Kunstfreiheit:In der Endlosschleife

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Der Musikproduzent und Beschwerdeführer Moses Pelham im Mai 2016 vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. (Foto: dpa)

Zwei Sekunden Musik - 22 Jahre juristischer Kampf. Der Bundesgerichtshof hat bereits dreimal geurteilt, wohl nicht zum letzten Mal.

Von Wolfgang Janisch

Als der Fall seines Lebens seinen Weg kreuzte, hätte Udo Kornmeier ihn beinahe übersehen: "Ich habe, offen gestanden, damals kein Rechtsproblem gesehen". Dabei kannte er sich richtig gut aus, sechs Jahre lang hatte der Jurist in leitender Position bei Sony Music gearbeitet und sich danach, 1991, als Rechtsanwalt in Frankfurt niedergelassen - Schwerpunkt Urheber- und Medienrecht. Was sich musikalisch in Frankfurt tat, war ihm vertraut. Und das war in den 90ern eben Hip-Hop: "Das war einfach so, dass da gesampelt wurde. Da haben wir uns keine Gedanken gemacht."

Moses Pelham, Gründer der Band Rödelheim Hartreim Projekt, produzierte 1997 ein Album, mit dem die Rapperin Sabrina Setlur die Charts stürmte. Natürlich wurde gesampelt, was das Zeug hält, aber Pelham beging einen Frevel: Er entnahm eine Rhythmussequenz von zwei Sekunden aus dem Stück "Metall auf Metall" von Kraftwerk und legte sie als Loop unter Setlurs Stück "Nur mir". Klar, das klang geil. Aber für "Metall auf Metall", erschienen 1977, hatten die Musikrevolutionäre um Bandgründer Ralf Hütter die bahnbrechenden Sounds noch in mühevoller Kleinarbeit austüfteln müssen. Und nun kam Pelham, der 1977 sechs Jahre alt war, und klaute den Göttern von Kraftwerk 20 Jahre später einfach zwei Sekunden. Hütter klagte.

Soundklau oder Kunst? Der BGH hat bisher dreimal über den Fall geurteilt

Das war im Jahr 1998. Kornmeier war mit Pelham befreundet, und langsam ahnte er, dass da doch ein Rechtsproblem war. Der Prozess wanderte gemächlich durch die Instanzen, Landgericht Hamburg, Oberlandesgericht, und schließlich im Jahr 2008 fällte der Bundesgerichtshof ein Urteil. Damals wusste man noch nicht, dass man es später BGH I nennen würde.

Wenn ein Prozess im Jahr zehn angelangt ist, dann setzen sich die Gegner irgendwann zusammen. "Normalerweise redet man miteinander und sagt, komm, lass uns das Ding zumachen", sagt Kornmeier. Aber die Leute von Kraftwerk wollten nicht reden, es ging nicht um Geld für zwei akustische Sekunden. Es ging, ja worum eigentlich? Ums Recht? Ums Prinzip?

Juristisch wurde die Sache nun doch spannend. Der BGH hatte die Tür immerhin einen Spalt weit aufgemacht für den kreativen Prozess, der Hip-Hop und andere Musikrichtungen ausmacht. Also die Schaffung neuer Songs mithilfe vorhandener Tonschnipsel, Mix und Remix als Arbeitsprinzip. Es geht dabei nicht um Diebstahl, sondern um ein Spiel mit dem kulturellen Gedächtnis. Bekanntes wird neu zusammengesetzt - Sampling als Verjüngungskur für alternde Sounds, wenn man so will. Das ist Kunst. Darf sich dem ein beinhartes Leistungsschutzrecht in den Weg stellen? Wo bleibt die Kunstfreiheit?

Udo Kornmeiers Weg zum Recht auf Hip-Hop war noch nicht zu Ende. Die Tür, die der BGH geöffnet hatte, erwies sich als zu eng, das stellte sich nach einer weiteren Runde heraus, die über das OLG erneut zum BGH geführt hatte. Das war das Urteil BGH II. Man schrieb den 13. Dezember 2012, Kornmeier und Pelham fuhren im Auto von Karlsruhe zurück nach Frankfurt, ärgerten sich über den mangelnden Kunstsinn der Richter und beschlossen: Der Fall hat eine andere Dimension. Wir ziehen vors Bundesverfassungsgericht.

Der Rest ist Geschichte, wie man so sagt. Am 25. November 2015 verhandelte das Verfassungsgericht, es widmete sich mit großem Ernst dem künstlerischen Prozess des Hip-Hops, befragte gar einen Professor der Popakademie - und fällte ein halbes Jahr später ein Urteil. Den Produzenten dürfe keine "Verbotsmacht" zustehen, mit der sie die Schöpfung neuer Kunstwerke verhindern könnten. Pelham hatte gewonnen. Aber nicht endgültig.

Denn der Rechtsweg, der in Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz seine Wurzel hat, führt längst auch über Europa. Weil eine EU-Richtlinie im Spiel war, überwies der BGH das Verfahren, das die Verfassungsrichter zurückgeschickt hatten, per Vorlagebeschluss an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Das war BGH III.

Und damit begann ein ganz neuer Streit. Unversehens geriet das Verfahren nämlich in einen Grundsatzkonflikt zwischen Verfassungsgericht und EuGH um das Konkurrenzverhältnis der Grundrechte, die es inzwischen auch in einer europäischen Version gibt, in der Grundrechtecharta von 2009. Die Kunstfreiheit des Grundgesetzes blickt auf eine lange Tradition in der Karlsruher Rechtsprechung zurück. Die Kunstfreiheit der Charta wirkt dagegen wie schmückendes Beiwerk. In Europa gelten eher die harten ökonomischen Grundrechte viel, dazu zählt auch das Leistungsschutzrecht der Produzenten. Ende 2018 sendete der EuGH ein erstes Signal, den Schlussantrag des Generalanwalts; er fiel gegen Pelham aus, und gegen den freien, kreativen Prozess.

Ein Urteil wird bis zum Sommer erwartet. Dann muss der Fall wieder zurück nach Karlsruhe. Das wäre dann BGH IV. Und ob dies dann der Schlusspunkt sein wird, ist alles andere als sicher. Sollte Pelham tatsächlich für den Soundklau zahlen müssen, dann könnte man noch über die Höhe streiten. Oder der Fall geht noch mal zum Verfassungsgericht. Wer weiß das schon. Vielleicht macht das Verfahren das Vierteljahrhundert noch voll. Derweil nähert sich Kornmeier dem Ruhestand.

Hatte die bisherige juristische Klärung für die Musikindustrie überhaupt praktische Bedeutung? Nein, sagt der Anwalt, eigentlich nicht.

© SZ vom 04.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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