Luft und Liebe:Gestörtes Verhältnis zu einer Tube

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Es gibt Menschen, die wegen einer Zahnpastatube oder einer Rolle Klopapier jahrelang nicht mehr miteinander sprechen. Das ist völlig normal.

Violetta Simon

Wie viele Paare haben sich schon wegen einer Tube Zahnpasta, einer Rolle Klopapier oder einer Tüte Müll gestritten? Ähnlich wie bei Zigaretten sollten die Hersteller einen Warnhinweis auf die Dinger drucken: "Zähneputzen gefährdet die Beziehung" oder "Eine Rolle Klopapier enthält Zündstoff für rund 30 Auseinandersetzungen mit Trennungsfolge". Es gibt Menschen, die wegen so was jahrelang nicht mehr miteinander sprechen. Kein Wunder, denn unser Zusammenleben ist gespickt mit solchen Tretminen.

Manche Menschen haben ein gestörtes Verhältnis zu Zahnpastatuben. Und zu ihrem Partner. (Foto: Foto: iStockphoto)

Es beginnt bereits mit dem Aufstehen - während Meike am liebsten sofort die Sonne reinlässt, ihr Schlaf-Shirt zusammenlegt und das Bett macht, schält sich Hanno mit halbgeschlossenen Augen aus den zerknüllten Daunen und lässt das Schlafzimmer wie es ist: dunkel und muffig. Seinen Pyjama lässt er irgendwo auf dem Weg ins Bad fallen. Am Abend gibt es wieder Ärger: Meike reißt das Fenster auf, denn sie braucht frische, kühle Luft zum Schlafen. Hanno will es warm, stockdunkel und außerdem fürchtet er sich vor Mücken und Spinnen mehr, als vor dem Erstickungstod.

Tagsüber gibt es Streit zwischen Hanno, der das Toilettenpapier immer brav nachfüllt, wenn die Rolle dem Ende zugeht, und Meike, die findet: "Es reicht, wenn ICH noch damit auskomme." Hat sie sich verschätzt, sitzt sie es aus und nervt durch die geschlossene Klotür mit Hilferufen.

Oder die Sache mit der Ablage: Obwohl sie es ihm tausendmal gesagt hat, lässt er jedesmal Schlüssel, Feuerzeug, Geldbeutel und Handy auf die hochempfindliche Kommode fallen. Und obwohl er sie noch viel öfter darum gebeten hat, es nicht zu tun, stopft sie dann das ganze Zeug wütend in irgendeine Schublade. Spätestens, wenn er sie am nächsten Morgen löchert, wo seine Sachen sind, geht der Ärger von vorne los. Meike hasst es, wenn er sie danach fragt - auch, wenn sie es in diesem Fall selbst weggeräumt hat.

Hanno sucht nämlich ständig irgendwas. "Hast du meine Jacke gesehen? Weißt du, wo meine Turnschuhe sind? Du hast nicht zufällig ... ". Dafür könnte sie ihn erwürgen. Nur seine dämliche Zahnpastatube - die steckt immer schön ordentlich im Becher.

Bin ich normal?

Genau wegen dieser Tube sprachen sie nun seit Tagen nicht mehr miteinander. Meike hatte die Eigenart, eine Zahnpastatube so lange zu würgen, bis sie ihren Inhalt von sich gab. Hanno hingegen gehörte zu den Menschen, die eine Tube nach jedem Gebrauch von hinten nach vorne glattstrichen und den Deckel wieder zuschraubten. Doch jeden Morgen fand er das arme Ding zerknüllt und ohne Deckel neben der Nagelbürste. Wenn Hanno es nicht mehr aushielt, lief er damit zu Meike und erklärte ihr, dass der Deckel auf die Tube und die Tube in den Becher gehörte, und zwar ausgestreift und nicht zerknüllt.

Hanno hat einen furchtbaren Albtraum: nächste Seite ...

Kürzlich erwachte Hanno schweißgebadet aus einem Albtraum: Er hatte Meike mit einer Kneifzange alle Zähne gezogen und ihr vom Zahnarzt ein neues Gebiss einsetzen lassen. Sie gingen Hand in Hand nach Hause, gaben die Prothese mit einer Reinigungstablette in ein Glas und sahen zu, wie die Blasen darin aufstiegen. Dann nahm Hanno eine Tube Zahnpasta, strich sie sorgfältig glatt und entnahm eine erbsengroße Menge, um seine - intakten - Zähne zu putzen. "Glaub mir, es ist besser so", hörte er sich noch sagen, bevor er aufwachte.

Mit sowas kann man einen Menschen zermürben. (Foto: Foto: iStockphotos)

Beunruhigt von seinem Zustand, bot Meike ihm einen Kompromiss an: Wenn er sie endlich in Frieden ließe, dürfe er dafür seine Nasenhaare im Becken und seine Socken am Boden liegen lassen. Doch Hanno behauptete, dass er das ohnehin nie tun würde. "Soso, dann bist du das wohl auch nicht, der seine Zigarette in meiner Lieblings-Kaffeetasse ausdrückt?", keifte sie. "Das tue ich nur, weil du immer den Aschenbecher wegräumst", verteidigte er sich. "Den rühre ich gar nicht an!", rief sie erbost. "Du verschlampst doch immer alles, und ich soll dann wissen, wo dein Zeug ist!"

Gestörtes Verhältnis

Und so stritten sie immer weiter, redeten, aßen und schliefen tagelang nicht mehr miteinander. Eines wurde Hanno dabei klar: Meikes gestörtes Verhältnis zu Zahnpastatuben würde sich nie ändern. Er konnte nur seine Einstellung dazu ändern. Und das tat er. Wann immer es nötig war, nahm er die geschundene Tube zur Hand, strich sie glatt, schraubte sie zu und deponierte sie an ihrem Platz. Dabei blieb er ganz ruhig.

Manchmal, wenn er gerade damit fertig war, kam Meike ins Bad, quetschte Zahnpasta auf die Bürste, ließ Deckel und Tube ins Waschbecken fallen und setzte sich zähneschrubbend aufs Klo. Dann lächelte er gefasst, klaubte die Tube heraus und brachte sie in einen ordnungsgemäßen Zustand. Immer öfter musste er anschließend das Zimmer verlassen und irgendwas kaputtmachen, um sich abzureagieren.

Eines Nachts hatte Hanno wieder diesen Traum. Diesmal war er dermaßen real, dass er erst von Meikes Schreien wach wurde. Als er zu sich kam, hatte er ihren Kopf im Schwitzkasten, fuchtelte mit einer Kneifzange vor ihren Augen herum und drohte, ihr sämtliche Zähne auszureißen.

Alles ordnungsgemäß

Auch wenn ihm der Vorfall überaus peinlich war - er hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Hanno musste sich seitdem nie mehr über misshandelte, verdrehte Tuben ohne Deckel ärgern. Jeden Morgen stand die Tube dort, wo er sie am Abend zuvor hingestellt hatte. Ihr Zustand war zufriedenstellend, es waren keine Kleckse zu sehen.

Hanno hat jetzt sein eigenes Bad. In einem Hotel. Sicherlich bedauert er, dass Meike ihn rausgeschmissen hat. Doch von Tag zu Tag empfindet er weniger Wehmut darüber, und manchmal gelingt es ihm sogar, beim Anblick einer Zahnpastatube zu lächeln. So richtig glücklich ist er allerdings nicht.

Eines Tages würgt er, nur so zum Spaß, seine Tube, sodass sich das blaue Gel über den Beckenrand, den Badvorleger und seine Schuhe schlängelt. Er fühlt eine kindliche Freude in sich aufsteigen und hüpft durchs Bad, wo er überall Spuren von Zahnpasta hinterlässt. Doch das ist ihm egal. Hanno weiß jetzt, was er zu tun hat: Er wird Meike anrufen und sie um Verzeihung bitten.

Wenn er nur wüsste, wo er das verflixte Telefon hingelegt hat ...

Die Kolumne "Luft und Liebe" erscheint jeden Mittwoch auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/luftundliebe

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