Gianna Nannini über das Muttersein:"Meine Tochter ist jetzt schon sehr rebellisch"

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Mit 54 wurde Gianna Nannini erstmals Mutter - und löste damit widersprüchliche Reaktionen aus. Die italienische Rocksängerin über die Gnade der späten Geburt und die Lust an der Provokation.

Marten Rolff

Sie hat gerade ihr neues Album "Io e te" vorgelegt und von Mitte Juli an wird sie durch Deutschland touren. Trotzdem weiß Gianna Nannini, dass man sich derzeit höchstens an zweiter Stelle für ihre Musik interessiert. Viel öfter wird sie gefragt: Wie läuft es mit Penelope? Als die Rocksängerin im November im Alter von 54 Jahren Mutter einer Tochter wurde, diskutierte ganz Italien. Die einen waren empört, die anderen begeistert. Nannini ist es gewohnt zu polarisieren, schon vor 25 Jahren reihte die Tochter aus gutem Hause Skandal an Skandal. Im Interview, das sie in Knobelbecher-Stiefeln, schwarzem Satinsakko und rotem T-Shirt auf dem Sofa ihrer Hamburger Hotelsuite absolviert, ist sie extrem entspannt. Man darf alles fragen - fast. Über den Vater des Kindes, nur Gerüchten zufolge ein 30-jähriger Brite, spricht sie nicht.

Die italienische Rocksängerin Gianna Nannini kann ihrer späten Mutterschaft nur Positives abgewinnen: "Was stimmt ist, dass die Schwangerschaft meiner Stimme zu mehr Kraft verholfen hat. Ich habe eine gefühlsbetontere Art zu singen entdeckt", sagt sie im SZ-Interview. (Archivbild) (Foto: DPA-SZ)

SZ: Signora Nannini, Ihre Musik hat neuerdings einen ungewohnt sanften Grundton. Sind Sie weicher geworden?

Nannini: Seltsamerweise wird Weichheit meist als weibliche Schwäche interpretiert, ich sehe darin aber durchaus eine Stärke. Außerdem habe ich neben härteren immer schon sanfte Lieder geschrieben. Die Entstehung eines Albums folgt ja dem Rhythmus der Inspiration; wenn der gerade ein romantischer ist, kann ich das schlecht ignorieren, das hieße, mich selbst zu kastrieren. Im Übrigen sind auch härtere Nummern unter den neuen Liedern.

SZ: Und es geht um die Liebe.

Nannini: Eher um Beziehungen. Ein Großteil des Albums ist von der spirituellen Liebe inspiriert, wie Dante sie in seiner Göttlichen Komödie thematisiert. Eine Liebe, die Konflikte überwindet, die nicht auf Gegenliebe angewiesen ist.

SZ: Einige sagen: Klar, jetzt ist sie Mutter, jetzt wird sie eben gefühlsduselig.

Nannini: Natürlich ist Mutter sein neu für mich. Und ja: Es erscheint mir als das größte Gefühl, das ich bisher empfunden habe. Aber die Veränderungen durch die Geburt meiner Tochter betreffen vor allem meinen Lebensrhythmus, doch nicht meine Art zu denken. Auch habe ich die meisten Lieder ja vor meiner Schwangerschaft geschrieben. Was stimmt ist, dass die Schwangerschaft meiner Stimme zu mehr Kraft verholfen hat. Ich habe eine gefühlsbetontere Art zu singen entdeckt.

SZ: In Italien hat Ihre Mutterschaft im Alter von 54 Jahren eine nationale Debatte ausgelöst. Sind Sie die Egoistin, die viele nun in Ihnen sehen?

Nannini: Egoistisch würde ich es nennen, wenn man sein Kind verlässt, um sich zu verwirklichen. Egal ob Vater oder Mutter. Andere machen Kinder, weil sie die Leere in ihrem Leben füllen oder weil sie ihrem Partner einen Gefallen tun wollen. All das passiert täglich, überall, und ich finde das sehr problematisch. Ich dagegen hatte das Bedürfnis, Leben zu schenken, etwas weiterzugeben. Es ist ja vor allem wichtig, dass man ein Kind liebt.

SZ: Sie haben für das Albumcover mit nacktem Bauch posiert. Auch aus Trotz?

Nannini: Ich war nun mal schwanger, da hätte also nur Photoshop geholfen. In Italien haben viele die Schwangerschaft als Affront gegen die Moral oder die katholische Kirche gewertet. Das Cover war also auch eine Antwort. Ehrlich: Es hat mir wegen dieser Debatte noch mehr Spaß gemacht. Es war auch eine Demonstration der freien Entscheidung. Italien ist ja weiter voller Vorurteile über die Rolle der Frau. Mit 30 ist man angeblich nicht mehr hübsch und all das Gerede. Eine unfassbare Diskriminierung! Und natürlich spricht man Frauen das Recht ab, in einem bestimmten Alter schwanger zu werden. Ich glaube allerdings auch, dass man das nicht herausfordern sollte. Nicht jede ist mit 54 Jahren in der körperlichen Verfassung, in der ich glücklicherweise bin.

SZ: Unabhängigkeit ist für Sie ein Grundthema. Auf einem Ihrer ersten Platten-Cover haben Sie die Freiheitsstatue mit Dildo abgebildet - und einen Skandal ausgelöst. Sie haben sich früh zu Masturbation und Polisexualität bekannt. Sie sind öffentlich abgestürzt, haben jeder Erwartungshaltung entgegengewirkt. Hat man zu dieser Art von Rebellion nicht irgendwann schlicht keine Lust mehr?

Nannini: Manchmal muss man sich leider wehren. Es ist ja nicht so, dass mir die Meinung anderer nicht wichtig wäre. Ich respektiere das. Aber, wenn mich irgendjemand beleidigt, kann ich ihm normalerweise eins hinter die Ohren geben. In diesem Fall aber haben Leute sich angemaßt, über mich zu urteilen, die mich gar nicht kennen. Mit welchem Recht, frage ich? Es ging denen nicht um die Sache. Sondern darum, Politik zu machen mit meinem Fall. Stimmen zu sammeln. Bestimmte katholische Kreise zum Beispiel.

SZ: Also hat diese Debatte Sie verletzt, nach all den Jahren des Gegenwindes.

Nannini: Das wäre zu viel gesagt. Ich habe mich bemüht, das nicht zuzulassen. Schon, weil ich mein Kind vor negativen Einflüssen bewahren wollte. Ich habe das meiste über mich erst gar nicht gelesen.

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Zeit ist relativ. Kein Wunder, dass auch die biologische Uhr bei jeder Frau anders tickt. Gianna Nannini ist mit 50 Mutter geworden - aber auch andere Prominente hatten es mit dem Kinderkriegen nicht eilig.

SZ: Sie selbst stammen aus einer Familie, die sehr traditionsverbunden ist und über ihr in ganz Italien bekanntes Konditor-Unternehmen mit diesen Werten sogar Geld verdient. Wie hat Ihre Mutter auf die Geburt Ihrer Tochter reagiert?

Nannini: Sie ist ausgeflippt vor Entzücken. Sie ist jetzt 87 Jahre alt, aber sie wirkte plötzlich wie neugeboren. Meine Tochter schlägt nach der Linie meiner Mutter. Sie sieht ihr ähnlich.

SZ: Zu Ihrer eigenen Kindheit gibt es zwei Schlüsselzitate von Ihnen. Erstens: "Es war die intensivste und glücklichste Zeit meines Lebens." Zweitens: "Ich fühlte mich wie eine Fremde." Geborgenheit und Ausbruch, wie geht das zusammen?

Nannini: Da muss man zwei Phasen unterscheiden. Ich bin zum Teil aufgewachsen in einem Küstenort in der Maremma, im Kreise der Großfamilie: Oma, Onkel, Tanten, Cousins, Cousinen. Das bedeutete: gemeinsam frühstücken, fischen gehen, Strandtage. Als Kind dachte ich also, das Leben sei ein Spiel. Ich war sehr glücklich. Nach meiner Rückkehr zu meinen Eltern in Siena ging es plötzlich dauernd darum: Was zieht sie an, wie drückt sie sich aus, mit wem hat sie Umgang? Ist dieser Junge der Richtige? Ich wollte mich aber nicht einengen lassen. Ich wollte Musik machen. Also bin ich mit 18 Jahren nach Mailand gegangen. Um das durchzusetzen, um mich zu befreien, habe ich eine gewisse Aggressivität entwickelt.

SZ: Wie muss man sich das bürgerliche Siena der sechziger und siebziger Jahre vorstellen?

Nannini: Die Rockmusik war dort natürlich noch nicht angekommen. Es gab Oper, Theater, traditionelle Musik. Und wer etwas anders angezogen war, wurde schräg angeguckt. Sie pfiffen mir schon hinterher, wenn ich einen Mantel trug, der ein wenig länger war als normal. Ich liebte die Vorstellung einfach mit dem Roller wegzufahren. Dieser Gedanke an Flucht war zu Hause zentral für mich.

SZ: Ihr Vater wollte, dass Sie Erbin seines Konditor-Unternehmens werden. Obwohl Sie zwei Brüder haben. War das auch ein Ausdruck seiner Modernität?

Nannini: Das klingt nur so. Mein Großvater hat gesagt: Zwei Jungs, was für ein Glück, so lässt sich die Firma weiterführen. Die Realität war anders: Wir haben alle drei für den Vater gearbeitet. Und wer von uns hat die größten Opfer gebracht?

SZ: Sie vermutlich?

Nannini: Ich habe mich reingekniet von früh bis spät; mein Vater hat schnell erkannt, dass Frauen besser für seinen Betrieb waren. Weil sie den Laden voranbrachten. Mit Pflichtgefühl und Hingabe. Er wollte, dass ich das mache, weil er an die Zukunft der Firma dachte. Das hatte also eher mit Egoismus zu tun. Ich dagegen wollte nicht und bin gegangen. Wir sind beide Egoisten, mein Vater und ich. Ohne Egoismus hätte ich musikalisch nie etwas erreicht. Er hat übrigens später zugegeben, dass ich recht damit hatte zu gehen. Ich weiß, dass er mich geliebt hat.

SZ: Waren Sie eher Papas oder eher Mamas Tochter?

Nannini: Von meinem Vater habe ich den Ehrgeiz. Meine Mutter ist eher die Dame des Hauses, sie liebt den Garten, Blumen, ist ruhiger, ausgeglichener, gutherziger. Von ihr habe ich das Künstlerische.

SZ: Das, was die Leute an Ihnen rebellisch finden, hat Sie das manchmal selbst erschreckt? Oder war das stets kalkuliert?

Nannini: Nein, ich bin jemand, der sich ins Dunkle schmeißt und erst dann den Lichtschalter sucht - und findet. Wenn es ein Hindernis gibt, ob nun innerlich oder äußerlich, dann spornt mich das an.

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SZ: Menschen, die sich gegen Konventionen auflehnen, werden ja vereinnahmt: Ikone der sexuellen Befreiung, der Frauenbewegung, der späten Mutterschaft. Auch alles so Schubladen. Fühlen Sie sich von Ihren Fans mitunter missverstanden?

Nannini: Dazu gibt es eine Geschichte: Ich war in den achtziger Jahren im Berliner Tempodrom zum Venus-Klang-Festival eingeladen. Männer waren da natürlich nicht zugelassen. Ich sagte also: Hey, meine Band besteht aus Männern. Und wenn ihr mich haben wollt, dann bringe ich die mit. Dazu kam, dass einer meiner Gitarristen an einer Art spastischem Tick litt. Er hatte immer den Mund offen und ließ die Zunge raushängen, auch auf Konzerten. Die Feministinnen dachten, das sei eine Anspielung. Die fühlten sich verarscht und haben Bierdosen nach uns geworfen. Ich habe dann auf der Bühne geschwiegen. Volle zehn Minuten. Bis die kapierten, was ich meinte: Ich stelle mich doch nicht neben die Berliner Mauer auf eine Bühne, um eine neue Mauer zu errichten. Eine zwischen Frauen und Männern. Ein Feminismus, der sich gegen Männer richtet, ist doch Quatsch. Das Konzert war am Ende übrigens doch noch ein Erfolg.

SZ: Ihnen ging es vor allem darum, sich selbst zu befreien?

Nannini: Ja, von Komplexen und Paranoia. All das, was uns die Gesellschaft aufzwingt. Das versuche ich auch in meinen Liedern. Aber es geht nicht darum, dass man mir folgen soll. Ich sage: Das sind meine Erfahrungen. Ihr könnt eure machen. Wenn euch das freier macht: gut so.

SZ: Wenn man selbst Mutter wird, ist die Zeit der Rebellion dann mal vorbei?

Nannini: Nie. Es gibt Kriege, Nuklearunfälle, all den Dreck. Wir legen unser Schicksal zu oft in die Hände von Leuten, die keine Ahnung haben, die uns nicht zuhören. Das ärgert mich. Warum sollte man sich das gefallen lassen? Es ist enorm wichtig, sich darüber enorm aufzuregen.

SZ: Sie gehen nun auf Tournee, werden Sie Ihre Tochter mitnehmen?

Nannini: Ja. Wenn auch nicht die ganze Zeit über, das wäre zu anstrengend.

SZ: Wie werden Sie später mit ihrer Art der Rebellion umgehen? Wenn sie möglicherweise sagt: Hör mal, deine Freiheit war aber nicht meine Freiheit?

Nannini: Oh, sie ist jetzt schon sehr rebellisch. Sie ist sehr präzise in der Art, wie sie weint. Sie macht dadurch ganz genaue Ansagen, sie weiß, was sie will. Jeden Tag ein bisschen mehr. Ich gebe zu: Das erschreckt mich auch ein wenig.

© SZ vom 12.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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