Manchmal braucht die Liebe Unterstützung, das gilt auch - oder gerade - für "alte Hasen". Der Paartherapeut David Wilchfort und die sueddeutsche.de-Redakteurin Violetta Simon suchen im gemeinsamen Gespräch Antworten auf Beziehungsfragen unserer Leser - und zwar immer für beide Partner.
Diese Woche erreichte uns folgendes Schreiben:
Adam: Für meine Mutter wird Weihnachten sehr schwierig. Mein Vater hat sie nach über 30 Jahren Ehe verlassen. Ursprünglich hatten wir ausgemacht, dass wir dieses Mal mit den Kindern bei meinen Schwiegereltern feiern. Aber man muss doch flexibel sein, wenn sich die Umstände ändern. Ich verstehe nicht, warum meine Partnerin so stur bleibt und kein Verständnis zeigt. Ich würde mir von ihr wünschen, dass sie noch einmal einlenkt. Wir müssen nicht gerade in diesem schwierigen Jahr plötzlich alles ändern.
Eva: Ich frage mich manchmal, ob mein Mann mit mir oder seiner Mutter verheiratet ist. Seit Jahren nehmen wir Rücksicht auf sie. Erst musste ich Verständnis haben, weil ihr Mann so schlimm zu ihr war und jetzt, weil er sie verlassen hat. Immer muss ich meinen Eltern erklären, warum wir erst am 25. Dezember kommen. Ich hatte Ihnen versprochen, dass wir diesmal schon an Heiligabend da sein werden und sie haben alles vorbereitet. Ich kann sie jetzt einfach nicht enttäuschen. Ich wünsche mir, dass wir wie geplant mit meinen Eltern die Bescherung am richtigen Tag feiern und am ersten Feiertag zu seiner Mutter gehen.
David Wilchfort: Schon wieder das Thema Weihnachten! Ich glaube, diese Woche war fast keinen einziges Paar bei mir, dass nicht über die eine oder andere Form von Weihnachtsstress geklagt hat.
sueddeutsche.de: Und dabei sollte man denken, die Geschenkefrage verursacht den meisten Stress. Warum muss die Familie den Heiligen Abend überhaupt bei einem Elternteil feiern? Hat man nicht spätestens mit eigenen Kindern das Recht erworben, in den eigenen vier Wänden zu bleiben?
Wilchfort: Ich würde eher sagen: die Pflicht auferlegt bekommen - und zwar von den eigenen Kindern. Aber mit der zusätzlichen Verantwortung ist die alte Pflicht gegenüber den Eltern nicht verschwunden. Es ist ein bisschen wie mit der doppelten Staatsbürgerschaft.
sueddeutsche.de: Könnten die Eltern nicht von sich aus verzichten und ihrem Sohn oder ihrer Tochter zugestehen, was sie selbst jahrelang genossen haben: Feiern mit den eigenen Kindern? Schließlich haben wir dafür den ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag, für jedes Schwiegerpaar einen.
Wilchfort: Von sich aus verzichten? Jetzt haben Sie gleich alle liebevollen Großeltern am Hals. Vielleicht können sie an diesem wichtigsten Tag des Jahres gerade noch auf ihre eigenen Kinder verzichten, aber ihre über alles geliebten Enkel bei einen "fremden" Schwiegerfamilie wissen? Das ist hart.
sueddeutsche.de: Eben! Gerade deshalb würde es die Lage entspannen, "nein" zu beiden Schwiegereltern zu sagen. Es ist doch immer dasselbe: Viele Familien feiern Weihnachten mehr oder weniger im Zug oder im Auto, weil sie damit beschäftigt sind, allen Verwandten gerecht zu werden. Das erinnert schon fast an Scheidungskrieg! Der weise König Salomon hatte die richtige Lösung: Er gab vor, das Kind mit dem Schwert teilen zu lassen. Die Lügnerin bestand darauf, die wahre Mutter verzichtete auf das Kind - seinem Leben zuliebe. Natürlich soll hier niemand ein Schwert schwingen. Doch könnten die Eltern nicht den Druck von ihren Kindern nehmen, indem sie von ihren Ansprüchen zurücktreten?
Wilchfort: Meine Lösung des Problems sieht etwas anders aus. Es kommt hauptsächlich darauf an, wie gut es beiden Ehepartnern gelingt, dem anderen zu vermitteln, dass sie sich mit dem jeweiligen Dilemma des Partners - und nicht nur dem eigenen - einfühlen können. Beide spüren einen Loyalitätskonflikt. Auch Eva hat das Gefühl, ihre Eltern zu vernachlässigen. Deshalb gibt es keine einfache Lösung. Auch geht es bei Eva und Adam im Kern um die Frage: Muss man sich an die Vereinbarung halten oder ist eine Ausnahme legitim?
sueddeutsche.de: Also ich bestehe weiterhin auf einer klaren Regelung: Weihnachten zu Hause, den ersten bei Adams Mutter, den zweiten bei ihren Eltern. Nächstes Jahr ist es umgekehrt - alles schön gerecht.
Wilchfort: Es bringt grundsätzlich nichts, zwei Menschen eine fertige Lösung vorzuschreiben. Solche Lösungsvorschläge basieren immer nur auf Teilinformationen und eigenen Vermutungen. Die Frage ist: Wie können Adam und Eva ihre widersprechenden Loyalitäten gleichzeitig erfüllen, ohne dass einer sich illoyal fühlt? Beide sollten sich gegenseitig einfühlen, wie schwer es auszuhalten ist, seine Eltern enttäuscht zu sehen.
sueddeutsche.de: Das allein wird sie aber nicht weiterbringen. Das eigentliche Problem ist doch die Beziehung zwischen Adam und seiner Mutter, da wird Druck ausgeübt. Irgendwas ist immer: Einmal ist die Katze krank, nächstes Mal bricht sie sich ein Bein. Die Situation scheint sich auch nicht auf Weihnachten zu beschränken. So, wie ich Eva verstehe, ist die Dame das ganze Jahr über auf ihre Art präsent ...
Lesen Sie auf der nächsten Seite weiter ...
Wilchfort: Vorsicht! Wir wissen, wie Eva das Verhalten ihrer Schwiegermutter sieht. Wir wissen aber nicht, wie Adams Mutter die Situation beschreiben würde. Vielleicht kämen da ein paar Dinge zum Vorschein, die Eva - ohne ihr dabei Absicht zu unterstellen - unter den Tisch fallen lässt. Deshalb bleibe ich dabei, dass Eva und Adam miteinander ihre Sichtweise einander angleichen müssen. Nur dann werden dem Paar Lösungen einfallen, auf die wir gar nicht kommen können.
sueddeutsche.de: Also gut, sie haben mich überzeugt. Gegen Ihre professionelle Objektivität habe ich keine Chance. Kümmern wir uns also darum, was nun geschehen soll. Schließlich wollen wir ja verhindern, dass sich im kommenden Jahr die Kinder von Adam und Eva entscheiden müssen, wo sie Weihnachten feiern, weil sich ihre Eltern getrennt haben.
Wilchfort: Mein Vorschlag an Adam: Machen Sie sich klar, was Eva benötigt, um ein weiteres Jahr flexibel bleiben zu können. Was können Sie tun, damit es Eva leichter fällt, tatsächlich nochmals ihre diesjährige Weinachtsphantasie loszulassen? Was können Sie tun, damit Eva die Gewissheit spürt, dass Sie in Zukunft in der Prioritätenliste nicht hinter der Schwiegermutter kommt? Wenn er sich um diese Fragen kümmert, dann wird sein Wunsch: "Bitte bleib flexibel!" auf offenere Ohren stoßen. Was meinen Sie dazu?
sueddeutsche.de: Ich bleibe skeptisch und frage mich: Will er denn überhaupt was tun? Bisher war die Familie am 24. immer bei seiner Mutter. Das wird doch einen Grund haben.
Wilchfort: Natürlich will er etwas tun. Er schreibt uns. Warum das Weihnachtsritual sich immer bei seinen Eltern abgespielt hat, weiß ich nicht, und es spielt auch keine Rolle.
sueddeutsche.de: Haben Sie auch für Eva eine Aufgabe?
Wilchfort: Mein Vorschlag an Eva: Viele Wege führen nach Rom, heißt es. Vielleicht führen auch viele Wege zu einem familienfriedlichen Weihnachten? Vielleicht gibt es noch andere Möglichkeiten, alle in der Familie unter einem Hut zu bringen? Aus Ihrer beider Brief bekomme ich den Eindruck, die Beziehung zu Ihrer Schwiegermutter läuft nur über Adam. Aber ist das und war das schon immer so? Könnten Sie die Kommunikation zur Mutter Ihres Mannes aufnehmen, ohne bei Adam das Gefühl auszulösen, er wird übergangen? Können Sie einen direkten Draht zu seiner Mutter finden, so dass Ihr Mann sich entlastet fühlt von seiner gefühlten Verantwortung zu seiner alten Mutter?
sueddeutsche.de: Ich will mir gar nicht ausmalen, wie die Schwiegermutter reagieren wird, wenn die Frau ihres Sohnes auf sie zukommt und versucht, sie davon abzubringen, auf einen gemeinsamen Weihnachtsabend zu bestehen. Was bitteschön soll sie ihr denn sagen, das Adam nicht bereits selbst gesagt hat?
Wilchfort: Eva kann gar nicht das gleiche sagen wie ihr Mann. Sie ist eine andere Person und hat eine andere Beziehung zur Schwiegermutter. Wenn dieser Ansatz nicht fruchten sollte, besteht zumindest zwischen Adam und Eva eine neue Situation: Er muss anerkennen, dass seine Frau auf seinen Wunsch eingegangen ist und es versucht hat.
sueddeutsche.de: Aber macht sich Eva nicht zum Sprachrohr für Adam? Untermauert sie damit nicht seine Position als unmündiger Sohn? Ich finde, seine Rolle als erwachsener Mensch und verantwortungsvoller Partner geht damit noch mehr unter.
Wilchfort: Unterschätzen Sie Eva nicht. Ihr kann als Schwiegertochter etwas gelingen, was dem Sohn nicht gelungen ist. Sie haben offensichtlich noch nicht so oft wie ich mit Schwiegermüttern gesprochen, die sich ein vertrautes Verhältnis zur Frau ihres Sohnes wünschen. Außerdem hängt es von Eva ab, ob sie ihren Mann zum Hampelmann macht oder der Mutter zeigt, was sie an ihrem Partner bewundert. Nur weil sie eine Beziehung zu ihrer Schwiegermutter aufbaut, degradiert sie nicht ihren Mann.
sueddeutsche.de: Herr Wilchfort, jetzt werde ich gleich nervös. Das ist mir alles zu verschwurbelt. Haben Sie denn wirklich keinen konkreten Vorschlag?
Wilchfort: Also gut, dann lassen Sie uns mal von Folgendem ausgehen: Eva hat ihre Schwiegermutter angerufen. Bei dem Gespräch kommen die beiden auf die Idee, ob denn nicht alle zusammen bei Adam und Eva feiern. Und damit es nicht zu viel Arbeit macht, sollten beide Großmütter ihre Spezialitäten zum Weihnachtsschmaus beisteuern. In welcher Wohnung das Ganze stattfindet, wird durch die verschiedenen räumlichen Verhältnisse festgelegt und nicht durch Rivalitäten. Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn alle sich einmal von allen akzeptiert fühlen, hört in der Regel die kleinkrämerische Aufrechnung - wann, wie oft, bei wem - sehr schnell auf.
sueddeutsche.de: Endlich eine vernünftige Lösung, die dem Fest der Liebe gerecht wird - ich danke Ihnen! Dann hätte Adam sogar noch einen Feiertag für seinen Vater übrig. Nachdem sich seine Eltern getrennt haben, wird er ihn nämlich an einem eigenen Termin besuchen müssen. Man kann nur hoffen, dass der nicht ebenfalls Anspruch auf ein gemeinsames Weihnachtsfest erhebt - dann wird es nämlich richtig kompliziert! Man sollte einen dritten Weihnachtsfeiertag einführen: für Patchworkfamilien.
Wilchfort: Über die Lebensläufe der Familienmitglieder müssen wir uns zum Glück keine Gedanken machen.
Haben auch Sie und Ihr Partner ein Problem, das Sie uns gerne - jeder aus seiner Perspektive - mitteilen möchten? Dann senden Sie uns eine E-Mail an leben@sueddeutsche.de, Betreff: Paarprobleme. Bitte beachten Sie, dass wir nur Zuschriften beantworten können, in denen beide Partner ihr Anliegen formulieren. Sämtliche Angaben werden anonym und vertraulich behandelt, für eventuelle Rückfragen benötigen wir jedoch eine gültige E-Mail-Adresse.
Damit wir auf Ihren Konflikt möglichst genau eingehen können, sollten Sie folgende Punkte beachten: 1. Einigen Sie sich miteinander auf einen vor kurzem stattgefunden Streit. 2. Schildern Sie - unabhängig voneinander - in wenigen Sätzen, wie sich Ihr Partner verhalten hat und was Sie daran gestört hat. 3. Lassen Sie uns wissen, welches Verhalten Sie sich in dieser Situation vom Partner gewünscht hätten.