Lockdown:Es lebe der Staub!

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Seitdem wir so viel zu Hause sind, sind wir noch viel dichter an ihm dran: sieben Schlaumeierdinge über einen treuen Mitbewohner.

Text und Foto: Georg Cadeggianini

Schwebeverrückt

Staub ist eine Ansammlung von verrückten Flugobjekten. Verrückt deswegen, weil sich die Teilchen kaum an normale Gesetze halten: Staub fällt nicht. Er segelt, wirbelt, schwebt. Manchmal scheint er abzuhauen, andere Dinge springt er an. Das größte Staubteilchen ist gerade mal so groß wie ein Punkt mit dieser Schrift hier. Das kleinste 2000-mal kleiner. Staub wandert auf der Grenze zur Welt des Unsichtbaren.

Weltgereist

Staub besteht aus allem Möglichen: aus Saharateilchen, die über die Alpen wehen, Salzkristallen aus dem Atlantik, Weltall-Staub von verglühten Sternschnuppen. Aus Reifenabrieb und Hautschuppen, Pollen, Milben und Milbenkacke, Ruß, Pilzsporen und jeder Menge Fusselteilchen.

Überall

Oben auf Regalbrettern oder Bilderrahmen lagert er in Reinform. Das ist der Staub, der fliegen kann. Unten am Boden vermischt er sich mit Dreck. Staub wandert mit den Luftströmungen und rottet sich in sogenannten Strömungsschatten zusammen. Unter dem Bett etwa, wie ein Ballen Zuckerwatte. Dort wälzen sich Flusen hin und her, mästen sich wie Seetang in der Brandung. Staub ist überall. Nicht mal sogenannte Reinräume, die nichts als gefilterte Luft bekommen, sind frei von ihm.

Krimitauglich

Jeder Mensch wird von einer ganz persönlichen Staubwolke umgeben: winzige Tonerteilchen aus dem Bürodrucker gehören dazu, Hautschuppen, Waschpulver, Tierhaare, Mehl, vielleicht Tabakrauch? Wenn die Polizei einen Tatort untersucht, kann auch das zum Programm gehören: die Staubwolke des Täters zu bestimmen. Der Staub ist das Gedächtnis eines Raumes. Ihn unter die Lupe zu nehmen, bedeutet, in die Vergangenheit schauen zu können.

Lebenswichtig

Ohne Staub wäre ein Leben auf der Erde wohl nicht möglich. Staub kühlt zum Beispiel. Die vielen kleinen Teilchen hoch oben in der Luft lenken nämlich Sonnenstrahlen ab. Das ist gut gegen die Klimaerwärmung. Staub ernährt aber auch. Der Saharastaub etwa versorgt die Ozeane mit Eisen, ohne das es kein Plankton gäbe. Staub lässt es auch regnen. Denn Wolken entstehen, wenn sich verdunstetes Wasser an Staubteilchen anlagert. Ohne diese Teilchen als Landeplatz hätte es der Wasserdampf schwer, einen Tropfen zu bilden. Dasselbe gilt übrigens für Schneeflocken. In ihrer Mitte haben sie stets einen Staubkern. Mit ihren kunstvollen Verästelungen durchkämmen sie auf dem Segelweg zur Erde die Luft - und sammeln Staub. Wer sich das mal ansehen will: einfach ein paar Flocken auf einem weißen Teller auffangen, schmelzen lassen und danach die schwarzen Punkte zählen.

Lästig

Mit jedem Atemzug nehmen wir Millionen Staubpartikel zu uns. Das ist nicht weiter schlimm - außer für Allergiker. Für die ist Hausstaub fies, von Nasejucken bis Atemnot. Das kommt von den Milben im Staub, genauer: von ihrer Kacke. Die Milben ernähren sich von den etwa zehn Gramm Hautschuppen, die jeder von uns jeden Tag verliert. Das sind mehr als zwei Schokoladenstücke. Die Hautschuppen geben dem Hausstaub übrigens auch seine Farbe: staubgrau.

Superromantisch

Natürlich würde die Sonne auch ohne Staub untergehen. Was es aber nicht gäbe: den superromantischen roten Sonnenuntergang. Die Farbe des Himmels kommt nämlich dadurch zustande, dass das Licht auf seinem Weg durch die Luftschicht, die die Erde umgibt, mit jeder Menge Miniteilchen zusammenrumpelt. Die Anzahl der Rumpelei entscheidet, welche Farben es zu uns durch schaffen. Mittags kommt das Licht senkrecht durch die Luftschicht. Wenig Rumpelei. Das blaue Licht wird zu uns gelenkt. Wir sehen einen blauen Himmel. Abends und morgens müssen die Strahlen aber schräg durch die Luftschicht. Das ist viel weiter, heißt: mehr Rumpelei. Die blauen Strahlen werden zu weit weggelenkt. Übrig bleibt superromantisches Rot. Es gilt: Umso intensiver das Sonnenuntergangsrot, desto mehr Staub ist in der Luft.

© SZ vom 16.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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