Freundschaft:Wie Pinocchio

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Man soll ja keine Lügengeschichten erzählen. Sechs Kinder tun es hier trotzdem. Vom Flunkern, Lügen und allem dazwischen.

Von Hannah Weber, Lucia Bramert, Kathrin Schwarze-Reiter und Karla Lorenz

Kurt, 9

"Ein paar Tage vor meinem Geburtstag habe ich im Kleiderschrank meiner Eltern meine Geschenke entdeckt. Ich wollte unbedingt wissen, was drin ist. Also habe ich sie erst aus- und dann wieder eingepackt. Damit nichts rauskommt, habe ich an meinem Geburtstag ganz überrascht getan. Obwohl es niemand gemerkt hat, ging es mir damit schlecht. Lügen fühlen sich nicht gut an im Bauch, wie ein Stein. Ich kenne das schon aus dem Kindergarten. Dort habe ich mal einen Globus zerstört, er ist mir einfach aus den Händen gerutscht. Weil ich keinen Ärger kriegen wollte, habe ich es auf ein anderes Kind geschoben. In letzter Sekunde habe ich aber doch die Wahrheit gesagt. Das hat ein bisschen Mut gekostet, aber zum Glück wurde meine Entschuldigung sofort angenommen. Da ging es mir wieder besser und der Stein war raus aus dem Bauch."

Sophie, 8

"Ich erfinde gerne Geschichten. Das macht mir einfach Spaß. Einmal habe ich einem Freund von meinem Papa eine halbe Stunde lang erzählt, dass wir einen Campingbus haben und wo wir damit schon überall waren. Dabei haben wir nicht mal ein Auto. Ein anderes Mal habe ich meiner Lehrerin gesagt, dass meine Mama wieder schwanger ist und ich noch ein Geschwisterchen bekomme. Das flog auf, als sie Mama gratulierte und fragte, wann es denn so weit ist. Ich habe auch schon mal erzählt, dass wir wegziehen, auf einen Bauernhof mit Bienenstöcken. Meiner besten Freundin habe ich mal erzählt, dass mein Opa gestorben ist. Am Nachmittag hat dann ihre Mama meine angerufen und ihr Beileid ausgedrückt. Das war schon irgendwie doof. Wir haben dann darüber geredet, dass ich zwar Quatschgeschichten erzählen darf, aber dazusagen muss, dass es Quatsch ist."

Theresa, 14 Jahre

"Meine Oma vergisst oft Dinge. Neulich hat sie mir von einem Treffen mit ihrer Schwester erzählt, schon zum zweiten oder dritten Mal. Ich habe trotzdem so getan, als ob ich ihr gespannt zuhöre und hier und da auch mal interessiert nachgefragt. Ich wollte sie nicht verletzen, ihr Gedächtnis ist einfach nicht mehr so gut. Also habe ich gelogen, aber zu einem guten Zweck. Ich glaube, ich würde es gar nicht lügen nennen. Eher flunkern. Oder vielleicht ist es sogar eine Notlüge?"

Emil, 9

Immer, wenn irgendwas passiert, sage ich sofort: Ich war's nicht! Der umgeschüttete Kakao, die durchwühlten Klamotten, der Fettfleck auf den Mathehausaufgaben. Das ist wie ein Reflex, ich kann nicht anders. Selbst wenn ich sehr wohl weiß, dass ich es war. Manchmal komme ich damit durch, weil ich zwei Geschwister habe, die auch viel Quatsch machen. Die reden sich auch immer raus, also ist es am Ende trotzdem irgendwie fair."

Frida, 11 Jahre

"Meine Kieferorthopädin sagt, dass ich meine Zahnspange mindestens 14 Stunden am Tag tragen muss. Aber wenn ich sie im Mund habe, klinge ich merkwürdig. "Was hast du gesagt?", heißt es dann ständig. Das ist mir peinlich. Deshalb lüge ich sie bei den Kontrollterminen an und behaupte, dass ich die Spange 13 bis 14 Stunden drin hatte - obwohl es deutlich weniger waren."

Romy, 14

"Meine zwei besten Freundinnen Lina und Julia kenne ich schon ewig. Wir machen alles zusammen, gehen in eine Klasse. Vor einiger Zeit wurde ich von den beiden belogen. Es war ein Freitagabend und schon spät. Ich lag im Bett und habe auf meinem Handy gesehen, dass die beiden zusammen bei Lina zu Hause sind. Wir haben alle eine App, auf der wir sehen können, wo unsere Freunde sind. Am nächsten Morgen haben sie ein Foto von sich hochgeladen. Als ich danach gefragt habe, hat Julia irgendeine komische Geschichte erzählt. Von wegen dass sie kurz bei Lina aufs Klo gegangen wäre nach der Schule. Im Bad hätten sie das Selfie gemacht und dann wäre sie nach Hause gegangen. Ich wusste sofort, dass das nicht stimmt. Aber ich habe nichts gesagt, weil ich keinen Streit anfangen wollte. Deshalb habe ich so getan, als ob nichts wäre. Ich glaube, dass sie mich nicht verletzen wollten. Weil sie mich ja nicht eingeladen haben. Dabei können sie gerne auch mal was ohne mich unternehmen, das finde ich überhaupt nicht schlimm. Ich finde nur schade, dass sie mich deshalb angelogen haben. Das tut weh. Bis heute haben wir nicht darüber geredet."

© SZ vom 13.08.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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