Historie:Ging doch

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Jutta Limbach, Anne Klein, Walter Momper, Ingrid Stahmer, Barbara Riedmüller-Seel (vorn, v.l.), Sybille Volkholz, Anke Martiny-Glotz, Michaele Schreyer, Heide Pfarr (hinten, v.l.). (Foto: Paul Glaser/dpa)

1989 hatten Frauen die Mehrheit im Berliner Senat. Sie wollten anders Politik machen. Und hatten Erfolg.

Von Jens Schneider

Die Liste sah aus, wie die Listen immer aussahen. Jutta Limbach brauchte nicht lange, um den Makel zu entdecken. Die Spitze des Kammergerichts muste neu besetzt werden, das prominenteste Richteramt Berlins. Man legte der Justizsenatorin drei Namen vor, nur Männer. "Sagen Sie mal", fragte sie spontan, "fällt Ihnen überhaupt keine Frau ein?"

Das war im Frühjahr 1989, Berlin war noch geteilt. Die Frage wäre wohl kaum gestellt worden, hätte Berlins Senat nicht kurz zuvor ein ungeschriebenes Gesetz der Macht auf den Kopf gestellt: Zum ersten Mal in Deutschland gehörten einer Regierung mehr Frauen als Männer an. "Es war ein Anfang, absolut außergewöhnlich", sagt Jutta Limbach, die später Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts werden sollte. Sie zählte zu den acht Frauen, die der Sozialdemokrat Walter Momper in den Senat für West-Berlin berief. Sechs Männer gehörten dem Kabinett an.

Dieser Senat hielt keine zwei Jahre, nur bis zum Herbst 1990, aber er markierte eine Zäsur. Er zeigte, dass es selbstverständlich geht, "kein Risiko ist, keine Ausnahme". So sagt es Michaele Schreyer, die Umweltsenatorin, die später EU-Kommissarin wurde. Auf die Zeit werden sie alle noch oft angesprochen, zumeist von Frauen.

Es war ein Coup für Momper. Er wollte ein Zeichen des Aufbruchs setzen, das zu seinem rot-grünen Senat passte, einem damals noch umstrittenen Regierungsmodell, das er selbst zunächst nahezu ausgeschlossen hatte. Sein Schattenkabinett bestand weitgehend aus Männern. "Da hat er nicht im Traum daran gedacht, dass er regieren könnte", erinnert sich Heide Pfarr, die Senatorin für Bundesangelegenheiten wurde. Nach einem überraschenden Wahlerfolg bot sich die Chance, mit der Alternativen Liste zu koalieren, den heutigen Grünen. Ihm wurde Wortbruch vorgeworfen.

"Es wurde ein Spektakel daraus gemacht."

Von solchen Diskussionen habe er ablenken wollen und "einige Männer aus dem Schattenkabinett vermieden, mit denen er nicht regieren wollte", meint Pfarr. Einen "geschickten Schachzug" nennt es die damalige Schulsenatorin Sybille Volkholz, "ein Feminist ist er bestimmt nicht gewesen." Momper habe so die männlichen Netzwerke der SPD umgehen können, glaubt Anke Martiny, die Kultursenatorin: "Wir sind auch instrumentalisiert worden."

Egal, sie wollten die Chance nutzen. "Damals wurde viel davon gesprochen, dass Frauen einen anderen Stil in die Politik bringen könnten", sagt Jutta Limbach. Sie wollten weniger hierarisch zu führen, offen für Kritik und Beratung bleiben. Die Frauen trafen sich zum "Hexenfrühstück" wöchentlich in der Dienststelle von Heide Pfarr. Sie erzählt, wie ihre Kollegin Martiny dort einen Förderantrag für ein heikles Filmprojekt vorstellte. Die Regisseurin Heike Sander plante ihren Film über Vergewaltigungen durch sowjetische Soldaten 1945. "Das war damals ein Tabuthema, aber wir alle fanden es sehr wichtig. Wir haben lange diskutiert und am Ende Anke empfohlen, das Projekt zu finanzieren."

Da schmiedeten sie auch Strategien, um sich beizustehen, wenn eine Kollegin ins Kreuzfeuer geriet, in den Medien oder im Senat. "In dieser Runde wurde", sagt Ingrid Stahmer, "nicht vorgetanzt, wie toll wir sind, so wie es die männlichen Kollegen brauchten." Sie wollten nicht im Senat auf Fehler der anderen warten, nach dem Motto: besser, die kriegt es ab als ich. "Welche Frau", fragt Anke Martiny, "leidet nicht unter dem Gockelgehabe der Männer?" Die Verbindung hält bis heute, sie treffen sich jedes Jahr am Samstag vor Nikolaus.

Wenn die Frauen zurückblicken, fehlt der dröhnende Tonfall, mit dem viele alte Politiker sich an ihren Anekdoten wärmen. Sie reden auch von Schwierigkeiten und Grenzen. So berichtet die Sybille Volkholz, wie sie schwierige Anläufe unternahm, die Regelschulen für behinderte Kinder zu öffnen: "Ich habe viele Kämpfe durchgestanden für eine bessere Akzeptanz von behinderten Kindern." Anke Martiny bekennt, wie es ihr damals zusetzte, dass Zeitungen ihr Vorwürfe machten, nachdem sie als Senatorin "politik-freie Zeit" reklamiert hatte, um sich "Kraft, Neugier und Spannung für die Kultur" zu bewahren. Menschen in Spitzenpositionen müssten auch Muße haben. "Ich sehe bis heute nicht ein, dass mir das damals als Faulheit ausgelegt wurde."

Barbara Riedmüller, die Wissenschaftssenatorin, erzählt erbost von einem Zeitungsartikel jener Zeit. "Da wurden wir alle fotografiert und verglichen, welche von uns denn wohl die schönsten Beine hatte." Ständig sei ihr Äußeres taxiert worden. "Ich fand das nicht schön." Wie Exoten hätten manche Journalisten sie behandelt. "Es wurde ein Spektakel daraus gemacht, das war nicht immer gut." Sie hat keinen romantischen Blick auf diese Monate. "Ja, es war besonders", sagt sie. "Es war aber auch der Zeit weit voraus."

Ingrid Stahmer nennt es einen "zu großen Sprung in die Hoffnung der Zukunft", auch wenn sie ans Ende denkt. Die Mauer war gefallen, SPD und AL zerstritten sich. Der Bruch der Koalition sei entschieden worden, ohne sie einzubeziehen, erzählt Stahmer. Sie sucht in ihrem Schreibtisch den Brief eines Protokollbeamten hervor, der ihr das Jahre später bestätigte. Bitter sagt sie: "So ging das Machtspiel eben."

"Deutschland ist noch immer ein Land der Männerbastionen."

Momper bestreitet das. Aber auch für Jutta Limbach war dieses Ende ein Lehrstück über Macht, Männer und Frauen. "Ja, man hat geglaubt, uns Frauen in dieser Sache nicht fragen zu müssen", sagt sie. "Das hätte nicht passieren dürfen." Eine Lehre für sie: "Wir hätten doch mehr Gespür für Macht haben müssen."

Und was hat dieser Senat nun gebracht? Momper fällt am Telefon dazu ein: "Die haben alle schon ganz gut ihren Mann gestanden." Er habe das Ganze nicht so viel anders als mit Männern gefunden.

Es ging vielleicht um viele kleine Schritte. Die Bildungspolitikerin Sybille Volkholz findet sie wichtiger als alle Symbolik. Sie habe in kleinen Schritten erreicht, dass die Schulen ein wenig freier entscheiden können, wie sie ihren Unterricht gestalten. Die Senatorin Anne Klein, sie ist 2011 verstorben, schuf das bundesweit erste Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen. Barbara Riedmüller konnte wie Kolleginnen in ihren Ressorts die Berufungsquote von Frauen in der Wissenschaft erhöhen.

Es gab Neuwahlen, an eine Neuauflage dachte niemand. "Es ging ja jetzt um richtige Politik", sagt Anke Martiny und lacht. Aber ihr Senat wurde zum Maßstab. Wer jetzt eine Regierung bildete, wurde gefragt, wie viele Frauen dabei sind: etwa nur halb so viele wie bei Momper?

"Deutschland ist noch immer ein verflixt konservatives Land mit festgefügten Männerbastionen", sagt Martiny - auch wenn es jetzt seit Jahren die Kanzlerin Angela Merkel gibt: "Wenn eine es aus welchem Grund auch immer nicht so gut macht, wird es auch heute noch trotz Merkel dem ganzen Geschlecht angelastet." Immerhin aber, sagt Barbara Riedmüller, habe das Exotische abgenommen.

"Wir haben gezeigt, dass es geht: Frauen können das alles auch." So formuliert es Jutta Limbach. Es reichte manchmal eine verdutzte Nachfrage. Als sie damals empört fragte, ob es denn keine geeigneten Frauen für das höchste Berliner Gericht gebe, "kamen, wie aus der Pistole geschossen, die Namen von drei Frauen, die genauso gut diesen Job machen konnten." Erstmals wurde eine Frau oberste Richterin Berlins. Gisela Knobloch führte das Kammergericht elf Jahre.

© SZ vom 19.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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