Kinder und Haustiere:Auch Fische sterben wie die Fliegen

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(Foto: b-fruchten / Photocase)

Wer ein Haustier hat, muss über kurz oder lang seinen Tod betrauern. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum unser Autor seinen Kindern keines erlaubt. Eine Verteidigung.

Von Till Raether

Neulich las ich ein Interview über Haustiere mit dem Erziehungswissenschaftler Ulrich Gebhard von der Universität Hamburg, und seitdem fürchte ich, dass ich ein Unmensch bin. Weil ich den Kindern kein Haustier angeschafft habe und auch nicht anschaffen werde. Der Erziehungswissenschaftler sagt, es sei inzwischen "sehr gut erforscht", wie sehr Kinder von Haustieren profitieren: Kinder mit einer engen Bindung an Tiere haben "höhere Empathiewerte", sie haben "ausgeprägte soziale Fähigkeiten", sind in ihrer Schulklasse beliebter und "können auch besser auf Menschen zugehen".

Meine Kinder sind also gewissermaßen doppelt gestraft: Nicht nur haben sie keine Tiere, ihnen entstehen dadurch womöglich auch noch deutliche soziale Nachteile. Man möchte fast doch ein Pony holen oder zumindest einen Karnickelstall auf den Balkon.

Bevor ich erkläre, wie es zu unserer Tierlosigkeit kam, und warum ich den Kindern kein Haustier erlaube, eine Feststellung vorab: Es gibt kein Leben mit Kindern ohne Tiere. Denn selbst, wenn man sich gegen Haustiere entschieden hat, bleiben sie als eine Art Phantomschmerz immer präsent. In den sehnsüchtigen Blicken der Kinder auf den an den Straßenrand kackenden Nachbarshund, in ihren vorwurfsvollen Berichten aus dem Sachkundeunterricht, wo alle, "aber auch wirklich alle, Papa", von ihren Haustieren erzählen sollten, "nur ich hab ja keins".

Sie übertreiben, denn ich kenne ja die anderen tierlosen Eltern. Während die Hunde-Eltern morgens in Rudeln schwarze Beutel schwenkend lange Spaziergänge machen, nicken wir Ohne-Tier-Eltern einander mit leeren Händen und womöglich weniger vollen Herzen knapp und solidarisch zu. Aber dass es sich für die Kinder immer wieder so anfühlt, als wären sie die Einzigen, glaube ich trotzdem sofort.

Nein, die Kinder werden den Käfig nicht sauber machen

Ich kann mich immerhin hinter zwei Tatsachen verstecken: Meine Tochter hat eine diagnostizierte schwere Tierhaarallergie, und meine Frau hat eine diagnostizierte schwere Abneigung gegen Tiere im Haus. Tiere kamen in ihrer Herkunftsfamilie einfach nicht vor. Ich dagegen habe im Alter von zwei bis 19 Jahren mit Tieren in einer Etagenwohnung gewohnt. Es begann damit, dass die Nachbarin mir nach dem Wurf ihrer Dackelhündin einen Welpen in die Hand drückte, obwohl ich gerade laufen und kaum sprechen konnte, und mir mitteilte, dieses Tier würde nun mir gehören. Ich war begeistert, meine Eltern zuckten die Achseln und gingen fortan drei- bis fünfmal am Tag mit dem Hund um die vier Ecken. Das war wunderbar, und trotzdem bekommen unsere Kinder kein Haustier.

Denn machen wir uns in einer Hinsicht gleich gar nichts vor: Kinder lernen durch Haustiere nicht Verantwortung, egal, wie sehr man sich das als Eltern einreden mag. Und egal, wie inbrünstig die Kinder ihre unsterbliche Seele durch falsche Versprechungen aufs Spiel setzen: Nein, sie werden nicht den Käfig sauber machen, sie werden nicht das Wasser im Aquarium wechseln, sie werden nicht die Meerschweinchenkrallen schneiden, sie werden nicht die Futterdosen holen, öffnen und in Näpfe leeren, und sie werden auch nicht an einem Schulmorgen um halb sieben im Schnürlregen stehen und dem Hund den Gassibeutel bereithalten. Zumindest nicht dauerhaft.

Weil es entweder ihre Fähigkeiten übersteigt oder weil die beschriebenen Tätigkeiten auf Dauer nun mal überwiegend sehr langweilig und mühsam sind, und Kinder sind ja nicht bekloppt. Sie holen sich vom Haustier eher die ganzen guten Sachen, die Empathiefähigkeit und die Beliebtheit, und, wie der Erziehungswissenschaftler Gebhard auch noch sagt, das Sicherheitsgefühl und die Geborgenheit. Der Rest bleibt an den Eltern hängen. Sodass die Kinder am Ende zwar ein Tier bekommen, aber auch regelmäßig einen Anschiss latent dauergenervter Eltern: Du hattest doch versprochen, dass ...

Nun hätten wir die Atemwegsprobleme unserer Tochter in Haustierhinsicht natürlich trotzdem durch etwas Unbehaartes wie eine Schildkröte umgehen können oder durch winterharte Nager auf dem Balkon. Ich persönlich liebe Tiere, aber ich liebe auch meine Freiheit. Und ich liebe mein seelisches Gleichgewicht. Aus meiner Kindheit erinnere ich mich daran, dass Haustiere beides gefährden.

Diese Erinnerung konnte ich auffrischen, als meine Frau zwischendurch den Fischkompromiss vorschlug. Warum sollte unser Sohn für die Allergie seiner Schwester büßen, und interessierte er sich mit acht nicht gerade ganz wunderbar für Meerestiere? Ich persönlich hatte keine Erfahrung mit Fischen, aber es stellte sich heraus, dass Fische die einzigen Tiere waren, die je im Haushalt meiner Frau vorgekommen waren. Ihre Schwester hatte welche gehabt, sagte meine Frau, "und das war völlig unproblematisch, und wenn man so Putzerfische oder so was nimmt, muss man auch gar nicht viel sauber machen."

Ich zählte die Fische runter, aber die letzten drei wollten ewig leben

Ich habe meiner Frau immer vertraut und werde das sicher auch irgendwann wieder können, aber die vier Jahre mit Fischen beziehungsweise die zweieinhalb Jahre mit Fischen und die anderthalb Jahre mit Restfischen waren für mich als Fischvater außerordentlich arbeitsintensiv. Der Achtjährige war mit dem Wasserwechsel und der doch recht aufwendigen Instandhaltung des Aquariums technisch überfordert, also sprang ich kurz ein und kam fortan nie wieder raus aus der Nummer. Das Kind übernahm allerdings, wenn man so will, die emotionale Arbeit: Vor allem anfangs hatten alle über 20 Fische im Aquarium eigene Namen, und jeder einzelne Todesfall wurde völlig zu Recht tief betrauert.

Fische sterben wie die Fliegen. Jede Urlaubsrückkehr wurde auf diese Weise zum Drama: Zwar hatten die Nachbarn oder der Futterautomat die Fische versorgt, aber was, wenn diese Versorgung nicht lebenserhaltend genug gewesen war? Kaum hatten wir das Auto geparkt, rannte das Kind zu den Fischen. Wenn ich je einen kurzen, nachdenklichen Aquarium-Ratgeber schreiben sollte, werde ich ihn "Schreie aus dem Kinderzimmer" nennen.

Es gab natürlich auch sehr schöne Stunden mit dem Aquarium, zum Beispiel, wenn wir abends davor saßen, den Fischen bei ihren erstaunlich abwechslungsreichen Aktivitäten zusahen, oder als wir einen größeren Wurf Babyfische davor retteten, von ihren Eltern gefressen oder von der Pumpe eingesaugt zu werden. Bald aber verlor das vorpubertäre Kind das Interesse an dem, was es sich so tief gewünscht hatte, und spätestens zu diesem Zeitpunkt war ich Aquarianer wider Willen.

Ich zählte die Fische runter, aber die letzten drei Neons wollten ewig leben. Ich half ihnen in eine Wassertüte und ging zum Zoogeschäft, in der Hoffnung, man würde sie zurücknehmen und in einen Schwarm lassen. "Na gut, geben Sie mal her", sagte der junge Mann, aber sein Blick sagte "Ich spül' die für Sie ins Klo", darum fuhr ich mit der Fischtüte im Sommer in den Park und ließ die drei Neons in einem kleinen Weiher frei. Artgerecht nur, was meine Art anging: die des für Tiere im Grunde zu sentimentalen Menschen.

Mit jedem Tier holt man sich also den Tod ins Haus. Denn man hat ja keinen Elefanten, der einen überleben wird. Selbst ein Pferd stirbt spätestens in einem Alter, in dem Politikerinnen und Schriftsteller noch als Nachwuchshoffnung gelten, mit 40. Meine Schwester und ich hatten insgesamt einen Hund, zwei Mäuse, zwei Vögel, zwei oder drei Meerschweinchen (ich schäme mich, dass ich hier den Überblick verloren habe), und alle diese Tiere sind tot.

Wenn ich ehrlich bin, erinnere ich mich am deutlichsten an die Sterbephase und die Beerdigungsrituale all dieser Tiere, und ich gebe durchaus zu, dass gerade die Beisetzungen schön waren. Aber der Weg dahin war immer wieder furchtbar. All die Besuche in der Veterinärpraxis für Kleintiere am anderen Ende der Stadt, wo die Ärztin versuchte, den mir so wundersam zugeflogenen Kanarienvogel Fridolin mit kostspieligen Vitaminpräparaten wieder aufzupäppeln. Um nur ein Beispiel zu nennen. Und: Ich habe meinen Vater nur zweimal weinen sehen, und das eine Mal war, als unser Hund starb. Will ich das den Kindern ins Haus holen?

Das Haustier wäre der eine Kompromiss zu viel gewesen

Nun gibt es die Sichtweise, dass gerade dies so groß und wichtig am Tiere­haben ist: Kinder lernen, mit der Endlichkeit und mit Abschieden umzugehen. Ist es egoistisch, dass ich lieber ohne Haustierlogistik in den Urlaub fahren will, statt meine Kinder am lebenden Objekt mit dem Prinzip Sterblichkeit vertraut zu machen?

Das mag sein, und nach mehr als 14 Jahren als so gut wie haustierloser Familienvater würde ich inzwischen sagen: Und ich stehe zu diesem Rest Egoismus. Meine Frau hat sich im Ernst mit dem Thema Tiere im Haus nie auseinandersetzen müssen, weil es für sie einfach keins ist. Ich bin im Herzen jemand, der Kühe auf der Weide ankumpelt und der um die Zuneigung jeder Nachbarskatze buhlt. Darum muss ich am Ende vielleicht einfach zugeben: Ich mag Tiere, aber die Kinder haben keine, weil ich zu bequem, zu empfindlich und zu bedacht auf meine Bewegungsfreiheit und Zeitautonomie bin.

Haustiereltern werden hierüber die Stirn runzeln, aber ich gebe zu: Ich bin ein bisschen stolz darauf, dass ich es geschafft habe, kein dauerhaftes Haustier anzuschaffen. Ich habe so viele Kompromisse gemacht für die Kinder, und jeder einzelne davon war richtig, aber der, ihnen doch ein Haustier zu ermöglichen, wäre genau einer zu viel gewesen. Ich habe das Gefühl, durch die Vermeidung mehr für den Seelenfrieden der Familie getan zu haben, als jedes Tier das gekonnt hätte. Und eines Tages werde ich einen Experten oder eine Expertin finden, die mir bestätigt, dass haustierlose Kinder mehr Frustrationstoleranz, mehr Zeit für ihre Freunde und zufriedenere Eltern haben.

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