Hell's Kitchen (LV):Laufen

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Unser Kolumnist wurde am Rücken operiert und muss sich erst langsam wieder ans wahre Leben herantasten. Wie gut, dass ihn seine Freundin, die Isländerin, besucht.

Von Christian Zaschke

Kurz nach sieben am Sonntagmorgen, die Isländerin war, aus Barbados kommend und auf dem Weg nach Rom, am John F. Kennedy International Airport in New York gelandet, wo ihr Anschlussflug erst zwölf Stunden später ging. Also fuhr sie kurz in die Stadt, um mich zu besuchen.

Sie nahm den E-Train, der wochenends sehr allmählich durch Queens ruckelt, sich dann fast tastend einen Weg durch den Tunnel unter dem East River sucht und schließlich meine Gegend durchfährt, Hell's Kitchen.

Es war ein herrlicher Tag mit New Yorker Winterlicht, und an solchen Tagen kann die Isländerin nicht drinnen sitzen. Sie wollte spazieren gehen, im Central Park, auch weil sie weiß, dass ich im Central Park mit jedem Baum per Du bin und außerdem an der Statue von Robert Burns einen schönen schottischen Akzent aufsetze und erhabene Wahrheiten verkünde.

"Komm, lass uns gleich los", sagte die Isländerin.

"Ich hatte doch diesen Eingriff am Rücken", sagte ich.

"Ich weiß", sagte die Isländerin.

"Ich kann noch nicht wieder richtig laufen", sagte ich.

Die Isländerin lächelte.

"Wir versuchen es", sagte sie.

In New Orleans hat die Isländerin einmal einen Mann namens Stan Vilensky angelächelt, der den Touristen auf einer Reiseschreibmaschine Gedichte gegen Geld schrieb. Sie begleitete mich damals eine Weile, als ich die USA von Ost nach West durchquerte, in einem Chevrolet Tahoe. Nachdem ihn das Lächeln berührt hatte, begann der ganze Vilensky zu leuchten, er schrieb, er konnte nicht anders, er verfasste ein Gedicht mit dem, zugegeben, eher weitgefassten Thema "Amerika", natürlich wollte er kein Geld dafür, und nein, ich war kein bisschen erstaunt, als das Gedicht auch noch gut war.

Wir liefen von meiner Wohnung zum südwestlichen Ende des Parks, und ich lotste sie zu der Bude, an der es guten Kaffee gibt. Die Isländerin ist nicht nur ein Wesen des Zaubers, sie ist auch ein Wesen des Kaffees. Sie besteht zu gleichen Teilen aus Nordmeer, aus Licht und aus Kaffee. Die Menschen an der Bude füllten, als sie einen Kaffee bestellte, den größten Becher.

Zuerst hielten wir uns links im Park, an der Sheep Meadow bogen wir rechts ab. Die Isländerin erzählte von Barbados, wir gingen leichten Schrittes. Sie reist oft und weit, sie spricht viele Sprachen, sie ist eine Bürgerin der Welt. Wir erreichten das Denkmal von Robert Burns.

"Rabbie Burns", sagte ich und zeigte auf das Denkmal.

"Ich weiß", sagte die Isländerin.

Ich blickte nach Westen, nach Süden, ich blickte auf die Strecke, die wir bis hierhin durchmessen hatten. In meinem schönsten schottischen Akzent sagte ich: "Sieht wohl so aus, als könne ich wieder laufen."

Die Isländerin lächelte.

© SZ vom 08.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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