Hell's Kitchen (XII):Gnade

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(Foto: N/A)

Unser Kolumnist ist gerade in einem Chevrolet Tahoe unterwegs von US-Küste zu US-Küste, begleitet von einer Isländerin, die sehr schnell mit sehr vielen Menschen ins Gespräch kommt. Und begleitet von einem Gedicht aus New Orleans.

Von Christian Zaschke

Stan Vilensky hat geliefert. Er ist ein Dichter in New Orleans, den die Isländerin, meine Reisebegleiterin, dazu überredet hatte, ein Gedicht für die Leser dieser Kolumne zu schreiben. Seit geraumer Zeit bin ich in einem Chevrolet Tahoe unterwegs von Küste zu Küste. Erst war mein Anwalt mitgefahren, der einer meiner ältesten Freunde ist. Als er zurück nach Deutschland flog, ist die Isländerin zugestiegen, um mich eine gute Woche lang zu begleiten. Die Isländerin hatte binnen Stunden halb New Orleans, oder sagen wir: das halbe French Quarter in Gespräche verwickelt. So kam das mit dem Gedicht.

Meine bescheidene Meinung zu Stan Vilenskys Gedicht ist, dass schon viele weitaus schlechtere Gedichte verfasst wurden, unter anderem von mir selbst, als ich als 15-Jähriger Steffi K. aus B. mit meiner Schreibkunst zu beeindrucken suchte, was misslang. Es sind aber auch schon weitaus bessere Gedichte geschrieben worden (wenn auch nicht von mir). Vilensky hatte sich für das eher weite Thema "Amerika" entschieden, weshalb er großzügig in den Topf griff, in dem Wörter wie "Freiheit", "Wahrheit" und "Dunkelheit" lagern.

Am Schluss schreibt er: "Ich hinterlasse meine Spuren, / während der Wind die Historien löscht, / die fett- und fiesgesichtige Sieger gefälscht haben; / Land der Musen, der Schicksale und der Gnade." Statt mit Geld bedankte sich die Isländerin mit einem Lächeln von der Sorte, die sich in die Seele brennt, und ich bilde mir ein, dass Vilensky uns noch nachwinkte, als wir schon auf Lafayette zufuhren.

Auf der Fahrt erzählte die Isländerin, dass es im Süden Islands einen Strand gebe, von dem die Touristen regelmäßig von überraschenden Wellen ins Meer gerissen würden, während sie sich selbst fotografierten, und da viele dieser Touristen Asiaten seien, heiße der Strand jetzt im Volksmund "Chinese Takeaway Beach".

Entsprechend heiter gestimmt erreichten wir Lafayette, wo wir in der Mouton Plantation unterkamen. Zum Abendessen sei das "Blue Dog Café" empfohlen, in dem die Werke des Malers George Rodrigue hängen, der eines Tages beschlossen hat, in fast jedem seiner Bilder einen blauen Hund mit gelben Augen unterzubringen. Da die Isländerin binnen Minuten mit dem halben Lokal ins Gespräch vertieft war, erfuhren wir, dass der blaue Hund einmal in einer Werbung für einen schwedischen Wodka verwendet wurde, was gewissermaßen einen Bogen schlage von den schwülen Südstaaten der USA in den kalten Norden Europas.

Die Isländerin revanchierte sich für diese Information, indem sie Stan Vilenskys Gedicht vortrug, und ich bin mir sicher, dass der Dichter im 220 Kilometer entfernten New Orleans in dem Moment, als sie an die Stelle mit den Musen, den Schicksalen und der Gnade kam, einen ebenso unerklärlichen wie wohligen Schauder fühlte.

© SZ vom 23.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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