Familien-Studie:Wann nimmt das Leben Fahrt auf?

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Zwischen dem 35. und 59. Lebensjahr, in der sogenannten "Rushhour des Lebens", ballen sich die Ereignisse. (Foto: Johannes Eisele/dpa)

Partner, Kinder, Beruf - die großen Fragen werden zumeist bis zum Alter von 35 entschieden. Doch eine Studie zeigt: Auch danach geht es für viele Menschen drunter und drüber.

Von Ulrike Heidenreich, München

In der Rushhour des Lebens kommt alles auf einmal: Partner, Kinder, Job, Haus. Alles ist neu, alles soll irgendwie unter einen Hut gebracht werden. Doch was passiert eigentlich danach? Zwischen dem 35. und dem 59. Lebensjahr? Diese Phase nennt sich mittleres Erwachsenenalter und ist bislang wenig erforscht. Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) hat nun versucht, diese Lücke zu schließen. Denn auch in diesem Lebensabschnitt geht es mittlerweile drunter und drüber. Klar definierte Geschlechterrollen? Planbare Karrieren bis zum Ruhestand? Das war einmal.

Seit vielen Jahren liegt das Hauptaugenmerk der Familienpolitik in Deutschland auf Familien, die Babys oder Vorschulkinder haben. Das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist vor allem für Menschen im Alter zwischen 25 und 35 Jahren ein Thema. Soziologin Christine Henry-Huthmacher, die bei der KAS die Familien- und Frauenpolitik koordiniert, weist auf die Leerstelle danach hin: "Die Phase der Rushhour des Lebens findet in vielfältigen politischen Maßnahmen ihren Niederschlag. Die sich daran anschließende Lebensphase unterliegt jedoch ebenfalls einem starken gesellschaftlichen Wandel."

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Immerhin 36 Prozent der Menschen in Deutschland sind zwischen 35 und 59 Jahre alt. Die KAS-Studie reißt an, was in dieser Spanne alles passieren kann, woran die Menschen wachsen und womit sie hadern können: Scheidung, Wiederverheiratung, Patchwork-Organisation, Leben als Alleinerziehende, große Kinder - große Sorgen, Pflege der Familienangehörigen. Für die Mitte gibt es eine genaue Definition: Geht man von einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 82 Jahren in den westlichen Industrienationen aus, ist die Mitte des Lebens mit 41 Jahren erreicht.

Die Mehrheit der Männer und Frauen in diesem Alter hat nach den Zahlen der Studie, die von Norbert Schneider, des Chefs des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), zusammengestellt wurden, die Gründung eines gemeinsamen Haushalts mit einem Partner, die Familiengründung und eventuell eine Heirat bereits hinter sich. Im Alter von 35 Jahren lebt die Mehrheit der Menschen in einer festen Beziehung, das letzte Kind ist geboren. Das jüngste Kind hat dann das Grundschulalter erreicht.

Doch Schneider hat beobachtet, dass es nach dem Abschied von der "Normalfamilie" nun auch um den Abschied von der Idee eines "Normallebenslaufs" gehe. Insgesamt gelte: Zwischen dem 35. und dem 59. Lebensjahr driften die Lebensverläufe zwischen Männern und Frauen auseinander, ebenso zwischen Eltern und Kinderlosen. Auch die Bildung wirkt sich in diesem Lebensabschnitt stärker als früher auf die Lebensweise aus. Schneider sagt: "Hohe Bildung geht bei Männern verstärkt einher mit einem Leben in Familie mit Kindern. Bei Frauen dagegen nimmt mit zunehmender Bildung die Wahrscheinlichkeit zu, dass sie kinderlos bleiben und ohne festen Partner leben." Was sich noch verschiebt? Einige Beispiele:

Alter der Mütter

Im Jahr 2016 waren Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes im Durchschnitt 29,6 und bei der Geburt des dritten Kindes 33 Jahre alt. Wenn Frauen 35 Jahre alt sind, leben sie zu 69 Prozent noch mit Kindern unter einem Dach. Sind sie 59 Jahre alt, sind es noch knapp 20 Prozent. Das Alter der Väter bewegt sich beim Auszug des letzten Kindes Richtung 60 Jahre, Frauen sind knapp unter 55 Jahren.

Auszug der Kinder

Ursprünglich wurde die "Empty-Nest-Phase" als Krisenzeit von Müttern verstanden. Schneider führt jedoch Forschungsergebnisse von 1996 an, wonach, wenn überhaupt, der Auszug der Kinder nur für Hausfrauen ein Problem darstellt, die nicht erwerbstätig sind und so neu um ihre Lebensaufgabe ringen müssten. Mittlerweile jedoch sehen Forscher den Auszug positiver, nämlich als ambivalenten Prozess für Mütter und Väter - mit neuen Freiräumen, einer anderen Paarbeziehung, aber auch Trauergefühlen. Auch bei lang bestehenden Ehen kommt es jetzt zu Scheidungen: Ist das Nest leer, steigt das Trennungsrisiko der Eltern.

Wohnsituation

Obwohl weniger Menschen heiraten, überwiegt in der Phase des mittleren Alters weiter das Lebensmodell "Ehepaar mit Kindern": Dies sind immerhin noch 40 Prozent der Menschen. Im Vergleich zu den Zahlen von 1996 haben die Anteile der Alleinerziehenden und vor allem der Alleinstehenden zugenommen. Frauen sind in dieser Lebensphase häufiger verheiratet als Männer, aber auch häufiger alleinerziehend. Alleinstehend bedeutet nicht unbedingt, dass die Person auch alleine im Haushalt lebt. Sie kann auch in einer Wohngemeinschaft oder in einem Mehrgenerationenhaushalt wohnen. 80 Prozent der Alleinstehenden zwischen 35 und 59 Jahren lebten im Jahr 2016 tatsächlich in einem Einpersonenhaushalt. Unter den Männern ist es jeder Vierte, der ohne Partner und Kind lebt, bei Frauen ist es jede Sechste.

Ost und West

Im Westen dominiert weiter die Hinzuverdiener-Ehe. Das bedeutet, dass bei 60 Prozent der Paare der Mann in Vollzeit verdient, die Frau überwiegend Teilzeit arbeitet - auch nach der Rushhour des Lebens. Mütter, die in einer Partnerschaft leben, tragen etwa ein Drittel zum Haushalts-Nettoeinkommen bei. Im Osten, in den neuen Bundesländern, überwiegt mit 75 Prozent das Modell mit zwei voll erwerbstätigen Partnern. An der unterschiedlichen Arbeitsteilung im Osten und Westen sowohl im Berufsleben wie im Haushalt hat sich, so die Forscher, in den vergangenen 20 Jahren wenig geändert.

Aufgabenverteilung

Die 35- bis 59-Jährigen rutschen, je länger sie in einer Ehe leben, in alte Rollenmuster zurück. Zu Beginn der Ehe praktiziert fast die Hälfte (46 Prozent) der Paare eine partnerschaftliche Aufteilung im Job. Nach acht Ehejahren sind es nur noch 22 Prozent. Und statt 20 Prozent wie nach den Flitterwochen haben später 44 Prozent der Paare ein Hinzuverdiener-Modell. Rund zwei Drittel der Familienarbeit, worunter etwa Haushaltsführung und Kinderbetreuung fallen, übernehmen in der mittleren Lebensphase die Frauen. Ebenso ist es bei der Pflege von Angehörigen durch Paare: Hier sind 70 Prozent der Frauen am Start - und nur 30 Prozent der Männer.

Zufriedenheit

Wie glücklich die Menschen mit ihrem Leben sind, wandelt sich im Lauf des Alterns. Zwischen 15 und 20 Jahren gibt es ein Hoch. Danach sinkt die Lebenszufriedenheit schrittweise bis zum Alter von 45 bis 55 Jahren - um dann bis zum Alter von 70 Jahren wieder anzusteigen. "Junge Menschen und Ruheständler kurz vor und nach dem Renteneintritt sind besonders zufrieden, während Personen im Alter von 45 Jahren sowie Menschen über 80 Jahre im Durchschnitt am unzufriedensten sind", sagt Soziologin Henry-Huthmacher. Dass in der mittleren Lebensphase der Frust manchmal so hoch ist, führen die Forscher auf unerfüllte Hoffnungen zurück - und dass manche sich gefangen fühlen durch langfristige Entscheidungen, die sie in den frühen Jahren getroffen haben. Job, Partnerschaft, Kinder, alles kann darunter fallen. In der empirischen Glücksforschung ist dieses Zufriedenheitstief unter dem Namen Midlife Crisis bekannt.

© SZ vom 29.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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