Hell's Kitchen (LXXIII):Shrimps

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(Foto: N/A)

Bei unserem Kolumnisten in New York laden sich regelmäßig Menschen zum Grillen ein, in diesem Jahr aber war bislang alles anders. Dann klingelt sein Telefon, er zieht Socken, Schuhe und eine Maske an und geht auf den Markt.

Von Christian Zaschke

Das Bürotelefon klingelte. Es ist schwarz. Entgegen meiner Gewohnheit ging ich sofort ran.

"V. hier", sagte mein Freund V., der Fremdenführer.

"Ich weiß", sagte ich.

"Wir kommen gleich zum Grillen vorbei. Keine Widerrede."

"Ist okay", sagte ich.

In normalen Sommern laden sich dauernd Leute auf meinen Balkon zum Grillen ein. Die Aussicht ist herrlich, der Himmel wölbt sich in erhabenem Schlumpfblau über Hell's Kitchen, und ich bin einer der wenigen Menschen in New York, die neben einem Gasgrill auch einen Kohlegrill betreiben. Beides ist auf dem Balkon verboten, aber ach, es ist so vieles verboten.

Da dies kein normaler Sommer ist, hatte sich bisher noch niemand zum Grillen eingeladen. Wenn ich grillte, dann grillte ich allein.

"Wir treffen uns vor dem Amish Market und kaufen gemeinsam alles ein", beschied V.

"Ist okay", sagte ich.

"Wir sind in zwei Stunden da. R. will Steak, Shrimps und Maiskolben."

"Ich weiß", sagte ich.

Behutsam legte ich den Hörer zurück auf die Gabel. R. ist V.s Freundin. Sommers will sie grundsätzlich und immer Steak, Shrimps und Maiskolben. Winters bevorzugt sie Sushi.

Zwei Stunden später zog ich mir Socken, Schuhe und eine Maske an und schlenderte rüber zum Amish Market. Mittlerweile sind die Lokale für den Verkauf außer Haus wieder geöffnet, was dazu führte, dass die Leute in Gruppen davorstanden und sich allmählich volllaufen ließen. Maske trug kaum jemand, und wenn, dann nur über dem Kinn. An den Mindestabstand hielt sich niemand. Das ist verboten, aber ach, es ist so vieles verboten.

V. war wie immer pünktlich. Er zeigte auf die Menschenmassen.

"Siehst du das?", fragte er.

Wie ich hatten V. und R. das Virus schon, wir sind, nach allem, was man weiß, immun. Im Grunde hätte es ihm daher egal sein können, dass die Leute sich nicht mehr an die Beschränkungen hielten. Ich schaute ihn an.

"Die Leute trinken Bier aus PLASTIKBECHERN", stieß er hervor.

Ich sagte nichts.

"DAS sollte dringend verboten werden", sagte V.

Aus manchen Lokalen dröhnte mexikanische Musik. Ein Polizeiwagen rollte, von Norden kommend, die 9th Avenue hinunter. Größere Versammlungen sind noch immer untersagt, Alkohol auf der Straße sowieso. Der Polizeiwagen rollte weiter in Richtung Süden, der Sonne entgegen. Ich blinzelte ihm hinterher. Es war der bisher schönste Tag des Jahres, und ja, die Leute werden für diesen Moment der Freiheit vermutlich bezahlen, Corona wird wiederkommen.

"Nun sag' halt was", sagte V.

"Ach", sagte ich, "es ist so vieles verboten."

© SZ vom 20.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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