Fitness-Studios:Wahre Schönheit kommt von außen

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Schönheit als Lebensziel - noch nie hatten Fitness-Studios mehr Mitglieder als heute. Unterwegs in der Welt der "Zimmer-Turn-Apparate", in die sich die Büromenschen immer mehr flüchten.

Martin Zips

Ein Parkplatz, nur wenige Meter von der Autobahnausfahrt München-Brunnthal entfernt. Hektisches Einparken hinter Möbel- und Baumärkten. Im Kofferraum: Die Sporttasche mit Turnschuhen, Badehose, Handtuch, Wasserflasche, Trainingsanzug und - ganz wichtig - dem Transponder. Der Transponder ist ein feuerzeugkleines Plastikteilchen, ein interaktiver Schlüssel für die große Welt der Leibesübung.

Fitness ist ein gewaltiger Markt. Nicht einmal Fußballvereine verfügen über mehr Mitglieder. (Foto: ddp)

Fitness ist ein gewaltiger Markt. Ab kommendem Donnerstag versammelt sich die Branche wieder zur "Internationalen Leitmesse Fibo" in Essen. Mehr als 50 000 Besucher werden dort erwartet. Die etwa 6000 größeren Fitness-Studios, die es zurzeit in Deutschland gibt, kommen laut einer aktuellen Umfrage auf mehr als sieben Millionen Mitglieder.

Über mehr Organisierte verfügen selbst Fußballvereine nicht. Das Geschäft mit Geist und Körper hat Potential: In den USA und in einigen europäischen Ländern wie Spanien oder den Niederlanden ist der Prozentsatz an Fitness-Studio-Besuchern zweistellig, in Deutschland immer noch einstellig. Man könnte sagen: Da läuft noch was.

Der moderne Mensch steht unter Strom. Die meiste Zeit seines Lebens verbringt er in schlecht belüfteten Bürogebäuden, meist in ungesunder Haltung vor einem Computer sitzend, rätselhafte Befehle ausführend. Das belastet Rücken, Herz und - weil der Mensch weiß, dass er ein armer Hund ist - auch sein Gemüt. Er braucht einen guten Freund, der ihm in seiner Freizeit erklärt, wie er das, was ihm da täglich kurz nach dem Aufstehen so füllig aus dem Spiegel entgegenblickt, wieder in Form bringt. Der Fitness-Transponder ist so ein guter Freund.

"Für unsere Kunden ist der Transponder Eintrittskarte, Zahlungsmittel und Trainingsplaner in einem", erklärt Michael Pribil, 38, Herr der Fitness-Kette "Body + Soul" mit 30.000 Mitgliedern in und um München. Als Jugendlicher hat Herr Pribil in "Stefan Sport Center", dem genitivlosen Bizeps-Studio von Unterhaching, seine Liebe zu Hantel und Expander entdeckt.

Nun ist er selbst Chef über unzählige Transponder, Kraftgeräte, Workout-Kurse, Erlebnisduschen - und 630 Mitarbeiter. "Ich bin jeden Sonntag hier", sagt der vollschlanke Unternehmensberater Achim, 25, an der Power Bar. "Für mich ist das ein guter Ausgleich zu einem Job, in dem man sein ganzes Leben in Konferenzräumen und im Flugzeug verbringt. Außerdem gefällt es mir nicht, alleine zu sporteln." Dann schon lieber Flexi Toning im Rudel.

Das menschliche Bestreben, die körpereigene Muskulatur an geeigneten Geräten in geschlossenen Räumen zu trainieren, ist nicht neu. Vor gut 140 Jahren brachte der schwedische Arzt Gustav Zander erste "medico-mechanische" Fitness-Maschinen auf den Markt. Besonders beeindruckend: Der so genannte "Zanderapparat F2", der mit 180 Schwingungen pro Minute "Erschütterungen im Reitsitz" bewirkte - zur Anregung des Verdauungsapparates.

Vor dem Ersten Weltkrieg sollen in Deutschland 79 Zander-Institute von jährlich 100.000 Patienten besucht worden sein. Neben dem "Zandern" war auch das "Müllern" beliebt, benannt nach dem Athleten Jens P. Müller, Autor beliebter Übungshefte ("Nur ein Viertelstündchen"). Durch sie gelangte schon Franz Kafka zu kräftigeren Waden.

Den Begriff "Bodybuilding" prägte der Königsberger Kraftmensch Friedrich Wilhelm Müller, der sich Eugen Sandow nannte. Der Sohn eines Gemüsehändlers inszenierte sich im Zirkus und auf Varietébühnen als lebende Statue und propagierte in seinem Buch "Bodybuilding or Man in the Making" bereits im Jahr 1905 Kraft und Schönheit als Lebensziel. 20 Jahre später soll er beim Versuch, ein Auto anzuschieben, gestorben sein. Wahrscheinlicher ist: Syphilis.

Zuvor hatte er in London das erste "Physical Culture Studio" gegründet, das bald über mehrere Dependancen verfügte. Sandow, persönlicher Trainer von König Georg V., entwickelte allerlei "Zimmer-Turn-Apparate". Nach ihm ist heute noch die Wettbewerbs-Trophäe der "International Federation of Bodybuilders", der Sandow, benannt.

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In der heutigen Fitness-Welt ist "Bodybuilding" ein Unwort. Zu Unrecht, wie Erich Janner, 68, deutsches Kraftmaschinen-Urgestein, betont. "Schließlich beschreibt der Begriff heute wie gestern ein System von Übungen zur Entwicklung der Gesamtmuskulatur", darauf legt Janner Wert. Gemeinsam mit Arnold Schwarzenegger und anderen Muskelmännern gründete Janner 1966 den "Deutschen Kraftsportverband" - angeregt einerseits von den amerikanischen "Herkules"-Filmen mit Mister Universum Steve Reeves, andererseits fasziniert vom Deutsch-Amerikaner Harry Gelbfarb, der Mitte der Fünfziger in Schweinfurt das erste Fitness-Studio Deutschlands eröffnete.

Eigentlich wollten die Deutschen vom "Heranzüchten kerngesunder Körper", wie es Nazi-Ideologen genannt hatten, nichts mehr wissen. Der leicht umnebelte Sportlehrer und Nudist Hans Surén hatte das Thema Leibeszucht in seinem Buch "Mensch und Sonne" rassenwahnsinnig aufgeblasen. Anschließend schmiss ihn sogar die NSDAP raus - allerdings wegen öffentlichen Onanierens. Bis 1945 durfte er nur noch durch den Gefängnishof joggen.

In der Münchner Isabellastraße erzählt ein Schild mit dem fast verblichenem Schriftzug "Fitness-Center Smolana" von den Tagen, in der körperliche Ertüchtigung in Deutschland - gewissermaßen aus Nachkriegs-Scham - nur noch in schimmligen Hinterhöfen stattfand. Eine Zeit, in der die Fitness-Maschinen fast ausschließlich von Männern und keineswegs durchgängig von 6 bis 23 Uhr benutzt wurden. Klaus Beer, der Autolackierer von nebenan, erinnert sich noch gut an das Quietschen der Geräte beim Smolana.

Schwarzenegger habe hier in den sechziger Jahren regelmäßig trainiert, bevor er in ein Studio in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs gewechselt sei. Aber auch diese Muskel-Bude in der Schillerstraße konnte im Wettbewerb um Ergometer und Crosstrainer langfristig nicht bestehen. Heute befindet sich hier das Hotel "Brunnenhof" - und der Inhaber Florian Voigt berichtet an der Rezeption, dass einige amerikanische Touristen gezielt sein Haus ansteuerten - gewissermaßen auf der Suche nach einer echten Terminator-Hantel. Eigentlich müsse er, sagt Voigt, dem ehemaligen Gouverneur von Kalifornien endlich mal eine Gedenktafel spendieren.

Seit Schwarzenegger hat die Fitness-Branche eine Art Wettrüsten erfasst. Gewichte und Rudermaschinen reichen schon lange nicht mehr. Heute müssen Lounge-Sofas her, ein Wellness-Bereich, Yoga-Kurse, individuelle Musikprogramme sowie Kinderbetreuung. Die Kraftmaschinen werden immer größer und anspruchsvoller. Wer zum Beispiel in der Fitness-Kathedrale von München-Brunnthal seinen Transponder in Laufband, Ergometer oder Stepper steckt, wird via Flachbildschirm namentlich begrüßt. Sofort stellt sich das Gerät auf die individuellen Wünsche des Kunden ein: Mehr Oberschenkel? Weniger Po? Alles kein Problem.

Auf dem Flatscreen des Laufbands startet ein kurzer Film, damit der Sportler bei der Übung ja nichts falsch macht. Wie wäre es anschließend mit etwas Adventure Cycling nebenan? Oder Functional Training an den Handzügen? Hier empfiehlt der Computer die Übung "Holzhacken". Zumindest dieses Wort kommt dem Laien noch bekannt vor. Der Rest heißt: Bodyart, Stretch Pur Bodystyling, Hatha Workout, Kundalini Yoga, Kids-Capoeira. Muss dieser Schnickschnack wirklich sein?

"Nun, es gibt im Leben immer die Möglichkeit, sich zwischen Currywurst und Feinkost zu entscheiden", betont "Body + Soul"-Chef Michael Pribil. Mit sechs Saunen, individuellem Multimedia-Programm und 125 Kursen pro Woche biete er eben Feinkost. Und Pribil ist sein bester Werbeträger: Seine Muskeln drücken beeindruckend olympionikisch gegen das schwarze T-Shirt.

Dass Fitness einmal zum lukrativen Berufsmodell für Viele werden könnte, galt in den achtziger Jahren, als Jane Fonda noch in rosa Monsterstulpen über den Bildschirm hüpfte, als eher unwahrscheinlich. "In Anzing, wo ich aufgewachsen bin", erzählt Martin Seiz, 41, Chef des 24 Jahre alten Centers "Leo's" an der Münchner Leopoldstraße, "waren klassische Berufe wie Bäcker, Metzger oder Mechaniker anerkannt.

Mit meinem Berufsziel als Fitnesstrainer konnte man nicht viel anfangen. Das wurde für eine Notlösung gehalten." Heute beschäftigt Seiz 100 Mitarbeiter, in seinen Räumen trainieren 3000 Jahreskartenbesitzer. Obwohl es hier weder Schwimmbad noch Kletterwand gibt. Fast ein Unding, im so genannten Premiumbereich.

Fitness muss heute entweder günstig sein, zum Beispiel in den oft dunklen, eng mit Geräten vollgepackten Studios der Billig-Kette "McFit" (Motto: "Einfach gut aussehen", 975000 Mitglieder). Und Fitness muss schnell gehen, da es dem gehetzten Menschen generell an Zeit mangelt. Darauf setzt beispielsweise die Kette "Body Street", die für "das zeitsparendste Training, das Sie jemals kennengelernt haben" wirbt. Hier wird im Schaufenster mit Reizstrom-Westen um die Wette gehopst.

Sophia, 32, bevorzugt einen herkömmlichen Center für "meine Endorphine". Die blonde Reisekauffrau sitzt dreimal pro Woche an der Kraftmaschine. Schließlich sei gutes Aussehen gerade in ihrer Branche wichtig. Im Fotoladen hat sie kürzlich Bewerbungsfotos von sich anfertigen lassen. "Inklusive Computer-Beauty-Retusche." Fotos mit Computer-Beauty-Retusche? Womöglich eine ganz neue Idee für den Wettbewerb in der Fitness-Branche.

"Dank dem Transponder wissen wir genau, was wann von welcher Zielgruppe benutzt wird", erklärt Geschäftsführer Pribil in München-Brunnthal. "Wir wissen, dass Frauen eher die ruhige Ecke bevorzugen und sich Männer auch mal an ein Gerät setzen, wo öfter jemand vorbeikommt." Und was ist mit den Leuten, die nur aus schlechtem Gewissen ihren Jahresbeitrag zahlen, dann aber nie vorbeischauen?

Bei ihm gebe es keine Karteileichen, versichert der Geschäftsführer. "Stellen wir nämlich über den Transponder fest, dass einer unserer Gäste schon lange nicht mehr da war, so wird er von uns angerufen." Zur Sicherheit: Das ist keine Sekte! "Wir sind eine Community." Eine Community mit dem unbedingten Willen, das Holzhacken völlig neu zu erfinden.

© SZ vom 09.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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