"Sie wollen doch sicher auch noch ein Zweites?", fragt die Kitaleitung beim Abholen von Tochter Maja. "Mal schauen", lächelt Anja höflich.
"Wann ist es denn bei euch soweit?", wird Katja seit ihrer Hochzeit vor fünf Jahren ständig gefragt. Sie drückt sich meistens davor, zu antworten.
"Das ist aber echt ein großer Altersunterschied, da haben die Kinder ja gar nichts voneinander", belehrt die Kollegin die schwangere Brigitte, die schon einen fünfjährigen Sohn hat. "Hmmm", macht Brigitte.
Hätte Anja ehrlich geantwortet, hätte sie sagen müssen, dass sie in der Kinderfrage seit Jahren mit ihrem Mann im Clinch liegt. Katja hätte verraten können, dass sie bereits mehr als 10.000 Euro in künstliche Befruchtungen investiert haben - umsonst. Und Brigitte hätte von den zwei Fehlgeburten erzählen können, die zwischen ihrem ersten Kind und der aktuellen Schwangerschaft lagen.
Doch über so hässliche Themen redet niemand gerne, während er sich in der Bürokantine gerade einen Salat zusammenstellt. Sie sind zu persönlich, zu traurig und zu kompliziert, um sie mal schnell nebenbei zu erörtern - eine Frage am Salatbuffet kann einen da völlig überrumpeln.
Es ist kein Geheimnis, dass sich in der Schublade, auf der "Familienplanung" steht, Dramen aller Art verbergen können - tote Kinder, Paarkonflikte, Geldprobleme, Unfruchtbarkeit. Jede dritte Frau erlebt einmal im Leben (manche öfter) eine Fehlgeburt. Sechs Millionen Männer und Frauen zwischen 25 und 59 sind ungewollt kinderlos. Jede zweite Frau über 35, die sich ein Kind wünscht, aber noch keines hat, lässt sich künstlich befruchten. Keine Statistik gibt es darüber, in wievielen Beziehungen die Kinderfrage eine Streitfrage ist, selten ist es sicher nicht.
Das Problem scheinen aber nur die Befragten zu kennen. Die Aufgabe, mit der Situation angemessen umzugehen, fällt also ihnen zu. Keine der drei Frauen hat eine ehrliche Antwort gegeben, sondern die Fragen höflich weggelächelt. Mit dem Schmerz, den sie verursacht haben, müssen sie alleine fertig werden.
SZ Magazin Wann ist es denn soweit?:Bauchgrimmen
Zur Schwangerschaft beglückwünscht zu werden, ist oft ein schöner Moment. Es sei denn, man ist nicht schwanger.
Eine bessere Antwort wäre "Das geht dich gar nichts an". In der Tat hat die Umwelt keinen Anspruch darauf, zu erfahren, wer wann auf welche Weise wie viele Kinder bekommt oder auch nicht. Dennoch scheint mit dem Kinderkriegen ( und mit der Frage "Bist du schwanger?" schon davor) unser Leben anscheinend Allgemeingut und damit Inhalt von Nebenbei-Gesprächen zu werden.
Warum ist das so? Nach dem Kontostand oder dem Sexleben unserer Kollegen erkundigen wir uns doch auch nicht en passant.
Kinder sind ein Small-Talk-Thema. Kinderkriegen nicht.
Vielleicht neigen wir dazu, das Kinderkriegen mit dem Kinderhaben zu vermischen. Kinder, die bereits auf der Welt sind, sind nämlich ein super Small-Talk-Thema. "Kann er schon krabbeln?", "Wie viele Zähne hat die Kleine denn?" oder am allerbesten "Zeig mal ein Foto!" - mit Fragen wie diesen bewegt man sich bei jungen Eltern meist auf sicherem Terrain. Zumindest, solange man nicht zu viele Tipps einstreut, wie das mit dem Krabbeln und Zahnen schneller und besser gehen könnte.
Vielleicht zeigen die indiskreten Fragen aber auch, wie sehr die "Vater-Mutter-und-zwei-Kinder-Kleinfamilie" die Köpfe beherrscht. Denn vor allem, wer von dieser gesellschaftlichen Norm abweicht, muss sich doofe Fragen gefallen lassen (schön hierzu der Erfahrungsbericht einer lesbischen Co-Mutter). Fünf Jahre verheiratet und noch nicht schwanger? Da stimmt doch was nicht! Ein Altersunterschied zwischen den Kindern, der nicht den pädagogisch wertvollen zweieinhalb Jahren entspricht? Gar nicht gut. Über 30, in einer festen Beziehung und kein Kinderwunsch? Egoistische Karrierekuh!
Wer hingegen brav mit 29 eine Person des anderen Geschlechts heiratet, nach zwei Jahren das erste Kind und nach vier Jahren das zweite bekommt, hat mit großer Wahrscheinlichkeit seine Ruhe. Und bloß nicht noch ein drittes oder gar Zwillinge bekommen, denn das kann dann auch wieder nicht mit rechten Dingen zugehen. Könnt ihr nicht verhüten? Ist etwa eine künstliche Befruchtung daneben gegangen? So direkt traut sich dann zwar doch niemand zu fragen, aber man kann es ja so formulieren: "Oh, wie schön, Zwillinge mit 42! War das geplant?"
Fragen, die urteilen
Die Subtexte machen Fragen zur Familienplanung so unverschämt. Es schwingt fast immer ein Urteil mit, sie sind mal mehr, mal weniger subtile Angriffe auf die Lebens- und Familienkonstellation der befragten Person. Daher ist dies ein Plädoyer dafür, sich mit solchen Fragen zurückzuhalten, oder noch besser, es einfach komplett sein zu lassen. Und bevor sich jetzt die "Man wird doch wohl noch nachfragen dürfen?"-Fraktion aufregt: Unter bestimmten Umständen darf natürlich gefragt werden.
Um sicher zu gehen, ob diese Umstände zutreffen, eignet sich ein kleiner Selbsttest - einfach nochmal kurz an Anja, Katja und Brigitte denken und überlegen: Möchte ich mit diesem Menschen über Fehlgeburten, Unfruchbarkeit, finanzielle Probleme oder Ehekrisen reden? Möchte er oder sie das wohl mit mir besprechen? Und ist gerade ein guter Moment dafür?
Wenn die Antwort darauf ein Nein ist: Klappe halten. Und wer mit Ja beantwortet, weiß wahrscheinlich ohnehin schon über alles Bescheid.