Hell's Kitchen (XLIV):Age-otori

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(Foto: N/A)

Unser Kolumnist hört von einer japanischen Vokabel, an deren Existenz er kaum glauben kann. Es wäre einfach zu schön.

Von Christian Zaschke

Nachdem ich kürzlich erwähnte, dass meine Tweedjacke ein Kleidungstück von so unauffälliger Lässigkeit sei, dass sie den Betrachter und vor allem die Betrachterin mit innerem Frieden erfülle, hat mich eine erstaunliche Menge an Leserpost erreicht. Ich bekomme öfter Post, mehr von Frauen als von Männern, aber in der Regel geht es dabei um die großen Themen.

Vor einigen Wochen schrieb zum Beispiel Leserin R., sie habe bei einem Besuch in New York zufällig das Rudy's entdeckt, eine exzellente Schrottbar, von der aus verschiedenen Gründen nicht verraten werden kann, wo sie genau liegt. Türsteher Tracy Westmoreland habe sie nach ihrem Ausweis gefragt, und es sei dies der schönste Moment ihres Aufenthalts gewesen.

Regelmäßig fragen Leserinnen, ob sie eine Tour bei meinem Freund V., dem Fremdenführer, buchen könnten (klar, jederzeit). Andere erkundigen sich beiläufig, ob mein Anwalt, mit dem ich vor einigen Monaten durch Amerika reiste, wirklich so unverschämt gut aussehe (leider ja). Hingegen hat noch nie jemand gefragt, ob ich einen Termin bei Robert vermitteln könne, meinem zitternden Friseur.

Dafür schrieb Leser S., ich zitiere, "dass die Verschlechterung der Haargesamterscheinung durch Friseure und dgl. ein kulturübergreifendes Phänomen" sei. In Japan gebe es dafür ein eigenes Wort. "Age-otori" bedeute, nach einem Haarschnitt schlechter auszusehen als vorher. Da ich nicht auf der Brennsuppe dahergeschwommen bin, glaubte ich das natürlich nicht. Das wäre einfach zu gut, um wahr zu sein. Dennoch übergab ich die Angelegenheit den Japan-Experten am Tresen des Rudy's zur Prüfung. Nach längeren Beratungen, während derer sie mich eine Runde ausgeben ließen und dann noch eine, beschieden sie, dass es das Wort im zeitgenössischen Japanisch nicht gebe, dafür aber im alten Japanisch, und es bedeute tatsächlich, was Leser S. geschrieben habe. Behutsam fügte ich es in meine Sammlung außergewöhnlicher Wörter ein.

Was nun die Tweedjacke angeht: Es schrieben diesbezüglich ausschließlich Männer. Leser M. bat um ein Foto der Jacke. Er wolle sich schon lange eine zulegen. Leser G. schrieb, er suche seit Jahren nach einer Jacke von unauffälliger Lässigkeit. Leser P. bat um die Adresse des Geschäfts. Und immer so weiter. Es formte sich in mir der Eindruck, dass es unter deutschen Männern einen erhöhten Tweedjackenbedarf gibt, und deshalb verrate ich diese Adresse gern: Ich habe die Jacke bei Walker Slater in der Victoria Street in Edinburgh gekauft.

Der Leserin R. schrieb ich hingegen, dass die Adresse des Rudy's bitte unbedingt, unter allen Umständen und auf jeden Fall unter uns bleiben müsse. Sie versicherte, sie niemals zu verraten. Und falls sie jemand frage, warum nicht, werde sie antworten: aus verschiedenen Gründen.

© SZ vom 23.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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