Leidenschaft Fußball:Der Mann, der das Gesicht verlor

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Ein Mann, ein Kick: Christian Kolb stirbt fast auf dem Feld, aber er bleibt Fußballer aus voller Seele.

Olaf Przybilla

Warum Willi Kolb nach Melkendorf gefahren ist am 21. Oktober 2007, weiß er nicht mehr genau zu sagen. Eigentlich interessieren ihn Spiele der Kreisliga nicht, und dieses Spiel schon gar nicht. Der TSV Melkendorf gegen den TSV Presseck, das versprach ein Duell zu werden von Not gegen Mittelmaß.

Die Leidenschaft für den Sport ist geblieben: Christian Kolb trainiert wieder. (Foto: Foto: dpa)

Die Melkendorfer hatten vor der Winterpause genau einen Punkt in der Tabelle, und die Pressecker dümpelten im Mittelfeld. Willi Kolb, der Vater des Pressecker Abwehrspielers Christian Kolb, hat sich um diesen Kick nicht sonderlich gekümmert. Dann aber ist er doch aufgebrochen nach Melkendorf.

"Mag sein, aus einer Ahnung heraus", sagt er. Der Sonntagnachmittag sollte das Leben seines Sohnes verändern. Es fehlte nicht viel, und der Sohn wäre gestorben auf dem Platz - durch einen gezielten Tritt seines Gegenspielers. Und er, Willi Kolb, musste zusehen dabei.

Das Spiel hielt bis zur 65. Minute das, was es versprochen hatte: Ein Treiben ohne Vorkommnisse. Das einzig Merkwürdige war das Ergebnis, denn Melkendorf führte, das erste Mal in der Saison. Aber selbst das regte niemanden auf.

Mit voller Wucht

In dieser 65. Minute pfiff der Schiedsrichter Freistoß für Presseck und Kolb blickte reflexartig auf seinen Sohn Christian. Willi Kolb machte das immer so, denn sein Sohn galt als technisch beschlagen, einer der schon Landesliga gespielt hatte, für sein Kopfballspiel bekannt war und den es nach vorne zog bei Standardsituationen. Kolb sah, wie sein Sohn lostrabte.

Als er die Mittellinie überschritt, kam von hinten der Melkendorfer Mittelstürmer, Kolbs Gegenspieler bis dahin. Er holte aus und trat Christian Kolb mit seinem Fußballschuh mit voller Wucht ins Gesicht. Der Ball war weit entfernt, Willi Kolb war einer von vier Menschen auf dem Melkendorfer Sportplatz, die den Tritt gesehen haben. "Gehört aber haben ihn alle", sagt er. Das Krachen glaubt er noch heute zu hören.

Mehr kaputt als unbeschädigt

In der Universitätsklinik haben sie Christian Kolb später einen kleinen Glasbehälter mitgegeben. Auf dem Aufkleber steht sein Name und "22.11.1980", sein Geburtstag. Durch das Glas schimmert das Material, mit dem die Gesichtsknochen verschraubt worden sind, damit sie wieder zusammenwachsen.

Es sind mehr Knochen kaputt gegangen als unbeschädigt geblieben sind, haben die Chirurgen Christian Kolb gesagt, als er in der Klinik aufgewacht ist, nach einem künstlichen Koma. "Als ich in den Spiegel sah, kam ich mir vor wie ein Monster", sagt er. Er, den die Mädels umschwärmt hatten, gerade weil er so hübsch war. Im Frühjahr steht ihm nun die vierte Gesichtsoperation bevor. "Ich muss wohl froh sein, dass ich noch lebe", sagt er.

Wer bei Christian Kolb anruft, hört ein Tuten. Danach setzt eine Melodie ein und Männerstimmen singen das Lied: "Fußball ist unser Leben, denn König Fußball" und so weiter. Man könnte nun einen Zyniker befürchten, aber wer Kolb besucht, erlebt das Gegenteil. Das Lied, erzählt er, hat er vor fünf Jahren auf seinem Telefon installiert. Natürlich habe er nach Melkendorf überlegt, ob er von alldem nun die Finger lassen soll: Ob er sein Premiere-Abo storniert. Ob er dem Ball abschwört. Ob er um Sportplätze einen Bogen macht.

Dann aber ist ihm der Gedanke gekommen, dass sein Leben seit jenem Tag im Oktober 2007 ohnehin ein ganz anderes geworden ist. Seine Beziehung ist in die Brüche gegangen, er kümmert sich jetzt oft allein um seinen kleinen Sohn. Er sieht jetzt auch anders aus. Und er nimmt viele Tabletten, gegen die Schmerzen. Diesem Tag wollte er keinen weiteren Triumph gönnen.

Der Täter hat ihm die Hand hingehalten

Der 29-Jährige spricht auffällig wenig über den Stürmer vom TSV Melkendorf, dessen Fuß er nur als Schatten sehen konnte, ehe man es krachen hörte. "Ich habe meinen Frieden mit ihm gemacht", sagt Kolb. Bei der Verhandlung am Landgericht in Bayreuth hat ihm der 23 Jahre alte Heizungsbauer die Hand hingehalten und um Entschuldigung gebeten. Christian Kolb hat eingeschlagen.

Was es war, das ihn zu dem Tritt bewogen hat, das hat Kolb oft zu verstehen versucht. Ohne Erfolg: Genau vier Zweikämpfe hatte es zwischen den beiden zuvor gegeben, kein einziges Foul. Kurz vor dem Tritt hatte Kolb ein Kopfballduell gewonnen. Vor Gericht hat der Stürmer gesagt, Kolb habe dabei einen Ellenbogen regelwidrig eingesetzt. Gepfiffen wurde es nicht.

Er habe mit dem Tritt nur die Brust von Kolb treffen wollen, hat sich der Täter verteidigt. Da gebe es auch lebenswichtige Organe, hielt ihm der Richter entgegen. Zu zwei Jahren Haft ist der 23-Jährige verurteilt worden, ohne Bewährung. Er hatte geplant, sich bei der Bundeswehr zu verpflichten. "Auch seine Zukunft dürfte düster aussehen", sagt Kolb. Und er sagt, dass er aufgehört habe, sich über den Grund für den Tritt Gedanken zu machen.

Es geht alles noch sehr langsam

"Wäre mein Arbeitgeber nicht die Stadt Kulmbach, ich wäre aufgeschmissen gewesen", sagt er. Bei den Stadtwerken hat er nach einem Jahr Pause wieder angefangen. Es geht alles noch sehr langsam, das Gedächtnis macht oft nicht mit.

Sein Sohn war fünf Monate alt, als es passiert ist. Das war das Schlimmste, erzählt Kolb: Als ihm die Ärzte sechs Monate nach dem Tritt abrieten, seinen strampelnden Sohn in die Höhe zu heben. Das sei zu gefährlich, sagten sie ihm, wegen der Platten in seinem Gesicht.

Vor kurzem haben ihm die Jungs vom 1. FC Burgkunstadt ein Angebot gemacht. "Burgkunstadt, das ist eine ganz andere Liga", sagt Vater Willi Kolb. Zwei Klassen über der Kreisliga spielen die Burgkunstädter. Und obwohl sein Sohn lange nichts für seinen Körper tun konnte, haben sie ihn bei sich aufgenommen. Christian Kolb trainiert wieder. Er köpft sogar wieder. Nach dem ersten Kopfball, erzählt Willi Kolb, ist Christian Kolb nach Hause gekommen und hat gesagt: "Papa, das tut noch weh."

© SZ vom 09.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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