Hell's Kitchen (LXV):Raimundo

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(Foto: N/A)

Unser Kolumnist in New York hat den Eindruck, in seiner Selbst-Quarantäne in einem ehemaligen Schwesternwohnheim zunehmend durchzudrehen. Er merkt es zum Beispiel an seinen unerwarteten musikalischen Ambitionen.

Von Christian Zaschke

Dass ich ein bisschen durchdrehe in meiner Selbstquarantäne in Hell's Kitchen, merke ich daran, dass ich seit zwei Wochen versuche, mir das Gitarrensolo am Ende des Liedes "Hotel California" von den Eagles auf meiner spanischen Raimundo beizubringen. Es gibt irre tolle Raimundos, aber meine ist eine betagte, ächzende Gitarre, 30 Jahre alt, die, wäre sie ein Fußballklub, in der Liga von Preußen Münster eher kämpfte als glänzte.

Eigentlich gibt es zwei Soli am Ende von "Hotel California", die einander ergänzen, aber gut. Die spanische Gitarre spiele ich so, wie ich früher Fußball spielte oder meine großen Liebesbeziehungen führe: mit aller Leidenschaft. Aber von den Göttern mit erschreckend wenig Talent gesegnet.

Dass ich nicht schon vor der Quarantäne durchgedreht bin, liegt auch daran, dass ich von meinem Balkon aus auf einen Parkplatz blicke. Ich wohne im 17. Stock eines ehemaligen Schwesternwohnheims, sodass ich von weit oben auf diesen Parkplatz schaue.

In den absolut durchgedrehten Zeiten vor wenigen Wochen, an die wir uns heute als "die Normalität" erinnern wollen, nutzten die Parkplatzmenschen jeden Quadratzentimeter Asphalt. Man gab sein Auto an der Einfahrt ab, sagte, wann man es wieder abzuholen gedenke, und entsprechend parkten die Parkplatzmenschen den Wagen. Wenn eine gewisse Süddeutsche Zeitung mir eine Stunde der Muße gönnte, saß ich oft auf diesem Balkon, einer mit welliger Teerpappe ausgelegten Freifläche, die von einem wackligen Geländer umstanden wird. Ich schaute runter auf den Parkplatz, und ich fragte mich stets, ob ich in diesem Rhythmus aus Einparken, Ausparken und Umparken ein Bild erkennen müsste. Ein Gleichnis.

Manchmal kam jemand früher zurück als geplant, um seinen Wagen abzuholen. Aus der, sagen wir, siebten Reihe. Das bedeutete, dass mindestens sechs Autos aus den Reihen davor bewegt werden mussten. Erst runter vom Parkplatz, dann wieder rauf auf den Parkplatz. Ein Ballett.

Der Parkplatz bietet Raum für, wenn man ihn wirklich vollstellt, rund 200 Autos. Während ich das schreibe, stehen dort exakt vier Autos, und wieder frage ich mich, ob ich darin ein Bild erkennen müsste, ein Gleichnis, ein Symbol. Klar, man könnte nun behaupten, dieser Parkplatz zwischen 51st Street und 52nd Street sei der Pulsschlag der Stadt. Aber das ist er nicht.

An diesem Mittwoch setzte ich mich mit meiner Gitarre auf den Balkon. Der Himmel über Hell's Kitchen zeigte sein sanftestes Blau. Drinnen hatte ich die Nadel auf die Platte "Eagles Live" von 1980 gesetzt. Das erste Lied erklang, Don Henley sang: "You can check out anytime time you like. But you can never leave." Ich schaute auf den Parkplatz, und ich schaute auf den Himmel. Als dann das Solo kam, spielte ich es, so bilde ich mir ein, Ton für Ton mit.

© SZ vom 18.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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