Hell's Kitchen (LXXV):Balkon-Terror

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(Foto: N/A)

Die Bewohner des ehemaligen Schwesternwohnheims müssen eine harte Probe durchlaufen. Mitten in der Sommerhitze werden die Balkone renoviert, da kennt die Hausverwaltung keine Gnade. Und aus einem Sieg wird eine bittere Niederlage.

Von Christian Zaschke

Zugegeben, es war naiv zu glauben, dass wir, die tapferen Bewohner eines ehemaligen Schwesternwohnheims in Hell's Kitchen, eine Chance haben würden gegen die sinistren Kräfte New Yorks. Erst hatte alles nach dem großen Sieg ausgesehen, als wir vor gut drei Wochen erreichten, dass die für den Sommer angesetzte Renovierung der Balkone bis zum Herbst aufgeschoben wurde. Oh ja, schrieb die Hausverwaltung, nachdem wir als Gemeinschaft protestiert hatten, man sehe ein, dass wegen Corona fast alle von zu Hause arbeiteten und gerade in den brutalen Sommern New Yorks die Balkone wichtig seien. Wir dachten, wir hätten die Macht der Mieter bewiesen.

Am Montagmorgen begann um kurz nach sieben ein Trupp von Männern, der sich vom Dach aus Zutritt verschafft hatte, den Boden des leeren Balkons meiner Nachbarn aufzureißen. Meine Nachbarn sind drei junge Leute ohne Arg, die gern spät ins Bett gehen und sich vorher an Musik erfreuen, die ich in der Sprache des mittelalten Mannes als "nicht ganz so geil" beschreiben würde. Als sie später am Tag ihre Balkontür öffneten, blickten sie auf eine Landschaft der Trümmer. Sie wirkten, gelinde gesagt, überrascht.

Ich beschloss, erst einmal so zu tun, als wäre nichts. Als es am Montagnachmittag ausdauernd an meiner Tür klopfte, gab ich vor, nicht da zu sein, obwohl das Büroradio hörbar davon kündete, dass ich zu Hause war. Am Dienstagmorgen klopfte es ab sieben Uhr erneut ununterbrochen an meiner Tür. Ich saß im Büro und tat weiterhin so, als wäre nichts. Schließlich verlor ich, wie alle guten Männer das irgendwann tun, die Nerven. Ich öffnete. Ein Typ stand da und befahl, dass SOFORT alles vom Balkon zu räumen sei. Mein Balkon ist mit dem der Nachbarn verbunden, aber anders als die Nachbarn nutze ich meinen Teil. Er ist mein Garten, mein Paradies. Ich schloss die Tür.

Ich rief Gio an, den Hausmeister.

"GIOVANNI", sagte ich.

"Tut mir echt leid", sagte er, "ich bin im Urlaub, und die Firma hat einfach angefangen, und jetzt gibt es kein Zurück, weil der andere Balkon schon offen liegt. Wenn sie den machen, müssen sie deinen auch gleich machen."

"Das ist nicht dein Ernst", sagte ich.

"Christian", sagte er, "bitte."

Niemals nennt Giovanni mich Christian. Er nennt mich Chris.

Es klopfte wieder an der Tür. Ich öffnete. Der Typ stand immer noch da.

"Aber die Hausverwaltung hat doch geschrieben, dass ...", sagte ich.

"Haben Sie wirklich gedacht, wir warten bis zum Herbst?", fragte er.

"Ja", sagte ich.

"Alles vom Balkon runter", sagte er, "und zwar bis Mittag."

Ich habe zwei oder drei Mal geschrieben, ich sei jetzt wirklich in der Stadt angekommen. Die Wahrheit ist, dass ich immer noch viel zu grün hinter den Ohren bin, um auch nur zu einem Achtel als New Yorker durchzugehen.

© SZ vom 04.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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