Glaubensbekenntnis:Lamya Kaddor

Lesezeit: 2 Min.

Die 37-Jährige ist Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes e.V. und Autorin. Sie schrieb in ihrem Buch "Zum Töten bereit" darüber, warum Jungen und Mädchen aus Deutschland in den Dschihad ziehen.

Protokoll von Ronen Steinke

Es ist schon grotesk. Ich bin bis zum Studium nie einem jüdischen Menschen bewusst begegnet, aus dem deutschen Schulunterricht kannte ich nur tote Juden, Opfer eines Völkermordes, Schwarzweißbilder, furchtbar anzusehen - und zu Hause bei meinen syrischen Eltern in Westfalen kamen Juden fast nur als Täter und in abfälligen Bemerkungen vor. Nicht dass meine Eltern Hetzer gewesen wären. Aber in ihren Augen waren Juden in Gestalt von Israelis in erster Linie Besatzer, Unterdrücker. Das haben sie sich erst später abgewöhnt. Aber an der Uni haben mich plötzlich Leute für eine Jüdin gehalten. Unter Araberinnen im Ausland benutzt man häufig die Daumenregel: kein Kopftuch, eher liberal - also wahrscheinlich Libanesin. Als ich anfing, in Münster Islamwissenschaft zu studieren, hat es viele durcheinandergebracht, dass man mich in keine Kategorie stecken konnte. Ich bin nämlich keine Libanesin. Meine Eltern sind Syrer, ziemlich konservativ, habe ich erklärt. Soso, hieß es ungläubig, wirklich? Und wo ist dein Kopftuch? Oft kam auch: Bist du Kurdin? Nein, habe ich geantwortet, auch das nicht. So wurde ich oft für eine Jüdin gehalten. Ich sähe nämlich angeblich so aus - helle Haut, schwarze Haare - und auffällig sei ja, dass ich perfekt Deutsch spräche.

Für mich als Muslimin gibt es ein jüdisch-christliches Erbe, ganz klar. Der Koran bezieht sich ja ständig darauf. Er baut auf Vorangegangenes auf. Wenn ich die drei Weltreligionen vergleiche, dann sehe ich auch, dass das Judentum mit uns am meisten gemeinsam hat. Die Art, wie Muslime und Juden Gott sehen, ähnelt sich: dieser sehr klare, fast abstrakte Monotheismus ohne einen Gottessohn oder eine ähnliche irdische Erweiterung Gottes. Eine weitere Parallele ist die Idee der Reinheit: koscher und halal.

Der respektvolle Umgang mit Andersgläubigen ist für mich einer der Prüfsteine, um zwischen liberalen, konservativen und fundamentalistischen Gläubigen zu unterscheiden. Der zweite Prüfstein ist der Umgang mit Frauen. Ich als liberale Muslimin stehe für vollkommene Gleichberechtigung, wobei man das mit und ohne Kopftuch leben kann, mit und ohne Bart, mit geschlechtergemischtem Gebet oder ohne, ich errichte da für mich kein Dogma. Entscheidend ist die innere Haltung. Dritter Prüfstein ist das Koranverständnis. Ich lese den Text, den Mohammed empfangen hat, in seinem historischen Zusammenhang. Historisch-kritisch, würden Christen sagen. Ich unterscheide zwischen koranischen Aussagen, die Ewigkeitscharakter haben, und solchen, die nur historisch zu verstehen sind, und ich messe dabei der Vernunft eine höhere Bedeutung zu als der Tradition.

Nach dem Ende meines Studiums bin ich übrigens zum ersten Mal in meinem Leben nach Israel gereist, ich habe da ein Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung wahrgenommen, speziell für muslimische Multiplikatoren. Womit ich endgültig überführt war aus Sicht meiner misstrauischen Kommilitonen. Aha! Sie fährt nach Israel! Na, wussten wir's doch.

© SZ vom 09.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: