Historie:Was für Typen

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Vor 550 Jahren starb Johannes Gutenberg, der Erfinder des Buchdrucks. Vor 14 Jahren schuf Mark Zuckerberg Facebook. Beide haben die Gesellschaft radikal verändert.

Von Detlef Esslinger

Nur mal angenommen, Johannes Gutenberg hätte nie gelebt, und auch sonst wäre keiner auf die Idee gekommen, den Buchdruck zu erfinden, zumindest in seinem 15. Jahrhundert nicht. Wäre das nicht ein Segen gewesen für die Menschheit, damals?

In Mainz macht immer um neun Uhr am Morgen das Gutenberg-Museum auf, und es ist dann gleich gut gefüllt. Die eine Schulklasse lärmt im Foyer und wird zurechtgewiesen ("Unten ist eine Vorführung, und das stört sehr!"), die andere bekommt eine Einführung in frühe Drucktechnik ("Now I can show you an original Matrize"), die nächste besieht sich die Unterschiede zwischen einer handgeschriebenen und einer gedruckten Bibel ("Oooh, oooh!"), beide in Latein. Heute gilt Bücherlesen ja als Wert an sich; wenn man über jemanden sagt, er sei ein Büchermensch, ist das immer als Kompliment gemeint. Aber war dies abzusehen, als Johannes Gutenberg, geboren um 1400 in Mainz und dort auch gestorben, angeblich am 3. Februar vor 550 Jahren, den Buchdruck erfand?

Ungefähr 1450 soll dies gewesen sein, und wenn man mit Cornelia Schneider spricht, der Kuratorin für Buchkunst des Museums, erzählt sie, wie der Buchdruck zunächst den damals Herrschenden half, vor allem der Kirche. Anderthalb Jahrtausende lang hatte sie versucht, eine einheitliche Bibel herauszugeben. Nun endlich war es möglich. Und dann die Prunksucht der Päpste: Mit Ablassbriefen wurde sie finanziert. Die Menschen kauften der Kirche diese Briefe ab, oft zum Preis eines Monatslohns, in der Hoffnung, dem Fegefeuer zu entgehen - und warum wohl florierte der Handel damit gegen Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts? Im Ausmalen der drastischen Folgen, was ohne Ablass passiert, waren die Kirchenherren ja schon immer talentiert. Doch erst jetzt konnten sie über Nacht immer hunderte neue Briefe herstellen, per Druck. Cornelia Schneider sagt: "Für den Ablasshandel war der Buchdruck ein Segen!"

Zuckerberg erlebt die Folgen seiner Erfindung täglich, das war bei Gutenberg anders

Und wer noch nie in ihrem Museum war, der hat vielleicht "Die Puppenspieler" gelesen, den Historienroman von Tanja Kinkel. Die widerlichste Figur darin ist ein Inquisitor namens Heinrich Institoris, den es im 15. Jahrhundert wirklich gab und der führender Theoretiker der Hexenverfolgung war. Um 1486 verfasste er sein Hauptwerk, den "Hexenhammer". Zu einem Beschleuniger der damaligen Raserei konnte es nur werden, weil es nicht mehr nur eine Handschrift war, sondern weil es gedruckt werden konnte; 30 000 Exemplare.

Mark Zuckerberg bekam von der Welt am Sonntag vor zwei Jahren die Frage gestellt, was seine Erfindung Facebook wohl noch alles anrichten wird in der Welt; ob sie sich, alles in allem, als eine Verheerung oder doch noch als Segen erweisen wird. Zuckerberg antwortete mit einem historischen Vergleich; er nahm aber nicht das 15., sondern ein späteres Jahrhundert: "Die aktuelle Diskussion erinnert mich daran, dass man im 18. Jahrhundert zusammengesessen und sich gesagt hat: Oh, eines Tages haben wir vielleicht Flugzeuge, und sie könnten abstürzen. Dennoch hat man erst die Flugzeuge konzipiert und sich dann um Flugsicherheit gekümmert. Wenn man sich zuerst um die Sicherheit sorgte und alle Probleme lösen wollte, würde man nie ein Flugzeug entwickeln."

Ein Vergleich zwischen Zuckerberg und Gutenberg liegt nicht deshalb nahe, weil die beiden Namen so schön ähnlich sind. Und er ist nicht deshalb absurd, weil es erst anderthalb Jahrzehnte her ist, dass Zuckerberg die Idee zu Facebook hatte. Zwar ist ein solcher Zeitraum eigentlich viel zu kurz, um diesen Mann in Relation zu setzen zu demjenigen, der in der Renaissance die bedeutendste Erfindung des zweiten Jahrtausends machte. Aber: Zuckerbergs Erfindung könnte sich als ähnlich weltstürzend erweisen wie die von Gutenberg. Die Folgen seiner Erfindung kann er täglich erleben, anders als einst Gutenberg.

Buchdruck: Im 15. Jahrhundert begann der Siegeszug des gedruckten Buchstabens. Fotos: Bildagentur online, Imago, dpa; Montage: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov)

Cornelia Schneider aus dem Museum muss mit den Schultern zucken auf die Frage, ob Gutenberg einen politischen Antrieb hatte. Über den Mann ist kaum etwas bekannt, man weiß nicht einmal, wie er aussah - wahrscheinlich hatte er weder den Bart noch die Mütze, womit er auf allen Porträts zu sehen ist; beides war jedenfalls nicht die Mode seiner Zeit. Das Museum ist eine Einrichtung, deren vier Stockwerke gut gefüllt sind; eigentlich ist es sogar ein bisschen überladen. Nur: Fast überall dort geht es um die Geschichte des Druckens. Für Gutenberg selbst reicht es nur zu vier Vitrinen im dritten. Und indem er circa 18 Jahre nach seiner Erfindung starb, verpasste er deren erste weltstürzende Konsequenz um ein halbes Jahrhundert: Martin Luthers 95 Thesen wären womöglich ein lokales Phänomen aus Wittenberg geblieben, hätte der Autor vor Gutenberg gelebt. 1517 aber konnten Drucker sich die Thesen greifen, und nach einigen Wochen kannte man sie im ganzen Land.

Erst erfinden wir das Flugzeug, dann schauen wir mal, wie sicher es ist

Was man erkennt, wenn man in Mainz durchs Museum geht: wie Gutenbergs Erfindung erst im Laufe von Jahrzehnten und Jahrhunderten reifte - technisch, indem zunächst der Holzschnitt und erst im 16. Jahrhundert der Kupferstich das wichtigste Verfahren zur Illustrierung wurde; kaufmännisch, indem 1604, also 150 Jahre nach Gutenberg, zum ersten Mal Bücher auf einer Auktion gehandelt wurden; inhaltlich, indem im Zuge der Kolonisation des 16. und 17. Jahrhunderts Genres wie Atlanten und Ansichtenwerke entstanden.

Vor den Schautafeln stehend, begreift man auch, dass Gutenbergs Erfindung den Lauf der Welt zwar veränderte, die Menschen aber nicht überwältigte. Die Drucke mit Luthers Thesen mussten von Postreitern über Land gebracht werden, ebenso wie noch 200 Jahre später die gut hundert Zeitungen, die es dann gab auf deutschem Gebiet. Eisenbahn, Telegraf und Telefon kamen erst im 19. Jahrhundert hinzu, verteilt über mehrere Jahrzehnte; Fernschreiber, Satellit und Fax erst in dem Jahrhundert darauf. In der Gutenberg-Galaxis hatte die Menschheit noch Zeit, sich an neue Techniken zu gewöhnen.

In der Zuckerberg-Galaxis indes? Es ist ja eben nicht so, wie der Facebook-Erfinder es darstellt: dass er 2004 lediglich das nächste Medium nach "Zeitungen, Telefonen, Fernsehern" bereitgestellt hätte. Sondern sein Medium markiert genauso einen Epochenbruch wie im 15. Jahrhundert der Buchdruck. Der Epochenbruch, den Gutenberg bewirkte, war, dass Texte nun von sehr vielen Menschen empfangen werden konnten. Bei Zuckerberg besteht er darin, dass nun genauso viele Menschen senden wie empfangen können, nämlich alle - aber indem er innerhalb von ein paar Jahren über die Menschheit kam, ist er viel brutaler. 1464 kommunizierte man noch genauso miteinander wie 1450. Doch 2018? Ist alles ganz anders als 2004.

Vor Zuckerberg brauchte jeder, der senden wollte, einen Verlag oder einen Rundfunk. Nun reichen Internetanschluss und ein paar Sekunden Zeit. Jeder kann senden: was die SPD machen soll, dass man mit zwei Schulfreunden in Brunn am Gebirge in der Wirtschaft sitzt, dass Websites wie die sehr rechte Epoch Times oder die sehr linken Nachdenkseiten die einzigen sind, die noch die Wahrheit schreiben. Die wer? In der Zuckerberg-Galaxis gibt es sozusagen ein Deutungs-Polypol. Es hat jenem Deutungs-Monopol der etablierten Medien ein Ende gemacht, das diese in der Gutenberg-Galaxis für selbstverständlich gehalten hatten.

Gutenberg

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(Foto: dpa)

Irgendwelche Daten braucht man ja. Also legte die Gutenberg- Gesellschaft die Geburt von Johannes Gutenberg aufs Jahr 1400 fest. Was den Todestag betrifft, gibt es immerhin eine Notiz von 1468: "uf Sankt-Blasius-Tag", in Mainz. Das wäre der 3. Februar.

Zuckerberg

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(Foto: Michael Reynolds/dpa)

Lediglich "irgendwelche" Daten? Bei Mark Zuckerberg wird die Nachwelt sicher nicht auf willkürliche Festlegungen und Spekulation angewiesen sein. Geboren am 14. Mai 1984 in White Plains, US-Staat New York, jetziger Wohnort: Palo Alto.

"And that's the way it is", so ist es nun mal - mit dem Satz beendete der amerikanische Moderator Walter Cronkite zwei Jahrzehnte lang seine Abendnachrichten bei CBS, bis 1981. Was für eine Anmaßung. Heute kann jeder Kluge, jeder Geltungsbedürftige und jeder Obskurant sein eigener Cronkite sein; zwar nicht jeder mit einem Millionenpublikum, aber mit der technischen Chance darauf.

Vielleicht war es ja wirklich so, wie Mark Zuckerberg es immer erzählt. Dass er seine "Mission" nur darin sah, "die Welt miteinander zu verbinden". Vielleicht ist das zumindest die halbe Wahrheit: Wir erfinden jetzt erst mal das Flugzeug, und sollte es Probleme mit der Sicherheit geben, können wir uns darum immer noch kümmern. Doch eine halbe Wahrheit ist mitunter irreführender als die ganze Lüge. Frühere Manager von Facebook haben vor Kurzem berichtet, worum es ihnen immer ging: Facebook so zu konstruieren, dass die Menschen möglichst viel Zeit dort verbringen. Je länger sie bleiben, umso mehr Daten liefern sie. Umso mehr Werbung kann man ihnen zeigen. Umso mehr Geld kann man mit ihnen verdienen. Daher dieses System aus Likes und aus Kommentaren, in dem jeder senden, empfangen und wieder senden kann: um bei den Nutzern Dopamin und damit ein Glücksgefühl auszuschütten, das süchtig macht. "Facebook ist legales Crack", sagt Zuckerbergs früherer Manager Antonio Martínez.

Facebook als neues Medium überwältigt alle: seine Schöpfer, seine Anwender, die Politiker

Crack ist deshalb eine gute Bezeichnung, weil Facebook Verheerungen anrichtet: indem seine Algorithmen jedem, der die Welt ohnehin für eine einzige Verschwörung hält, Verschwörungstheorien zuspielen; indem sie Zehntelwissen und Hörensagen zur Basis realer Kommunikation machen; indem sie Faktenverdrehern die Chance geben, mithilfe von 100 oder 200 Aliasnamen eine Masse Gleichgesinnter zu simulieren und Diskussionen zu lenken; indem sie russischen Propagandafabriken eine Bühne geben, ohne dass Benutzer eine Chance haben, diese Fabriken als solche zu erkennen; indem sie Populisten und Aufklärern unterschiedslos denselben professionell anmutenden Auftritt verschaffen; indem Menschen Facebook - oder Twitter oder Google - für eine Quelle halten. Auf die Frage der Welt am Sonntag, ob Facebook eine Vertriebsplattform sei oder ein Verlag (also eine Firma, die kuratiert, gewichtet, lektoriert), antwortete Mark Zuckerberg: "Eine Vertriebsplattform. Ganz klar." Er hat damit aber den Hexenhammer des 21. Jahrhunderts geschaffen, nur mit noch gravierenderen Folgen.

Der Mensch hat ein grundlegendes Bedürfnis nach Überschaubarkeit und Gewissheit, schreibt der Sozialpsychologe Ernst-Dieter Lantermann. Digitalisierung und Globalisierung, diese Geschwister, haben bewirkt, dass diese Bedürfnisse oft nicht mehr befriedigt werden - mit der Folge, dass Menschen fliehen: in eigene Gewissheiten. "Radikalismus und Fanatismus sind keine zwangsläufige Antwort auf die Zumutungen, die eine moderne Gesellschaft an ihre Mitglieder stellt", schreibt Lantermann, "allerdings eine Option, die immer häufiger gewählt wird." Und Facebook ist das Werkzeug dazu.

Ein grundstürzendes Medium, das derart schnell über die Menschheit kommt, muss alle überwältigen: seine Schöpfer, seine Anwender, die Politiker. Das Problem ist, dass die demokratischen Gesellschaften dieses Medium sehr viel schneller in den Griff bekommen müssten, als sie dessen Mechanismen überhaupt kapieren; ganz einfach um ihrer Zukunft willen. Man mag das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegen Hetze und Fake News für grundrechtswidrig, hilfsweise für lachhaft halten, und ebenso den ähnlichen Entwurf der französischen Regierung. Aber sollen Politiker einfach abwarten? Bis irgendwem irgendwann die große Lösung einfällt? Bis Zuckerbergs Konzern gern auf ein paar Millionen Lügen und damit ein paar Millionen Dollar verzichtet? Oder bis sich der übernächste US-Präsident an die Zerschlagung dieses Konzerns wagt, so wie einer seiner Vorgänger, Theodore Roosevelt, zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei Standard Oil, der weltbeherrschenden Company von damals?

Johannes Gutenberg war auch ein Geschäftsmann, so viel lässt sich über ihn sagen. Er erfand nicht nur die beweglichen Lettern, er stellte auch sogenannte Pilgerspiegel her. Schon zu seiner Zeit fuhren die Menschen nach Aachen, wo alle sieben Jahre ein Kleid, eine Windel und zwei Tücher gezeigt wurden, die von Maria, Jesus und Johannes dem Täufer stammen sollen. Die Pilger standen davor, hielten Gutenbergs Spiegel hin und hofften, dass sich auf diese Weise die Kraft der Reliquien auf sie übertragen würde. Es muss ausgesehen haben wie heute, wenn die Leute immer ihre Smartphones recken.

Rührend, und im Vergleich zu Facebook sowieso.

© SZ vom 03.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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