Hell's Kitchen (LI):Kein Anschluss

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(Foto: N/A)

Unser Kolumnist versucht vergeblich, seine Freundin S. zu erreichen. Und zunächst ist er ganz sicher, dass es keinen Grund zur Sorge gibt.

Von Christian Zaschke

Vermutlich, dachte ich, hat sich S. einfach eine neue Nummer zugelegt und es versäumt, der Welt davon zu erzählen. Vielleicht, dachte ich, hat sie der Welt auch mit Absicht nicht von ihrer neuen Nummer erzählt. Ist ja ein im Grunde überlegenes Konzept, ein Telefon zu besitzen, dessen Nummer niemand hat. Mein schwarzes Bürotelefon kommt diesem Ideal recht nahe, denn dessen Nummer kennen nur eine gewisse Süddeutsche Zeitung, mein Freund V., der Fremdenführer, sowie seit Neuerem aus unerfindlichen Gründen Heidi P. Sonst niemand. Ehrlich gesagt kenne nicht einmal ich selbst die Nummer, ich habe sie vergessen, aber - nicht blöd - auf dem Zettel vermerkt, auf dem ich sämtliche Passwörter und Geheimzahlen notiere.

Ich hatte mich eine Weile nicht bei S. gemeldet, weil ich in Deutschland unterwegs war, und ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil es ihr nicht sonderlich gut ging, als wir zum letzten Mal sprachen. Also hatte ich, sehr bald nachdem ich nach Hell's Kitchen zurückgekehrt war, ihre Nummer gewählt. Eine etwas zu freundliche Stimme sagte: "The subscriber does not use the services anymore." Die Teilnehmerin nutzt die Dienste nicht mehr.

Ich klingelte bei meinem alten Freund M. durch, den ich seit einer Zeit kenne, als das Telefon noch eine vergleichsweise neue Erfindung war. Er war mit seinen Söhnen mal beim Kindergeburtstag im Hause S., und S. war öfter zu Gast auf den schönen Gartenpartys von M. Auf diesen Gartenpartys standen S. und ich manchmal sehr am Rande und versuchten, so zu rauchen, dass die Kinder es nicht mitbekamen.

"Weißt du, ob S. eine neue Nummer hat?", fragte ich.

"Nicht dass ich wüsste", sagte er, "aber ich schau mal."

Er hatte nur die Nummer, die ich auch hatte.

"Vielleicht war das ihr Diensttelefon", sagte er, "sie wollte ja einen neuen Job anfangen."

"Stimmt", sagte ich.

Ich schrieb ihr eine E-Mail, die unbeantwortet blieb. Ich schrieb eine zweite E-Mail. Eine Woche verging. Ich wählte noch mal die alte Nummer, und wieder sagte die Stimme, dass die Teilnehmerin die Dienste nicht mehr nutze. Gibt keinen Grund, sich Sorgen zu machen, sagte ich mir. Ich bin vollkommen unbesorgt, sagte ich mir.

Ich rief M. an und sagte, dass es wirklich keinen Grund gebe, sich Sorgen zu machen. Ich persönlich, sagte ich, sei so was von unbesorgt. In diesem Moment wussten wir es vermutlich beide schon. Man spürt die Dinge, wenn einem Menschen wichtig sind.

An diesem Mittwoch erreichte mich viel zu spät und doch früh am Morgen die Nachricht, dass S. im Alter von 47 Jahren - ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Ich weigere mich, es zu sagen. Jedenfalls nutzt die Teilnehmerin die Dienste nicht mehr, und mein Herz ist schwer und schwarz vor Trauer.

© SZ vom 11.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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