Hell's kitchen:Pfundig

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Unser Kolumnist fliegt von New York nach Nantucket - mit der Cessna: Da kommt's auf jedes Kilo an. Der Frau am Schalter muss er deshalb sein Gewicht verraten. Das wird und wird leider nicht weniger. Da hilft auch gegrilltes Knochenmark nicht.

Von Christian Zaschke

Von Hell's Kitchen, das in Manhattan links in der Mitte liegt, nach Nantucket, das in Massachusetts rechts oben vor der Küste im Atlantik liegt, kommt man so: Man steigt an der 50th Street in die U-Bahn-Station hinab und setzt sich in den E-Train. In diesem schaukelt man in einer guten halben Stunde zum Sutphin Boulevard, wo man in den Airtrain umsteigt, der an den Terminal am Flughafen JFK fährt. Das kostet 7,75 Dollar, also ungefähr so viel wie zwei Bier im Rudy's, einer exzellenten Schrottbar in Hell's Kitchen, von der aus verschiedenen Gründen nicht verraten werden kann, wo sie genau liegt.

Am Flughafen sucht man rund 20 Minuten den Terminal ab, bis man den bestens versteckten Schalter von Cape Air gefunden hat, an dem zwei freundliche Damen auf die Heerscharen von Passagieren warten, die Anfang Januar dringend nach Nantucket müssen.

Am Vortag der Reise war ich zum Mittagessen mit dem Kollegen O. im Restaurant Augustine in Downtown, das so aussieht, wie ein New Yorker Gastronom sich eine französische Brasserie vorstellt (also kein bisschen wie eine französische Brasserie). Man isst dort entweder Steak frites oder Moules frites. Beides absolut wunderbar. Ich aber hatte aus einer seltsamen Laune heraus das gegrillte Knochenmark bestellt. Das gegrillte Knochenmark schmeckte sehr knochenmarkig und hatte einen Nachgeschmack, der mich tagelang begleitete. "Machst du eigentlich immer noch dein Abnehmprogramm?", fragte O., der ausnahmsweise einen leichten Salat aß. "Klar", sagte ich, "allerdings nehme ich trotzdem weiter zu." O. blickte auf die schwarz gebrannten, unterarmgroßen Knochen auf meinem Teller und nickte.

Am Schalter von Cape Air informierten mich die beiden freundlichen Damen darüber, dass die Reise nach Nantucket in einer achtsitzigen Cessna vonstattengehen würde. Da komme es auf jedes Pfund an, weshalb sie bitte meine Tasche wiegen wollten. Sie wogen meine Tasche.

Dann fragte eine der Damen beiläufig, wie viel ich wöge. Ich lächelte. "Im Ernst, wie viel wiegen Sie?", fragte sie. "Das verrate ich Ihnen nicht", sagte ich freundlich. Die Damen schauten auf meine massige Gestalt und nickten.

"Leider", sagte eine von ihnen, "können Sie nicht mitfliegen, wenn wir Ihr Gewicht nicht kennen. Der Pilot muss exakt wissen, wie schwer die Maschine ist." Ich seufzte und verriet mein Gewicht, fast wahrheitsgemäß, ich zog nur ein paar Kilo ab. "Wie viel ist das in Pfund?", fragten die Damen. Zu meinem Telefon sagte ich: "Siri, wie viel ist das in Pfund?" Ich bilde mir ein, dass die Damen, als Siri mein Gewicht in Pfund angab, vor Schreck erbleichten.

Dass es der Pilotin später trotzdem gelang, die Cessna in den Himmel über New York zu wuchten, lag allein daran, dass ich im Augustine tags zuvor entgegen meiner Gewohnheit auf die Crème brûlée verzichtet hatte.

© SZ vom 12.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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