Interview:Super, dieser Staub!

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Gekritzel? Kabelsalat? Nein: So sehen Wollmäuse aus allernächster Nähe aus. Ziemlich schick, oder? (Foto: imago/blickwinkel)

Aber wie toll genau? Ein Gespräch mit dem Umweltforscher Jens Soentgen über Wollmäuse unterm Bett, den flüchtigen Geschmack von Feinstaub und warum Saugen in der Wohnung eigentlich ein bisschen sinnlos ist.

Interview: Christina Waechter

SZ: Herr Soentgen, ich habe gerade extra unter mein Bett geschaut: alles voller Staub. Was macht der da?

Jens Soentgen: In unseren Wohnungen gibt es Staub, weil wir darin wohnen. Wir bewegen uns, benutzen Kleider oder Bettbezüge und da schubbern sich ständig kleine Fussel ab. Von uns selbst übrigens auch, als Hautschuppen. Und die sammeln sich am liebsten da, wo sie geschützt sind - zum Beispiel unterm Bett. Aber auch unter oder auf dem Schrank.

Würde etwas Schlimmes passieren, wenn ich einfach nie mehr staubsauge?

Ich war schon in Wohnungen, wo bestimmt seit sehr langer Zeit nicht mehr geputzt wurde. Der Staub sammelt sich einfach immer weiter an und verfilzt mit der Zeit. Da passiert aber nichts Schlimmes, solange er nicht feucht wird ...

Was macht feuchter Staub?

Da kann sich Schimmel bilden - und das ist gefährlich für uns Menschen.

Also können alle Kinder ab jetzt ihren Eltern sagen: Lass mich! Staub ist gar nicht schlimm?

Sagen wir so: Für viele Menschen, also für die, die nicht allergisch sind, ist Hausstaub ziemlich harmlos.

Komisch, dass er Erwachsene trotzdem immer so stört.

Das hat mit unserem Schönheits- und Reinheitsgefühl zu tun. Kinder finden Staub oft interessant. Der bewegt sich ja und verändert sich. Bei uns heißen größere Staubknäuel Wollmäuse und da steckt ja schon etwas Lebendiges darin. Die sind grau, bewegen sich und verstecken sich gerne unterm Bett - genau wie echte Mäuse. Aber das ist eigentlich nicht der Staub, den Wissenschaftler erforschen. Die beschäftigen sich mit einer Art Staub, die wirklich gefährlich ist. Staub nämlich, der so klein ist, dass man ihn nicht sehen kann.

Jenseits des Staubsaugers also. Und was ist an diesem Ministaub jetzt so gefährlich?

Weil er so winzig klein ist, kann er in unseren Körper eindringen. Man nennt diesen Staub Feinstaub. Der ist so fein, dass man ihn gar nicht sehen kann, höchstens mal im Winter als Qualm aus dem Kaminfeuer oder am Auspuff von Autos. Man kann ihn eigentlich auch nicht schmecken. Nur sehr selten, wenn man zum Beispiel ganz schnell mit dem Fahrrad einen Berg hochgefahren ist und oben anhält und dann Autos an einem vorbeifahren, dann spürt man manchmal so ein pelziges Gefühl auf der Zunge: Das ist der Feinstaub.

Ist Feinstaub Staub, der einfach mit der Zeit immer ein bisschen kleiner geworden ist?

Nein. Der normale Staub kommt von größeren Dingen, wie von unserem Pullover oder unserer Haut. Der Feinstaub entsteht im Grunde aus den kleinsten Dingen, die es gibt - aus Atomen und Molekülen. Wenn die sich zusammenrotten, entstehen sehr kleine, luftleichte Partikelchen. Die atmen wir ein und sie setzen sich dann in unserem Körper fest. Das kann krank machen.

Und weniger atmen ist auch nicht wirklich die Lösung ...

Luft ist eigentlich unser wichtigstes Nahrungsmittel, auch wenn sie uns nicht direkt ernährt. Aber wir brauchen sie, um die Nahrung verwerten zu können. In der Luft ist Sauerstoff drin, den atmen wir ein, dann geht er in unser Blut über und am Ende schaffen Sauerstoff und Nahrung zusammen die Energie, die uns am Laufen hält.

Hä?

Wir funktionieren auch nicht viel anders als ein Automotor. Der braucht auch Luft und Nahrung - nur ist das bei ihm Benzin - um zu fahren. Wir brauchen die Luft, um die Nahrung zu verwerten.

Ist Feinstaub immer in der Luft?

Eigentlich schon. Aber jetzt sind wir gerade in der allerschlimmsten Zeit: Es ist ungemütlich und nass, das heißt, viele Menschen fahren mit dem Auto in die Arbeit: Feinstaub. Es ist kalt, das bedeutet, dass viele Leute ihren Kamin oder Holzofen anzünden - noch mehr Feinstaub. Dazu kommt noch, dass im Winter häufig die Luft in der Stadt sozusagen drinhockt und nicht raus kann, so dass sich der ganze Feinstaub dort ansammelt und herumschwebt. Und an Silvester, wenn die Menschen böllern und Raketen in die Luft schießen, dann ist noch einmal viel, viel mehr Feinstaub in der Luft. So viel, dass wir unsere Messgeräte abschalten müssen. Manchmal hängt am 1. Januar über größeren Städten ein richtiger Feinstaub-Nebel.

Jetzt will ich noch mal über den Staub reden, den wir sehen können: Was fasziniert Sie eigentlich so an diesem Zeug?

Ein Merkmal von Staub ist, dass er ein echter Nomade ist, der wandert und dabei unglaublich weit herumkommt. Wenn es zum Beispiel in der Sahara stürmt, wird viel Staub aufgewirbelt, nicht unbedingt ganze Sandkörner, sondern feinere Partikel - Staub eben. Und der kommt in den Wolken bis über die Alpen zu uns. In Bayern kann man das oft im März oder April feststellen, wenn plötzlich der Himmel total gelb ist und die Luft ganz warm. Ist das nicht toll? Die wenigsten Menschen hier in Deutschland waren schon mal in der Sahara. Aber die Sahara war schon ganz oft bei uns.

Wird aus allem, was es auf der Welt gibt, einmal Staub?

Das allermeiste. Und umgekehrt: Vieles, was es auf der Welt gibt, fing als Staubkorn an. Der Apfel, den du isst, die Jeans, die du anhast, die alle hängen von Staub ab. Nämlich dem Blütenstaub, denn nur durch den kann eine Pflanze befruchtet werden. In der Natur hat Staub also eine unglaublich wichtige Funktion: Pflanzen können sich nicht bewegen, aber Blütenstaub schon. Und aus dem bildet sich dann die Frucht. Gleichzeitig ist es so: Wenn wir Dinge verwenden, rieselt notgedrungen immer was ab, das wird zu Staub. Es ist also ein ständiger Kreislauf: Aus Staub wird etwas und aus diesem Etwas wird wieder Staub.

Das sind doch wirklich gute Argumente gegen diesen Antistaubfimmel der Erwachsenen!

Hier ist noch eines: Wir werden Staub nie loswerden können. Es gibt ja geradezu einen Rüstungswettlauf gegen Hausstaub. Aber das wird niemals dazu führen, dass dieser Staub wirklich weg ist. Am Ende wird er sich gegen uns durchsetzen. Also kann man sich da ruhig mal entspannen.

© SZ vom 31.12.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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