Hell's Kitchen (XLV):Fernost

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(Foto: N/A)

Unser Kolumnist bekommt Anrufe von chinesischen Maschinen und erinnert sich an eine Reise nach Peking, wo er das Herz einer Frau eroberte.

Von Christian Zaschke

Das Bürotelefon klingelte. Es ist schwarz. Wenn das Bürotelefon klingelt, ist entweder eine gewisse Süddeutsche Zeitung in der Leitung oder mein Freund V., der Fremdenführer. Ich ließ es eine Weile klingeln.

Alle anderen Menschen rufen mich auf dem Mobiltelefon an, und auch die chinesischen Ansagemaschinen haben offenbar die Nummer meines Bürotelefons noch nicht rausbekommen, weshalb sie ein- bis zweimal am Tag mobil durchklingeln. Leider weiß ich nicht, was die chinesischen Ansagemaschinen von mir wollen, da ich kein Chinesisch spreche. Vielleicht unterbreiten sie mir Angebote, die man nicht ablehnen kann, vielleicht wollen sie auch nur ein wenig plaudern.

Nach dem elften Klingeln hob ich den Hörer von der Gabel.

"V. hier", sagte V., "wir treffen uns um 18 Uhr in der Beauty Bar im East Village."

"Wir waren noch nie in der Beauty Bar im East Village", sagte ich.

"Eben", sagte V.

Offenbar hielt er das für eine ausreichende Erklärung. Er legte auf.

Wenn die chinesischen Maschinen anrufen, steht im Display des Telefons "Scam Likely", was sich recht frei mit "Beschiss wahrscheinlich" übersetzen lässt. Ich gehe trotzdem jedes Mal ran und lausche. Die Maschinen sprechen sanft und melodisch, fast immer haben sie Frauenstimmen. Manchmal bilde ich mir ein zu verstehen, dass ich jetzt eine Zahl drücken soll, und dann drücke ich immer die Acht, aber nie passiert etwas.

Ich drücke die Acht, weil ich weiß, dass die Chinesen sie sehr gerne mögen, da sie für Wohlstand steht. Als China zuletzt Olympische Spiele veranstaltete, begannen diese am 8. 8. 2008 um 20.08 Uhr. Ich war damals in Peking und erwähnte gegenüber einer vermutlich zu meiner Überwachung abgestellten, Deutsch sprechenden Chinesin, dass ich am 20. August Geburtstag habe. In jenem olympischen Jahr also: 20. 08. 2008. Auch der Hinweis darauf, dass ich bereits verheiratet war, brachte sie nicht von der Idee ab, mich jetzt und dort zu ehelichen, weil sie sich sicher war, dass dank meines Geburtsdatums dereinst große Reichtümer auf mich regnen würden.

Ich nahm den E-Train zur 14th Street und dann den L-Train rüber ins East Village, spazierte ein paar Meter und hockte mich neben V. an den Tresen. Er hatte gerade eine Tour beendet, was bedeutet, dass er erst einmal nicht spricht. Ich bestellte zwei Bier. In der Beauty Bar kontrolliert der Barmann alle Ausweise, bevor er Bier rausrückt. Er blickte auf mein Geburtsdatum, er blickte mich an. "Wir sind auf den Tag genau gleich alt", sagte er, "dann geht die erste Runde gleich mal auf mich."

"Sieh an", sagte ich zu V., "hatte die Chinesin damals also doch recht."

"Muss ich das verstehen?", fragte V.

"Absolut nein", sagte ich und hob mein Glas gen Fernost.

© SZ vom 30.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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