumne "Luft und Liebe" erscheint jeden Mittwoch auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/luftundliebe

© sueddeutsche.de/mmk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: