Fußball:Auf dem Sprung

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Tom Ritzy Hülsmann ist zwölf und Torwart in Trier, als der FC Bayern anruft. Seit diesem Tag ist nichts mehr, wie es war. Jetzt lebt er 500 Kilometer entfernt von Zuhause und kämpft für seinen Traum.

Text: Thomas Hummel; Fotos: Stefanie Preuin

Das neue Leben des Tom Ritzy Hülsmann, der am liebsten bei seinem zweiten Vornamen genannt wird, beginnt vor knapp zwei Jahren mit einem Anruf aus München. Es meldete sich ein Herr Beckenbauer. Nicht Franz Beckenbauer. Aber immerhin Dominik, dessen Enkel, Talentsucher beim FC Bayern. Er hatte Ritzy spielen sehen bei seinem Heimatverein in Trier und lud ihn zum Probetraining ein.

"Einerseits war es richtig cool, so eine Bestätigung zu bekommen", erinnert sich Ritzy heute. "Aber andererseits hab ich mich gefragt: Soll ich das machen? Ich bin jung, viele Freunde leben hier und die Familie." Er ist dann nach München gefahren, zusammen mit seiner Mutter. Drei Tage spielte er vor, absolvierte einen Medizincheck und eine Handwurzelmessung. Damit wollte der Klub abschätzen, wie groß Ritzy einmal wird. Größe ist für Torhüter wie ihn wichtig. Als klar war, dass er um die zwei Meter wird und gesund ist, haben sie ihn gefragt, ob er wechseln möchte. Entscheidend, sagt Ritzys Mutter, war der Wille ihres Sohnes. "Er sagte: Ja, ich möchte das machen. Hätten wir Nein gesagt, das hätte er uns nie verziehen."

Der FC Bayern lockt einen damals zwölfjährigen Torwart aus Trier nach München, 500 Kilometer weit weg. Das kommt nicht alle Tage vor, ist aber auch kein Einzelfall. Große Vereine suchen inzwischen im ganzen Land nach Talenten, auch nach sehr jungen. Auf dem FC Bayern Campus am nördlichen Stadtrand wohnen 40 Nachwuchsspieler, auch Ritzy. Sein Zimmer ist ziemlich klein, er schläft in Bayern-Bettwäsche, ein Fernseher ist verboten. An sein Zuhause erinnert nur ein Bild der Geschwister.

Die Spieler hier kommen aus ganz Deutschland. Bei der U15 - der Mannschaft für Spieler unter 15 Jahren - waren schon Jungs aus Köln, Hoffenheim und Stuttgart dabei. Bei der U14 aus Berlin, Bielefeld, Nürnberg - und Trier. Vergangenes Jahr holte Bayern zwei 14-Jährige und einen 13-Jährigen von Hertha BSC Berlin - für eine sechsstellige Summe. Und ein 16-Jähriger wechselte für 45 Millionen Euro zu Real Madrid. Bei Ritzy ist kein Geld geflossen.

In der Mensa kocht das Team eines Sternekochs - ohne Zucker und Sahne

Er führt nun das Leben eines Nachwuchsleistungsfußballers - mit viel Luxus. Ein Dutzend Lehrer geben Nachhilfe, in der Mensa kocht das Team eines Sternekochs: sportlergerecht ohne Zucker und Sahne. Eigene Gärtner hübschen das Gelände mit Tulpen auf. Aber Ritzy hat auch einen strengen Zeitplan: Nach dem Frühstück geht es mit dem Bus in eine Sporteliteschule. Dienstags, mittwochs und donnerstags steht um 8.15 Uhr das erste Training auf dem Plan; der Unterricht beginnt dann um zehn Uhr. Um 16.30 Uhr fährt der Bus zurück. Trainingstasche holen, rein in die Kabine, umziehen, raus auf den Platz. Training bis etwa 19.15 Uhr. Duschen, zurück ins Zimmer, viertel vor acht gemeinsames Abendessen. Wer nichts für die Schule zu erledigen hat, geht danach in den Aufenthaltsraum mit dem riesigen roten Sofa zum Fernsehen und zum Zocken an der Playstation. Die anderen lernen, um 21.30 Uhr ist Bettruhe. Am Wochenende warten oft zwei Spiele. Sommerferien? Gibt es nicht.

"Natürlich verpasse ich einen Teil meiner Jugend", sagt der heute 14-jährige Ritzy. "Aber wenn ich es schaffe, dann ist das Bombe. Dann ist das ein schönes Leben." In der Schule musste Ritzy vom Gymnasium auf die Realschule wechseln. Die Anforderungen in Bayern seien zu hoch gewesen, sagt die Mutter.

Aber was ist der Traum vom Profifußball wert, wenn er am Ende für die meisten doch gar nicht in Erfüllung geht? Nicht mal einer von hundert der Zehn- bis Zwölfjährigen, die in einem Leistungszentrum spielen, werden später einen Profivertrag unterschreiben. Ritzys Trainer in der U14 sieht darin kein Problem: "Das ist ihr Hobby, die Jungs nehmen das gar nicht als Stress wahr. Für die gibt's nur Fußball. Sie lieben das, sie machen das gern."

Andere Leute sind sich da nicht so sicher. Roland Reichel kümmert sich beim FC Ingolstadt um die Nachwuchsspieler. Er sagt: "Einen 15-Jährigen weggeben? Ich hätte das mit meinem Sohn nicht gemacht." Die Klubs täten sicher alles, um Konflikte zu steuern. Doch wenn 30 bis 50 Jugendliche zusammenwohnen, sei das schwer zu überblicken. Die jungen Fußballer verbringen ihr Leben miteinander, sind Teamkameraden und Kumpels. Doch sie sind auch Konkurrenten, setzen sich gegenseitig unter Druck. Das könne man nicht immer vollständig kontrollieren, glaubt Reichel. Schließlich sind die Plätze in der nächsthöheren Altersstufe begrenzt, und wenn der Klub neue Spieler von außen holt, muss jemand gehen, der schon da ist.

Auch der FC Bayern hat in diesem Frühjahr aus der Mannschaft von Ritzy Spieler nach Hause geschickt. Ritzy war nicht dabei. Er darf seinen Fußballtraum weiter verfolgen, noch mindestens im nächsten Jahr.

© SZ vom 25.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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