Glücksbringer:Wenn der Glaube Berge versetzt

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Vier von zehn Menschen versprechen sich Erfolg, wenn sie eine Sternschnuppe am Himmel sehen und den Wunsch nicht aussprechen. (Foto: dpa)

Wer ist schon abergläubisch? Aber wenn der moderne Mensch etwas erreichen will, setzt er weiter auf die Gunst höherer Mächte. Vier von zehn Menschen versprechen sich Erfolg bei einer Sternschnuppe, beim FC Bayern trägt man bunte Armreifen. Psychologen haben eine Erklärung.

Von Laura Hertreiter

Die letzten Minuten einer Abiturprüfung sind grundsätzlich schrecklich. So schrecklich, dass sie sich oft tief ins Gedächtnis einbrennen und noch Jahrzehnte später wieder als Albträume auflodern. Vorne ein Lehrer, den zitternden Sekundenzeiger im Blick: "Noch drei Minuten." Links und rechts Aufseher, etwaige Abschreibeversuche im Blick. Und geradeaus, auf dem Tisch das Papier voller Aufgaben, deren Lösung plötzlich nicht mehr ganz sicher stimmt - bestenfalls. Oder deren Lösung noch mindestens vier Minuten dauert. In den nächsten drei Minuten verspricht nichts und niemand Hoffnung. Es sei denn, man hat einen Talisman dabei.

In diesen Tagen sitzen in Deutschland Tausende Schüler über ihren Abi-Prüfungen. In der Regel bringen sie neben Stift, Ersatzstift, zugelassenen Wörterbüchern, Traubenzucker, Bananen, Müsliriegeln und isotonischen Getränken auch Glücksbringer mit. Mindestens einen. Lehrer berichten, dass sich auf manchen Tischen Kuscheltierherden drängen, Bergkristallberge angehäuft werden.

Ohne jeglichen wissenschaftlichen Beweis

Der Glaube an Glücksbringer ist ungebrochen. Und nicht nur bei Abiturienten wie die Erfolgsgeschichte eines bunten Silikonarmbands mit kleinen Hologrammen beweist, das Menschen inzwischen in allen Lebenslagen tragen. Der Plastikschmuck namens "Power Balance" soll Kraft, Können und Willen des Trägers optimal ausschöpfen. Versprechen die Hersteller. In den Hologrammen seien Frequenzen gespeichert, die angeblich positiven Einfluss auf das Energiefeld des Menschen haben.

Obwohl Wissenschaftler das schon vor Jahren für Quatsch erklärt haben, schlackert der bunte Armreif noch immer an Handgelenken von Managern in Anzügen, Künstlern mit Dreadlocks und selbst Hochleistungssportlern. Formel-1-Rennfahrer Rubens Barrichello trug das Ding, Skisportler Felix Neureuther, die Fußballer David Beckham, Cristiano Ronaldo und die halbe Mannschaft des FC Bayern München - ohne jeglichen wissenschaftlichen Beweis.

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Die Erfolgsgeschichte des Armbands erklären Sportpsychologen mit dem Placeboeffekt: Wer glaubt, damit besser zu spielen, tut das tatsächlich. Der Glaube an die eigenen Kräfte sei gerade für Menschen vor großen Herausforderungen wichtig. Es ist also schlicht: ein Glücksbringer. Denn Selbstvertrauen kann sogar ein eigentlich wertloses Plastikarmband vermitteln, für das man zwischen zwanzig und vierzig Euro bezahlt hat. Oder ein Plüschschweinchen, das einem die beste Freundin in die Schultasche gesteckt hat.

Als alter Klassiker unter den Glücksbringern galt lange Zeit auch die Hasenpfote. Dass sie von einem Armband abgelöst wurde, könnte am Tierschutz liegen. Aber auch daran, dass sie ein verdammt unpraktischer Glücksbringer ist. Denn die Glückspfote muss zwingend die hintere linke sein. Der Hase sollte bei Vollmond auf einem Friedhof getötet worden sein - idealerweise an einem regnerischen Freitag, den 13. Woher dieses Rezept stammt, ist ungeklärt. Einige Wissenschaftler halten es für eine Tradition aus der Voodoo-Religion, die in Haiti und anderen Teilen Amerikas und in Afrika beheimatet ist.

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An andere klassische Glücksbringer aber glaubt ein großer Teil der Menschen in Deutschland noch immer sehr. Laut einer Allensbach-Umfrage sind 42 Prozent der Menschen überzeugt, dass ihnen ein vierblättriges Kleeblatt Glück bringt. Model Heidi Klum ist eine von ihnen, sie soll nie ohne ein Schmuckstück in Kleeblatt-Form aus dem Haus gehen.

Vier von zehn Menschen versprechen sich Glück und Erfolg, wenn sie Sternschnuppen am Nachthimmel sehen. Und gut ein Drittel rechnet nach einer Begegnung mit einem Schornsteinfeger damit, demnächst Schwein zu haben. Diese Redensart stammt übrigens aus dem Kartenspiel, in dem das As als höchste Karte früher Sau hieß und in manchen Regionen des Landes noch immer heißt. Dass Schweine aus Plüsch, Marzipan und Schokolade als Glücksbringer verschenkt werden, ist ebenfalls dem Kartenspiel, nicht dem Tier geschuldet.

Obama macht aus Talisman clevere Eigenwerbung

Ob Menschen auf einen Talisman setzen, hängt vor allem davon ab, was sie erreichen wollen. Wer besonders gut vor anderen abschneiden will, sei es beim Abi oder im Spitzensport, setzt laut Forschung eher auf einen Talisman. Wer nur ein persönliches Lernziel erreichen will, lässt ihn eher weg. Zu diesem Ergebnis kamen Forscher der Boston-Universität Anfang des Jahres in einer Studie im Fachmagazin Personality and Social Psychology Bulletin.

Das erklärt, warum Glücksbringer in Abiturprüfungen plötzlich die Tische bevölkern, obwohl sie sonst nur vereinzelt im Klassenzimmer zu sehen waren. Und dass US-Präsident Barack Obama während seines Wahlkampfes 2008 einen silbernen Armreif trug, den ihm ein im Irak stationierter Soldat geschenkt hatte - und so aus seinem Talisman noch clevere Eigenwerbung machte.

In den letzten drei Minuten einer Abiturprüfung wird es egal sein, ob ein Stein, ein Schwein oder eine Unterhose auf dem Tisch liegt. Wenn die Uhr tickt, der Lehrer drängt und der letzte Traubenzucker gegessen ist, wird der Glücksbringer noch immer Zuversicht verbreiten.

© SZ vom 02.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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