Familie und Partnerschaft:Die Besser-Esser

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Eine vegane Familie: Klassische Burger gibt es bei den Eckmeiers höchstens auf dem T-Shirt. (Foto: (c) Dorling Kindersley Verlag, Ulrike Kirmse)

Seine Eltern waren Biopioniere, der Koch Jérôme Eckmeier lebt mit Frau und seinen sechs Kindern Kindern vegan. Über eine Familie, in der Ernährung eine Haltungsfrage ist.

Von Georg Cadeggianini

Was sie heute auf ihr Brötchen haben will, fragt er seine vierjährige Tochter, die jüngste von sechs. Für die Pause in der Kita. Salami gibt es nicht. Natürlich nicht. Käse gibt es nicht. Auch klar. "Schinken?", eine vegane Version davon. Die Tochter schüttelt den Kopf. Sie steht mit ihrer Pausenbrotbox im Türrahmen der Küche, schiebt eine Salatgurkenscheibe nach der anderen in den Mülleimer. Brotzeit von gestern. "Stopp, die sind doch noch gut." Er rettet die letzten zwei Scheiben, seufzt. "Erdbeermarmelade?" Die Tochter liefert die Box ab, sagt mit der einer Vierjährigen ganz eigenen Mischung aus Trotz und Kooperation. "Ich will Gurken draufhaben."

Jérôme Eckmeier hat in der Sternegastronomie gekocht, auf Guernsey etwa, einer britischen Kanalinsel. Den Fisch dort haben die Taucher vorbeigebracht, frisch harpuniert. Die Gäste kamen mit dem Hubschrauber. Heute ist er Rock 'n' Roll-Veganer aus Ostfriesland, wie er sich selbst nennt, von Kopf bis Fuß tätowiert, 46 Jahre alt, mit Harley-Chopper und treuer Online-Fangemeinde, Autor von fünf Vegankochbüchern, verkauft in viele Länder, und Vater von sechs Töchtern. Er grinst kurz, dann drückt er die geretteten Gurkenscheiben in die Margarine des Brötchens: "So." Dann eben Brötchen mit Gurke.

Vegane Ernährung bedeutet, keinerlei tierische Produkte zu essen. Also nicht nur auf Fleisch und Fisch zu verzichten wie Vegetarier, sondern auch auf Ei und Honig, Joghurt und Nutella. Diese Woche kommt Eckmeiers neues Buch in den Handel: "Vegan für die Familie" - mit Monster-Burger aus schwarzen Bohnen und Hotdog, in dem ein gegartes Möhrchen steckt. Eigentlich wollte Eckmeier ein veganes Kochbuch schreiben, das sich explizit an Kinder richtet. "Aber da hat der Verlag nicht mitgespielt." Die Nährstoffversorgung von Kindern im Wachstum mit veganer Ernährung ist ein hoch und viel umstrittenes Thema. "Die im Verlag fanden das nicht zeitgemäß, halten die vegane Ernährung für zu wenig ausgereift."

Unkompliziertes Familienessen
:Hähnchenschnitzel mit Avocado-Tomaten-Salat

Gesund, mit einfachen Zutaten und perfekt für ein unkompliziertes Familienessen - das auch den Kindern unserer Köchin schmeckt.

Die Veganblume, das Siegel für vegane Lebensmittel, hat er sich auf den Arm tätowieren lassen

Man merkt dem Buch an, dass sich alle Beteiligten zu wappnen versuchen. Mit zwölf Seiten Theorieteil rund um "unerlässliche Mineralstoffe", Supplemente und die vegane Pyramide. Im Vorwort schwärmt ein Ernährungswissenschaftler: "Tatsächlich erreichen Veganer am ehesten die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für die Zufuhr von Protein, Fett und Kohlenhydraten." Die Fachwelt, auch die DGE, widerspricht, warnt vor Blutbildungsstörungen (Vitamin- B12-Mangel), Wachstumsverzögerung (Energie-Protein-Malnutrition) und neurologischen Störungen wie mentaler Retardierung (Mangel an Vitamin B12 und Jod). "Softdrinks und Fleisch", sagt Eckmeier, "sind mindestens genauso gefährlich."

Was ist gutes Essen? Für uns und für die Umwelt? Wie schaffen wir es, dass die Kinder das dann auch essen? Aber auch: Wie viel Ideologie verträgt der Familientisch überhaupt? Wo verläuft der Grat zwischen Vorleben und Bevormunden? Eckmeier war schnell klar, dass er es als Familie probieren will. Lebensentscheidung, nennt er es. Die Veganblume, das Siegel für vegane Nahrungsmittel, hat er sich auf den rechten Unterarm tätowieren lassen. Seit zehn Jahren lebt er vegan, und mit ihm seine ganze Familie.

Seine älteste Tochter rebelliert, will Frischkäse. Knallende Türen, Streit

Die Entscheidung fiel, nachdem ihn eine Gruppe von Tierbefreiern in einen Hähnchenmaststall mitgenommen haben. "Das war wie in einem Horrorfilm: ein irrer Gestank, ein irres übereinander Herfallen. Das wird in einer Legebatterie nicht anders aussehen." Das Schlimmste für ihn dabei: "Ich bin an dem Ding schon 10 000 Mal vorbeigefahren und habe mir nie was dabei gedacht. Das findet alles direkt neben uns statt." Er spricht von Schweinen, die einen ansehen wie dreijährige Kinder. Ein paar Kilometer weiter die Auslage im Supermarkt: portionsgerecht, kopf- und augenlos, mit perfekter Beleuchtung in Szene gesetzt. "Ich habe mich gefühlt wie ein Erkenntnistheoretiker. Dass mir das nicht früher klar wurde. Irre." Welche Welt hinterlassen wir unseren Kindern? Wer sich vegan ernährt, boykottiert die industrielle Landwirtschaft und damit einen der größten Umweltfeinde. Nahezu alle Zivilisationskrankheiten werden mit der westlichen Ernährungsweise in Zusammenhang gebracht. Die Osteoporose seiner Frau, erzählt Eckmeier, habe sich damit deutlich gebessert. Auch die Knochendichtewerte. Für ihn aber sei das mit der Gesundheit nicht mehr als ein netter Nebeneffekt. "Mir geht es um die Ethik. Der Planet darf nicht so leiden unter unserem Konsum."

Die Einzigen, die bei den Eckmeiers Fleisch essen, sind die Hunde, zwei Bulldoggen und ein Doggenmischling. "Ich habe versucht, sie vegan zu ernähren", sagt Eckmeier und lässt sie von der Leine. "Aber ihnen schmeckt das einfach nicht. Nicht mal vegetarisch geht." Jeden Tag ist er mit ihnen zwei mal fünf Kilometer unterwegs. "Gegen den Bauch hilft das wenig, aber es rettet mir den Arsch bei den Blutwerten." Die Hunde streunen durch den Hammrich, weitläufige Wiesenflächen, die sich hier bis zur Nordsee hinziehen. Eckmeier liebt die Kargheit von Ostfriesland, die besonderen Konturen, das andere Licht, den Himmel. "Als sie die A31 gebaut haben, haben sie hier den Sand rausgenommen und sich dafür verpflichtet, ein Naturschutzgebiet anzulegen." Nehmen und geben. Er nickt zufrieden. Ein Stück Ufer ist mit Schilf verwachsen. Es gibt keinen Rundweg, man muss zurücklaufen: Die Natur auch mal in Frieden lassen.

Was ihm am meisten geholfen hat auf dem Weg zum Erfolg: die Tattoos, die vielen Kinder oder der riesige Bauch? "Wahrscheinlich alles zusammen", sagt er. "Aber ich bin ja keine Kunstfigur. Ich bin einfach so, wie ich bin." Seine Fans auf Facebook oder Youtube spricht er mit "meine kleinen Tofuhummeln" an, signiert als "Euer kleiner Strolch". "Ich habe einfach Bock auf Blödsinn." Die schätzen das Bodenständige an ihm. Er, der auch mal im Discounter einkauft und aus seiner engen Küche vlogt, ohne Chichi, ohne Kochinsel, mit Plastikarbeitsplatte und Ceranfeld. Ehrlich und nicht immer widerspruchsfrei. Im Flur hängt eine Postkarte im Rahmen: "Entweder man lebt oder man ist konsequent." Am Rock 'n' Roll mag er das Wilde, das Eigensinnige: dem System Knüppel zwischen die Beine werfen. "Vegan zu leben ist da kein Gegensatz, es ist genau die Fortführung von Rock 'n' Roll."

Veganer Hotdog nach einem Rezept von Jérôme Eckmeier. (Foto: (c) Dorling Kindersley Verlag, Ulrike Kirmse)

Auf dem Handrücken, über den Buchstaben "R-O-C-K" auf den rechten Fingerknochen, trägt Jérôme einen roten Krebs als Tattoo. Die Scheren sind geschlossen, die Beine in Bewegung. Als ob er gerade weglaufen würde. 2014 wurde bei ihm ein Stimmlippenkarzinom diagnostiziert, 2017 ein Rezidiv. Momentan ist er krebsfrei. Mit der Erkrankung verliert er seine normale Stimme. Er klingt sehr heiser, nach zu viel Rock 'n' Roll. Der Krebs auf der Hand ist für ihn die Ermahnung, im Jetzt zu leben. Er saß damals monatelang hinter dem Wohnzimmerfenster, war gerade zum sechsten Mal Vater geworden. "Wie viele Winter hat mein Leben? Wie viele Geburtstage der Kinder feiere ich noch?" Er nennt es Glaubenskrise. "Da ernährst du dich vegan und dann kriegst du so 'ne arschige Krankheit." Aber er bleibt dabei: "Wahrscheinlich hätte es mich schlimmer erwischt, wenn ich nicht vegan gelebt hätte."

Er ist entspannter geworden. Die Kinder dürfen auch mal vegetarisch essen

Von seinen Eltern spricht Jérôme Eckmeier als Biopionieren, die in Reformhäusern Rohmarzipan in Wachspapier gekauft haben und in der kleinen Getreidemühle, die heute in seiner Küche auf dem Board steht, "die allergrauenhaftesten Bratlinge der Welt zubereitet haben". Wenn die Waldorfeltern von Jérômes Mitschülern zu Besuch waren, verräumte der Vater Fernseher und Videorekorder. Nachmittags, wenn der zwölfjährige Jérôme allein zu Hause war, lud er seine Mitschüler ein, knöpfte jedem ein paar Mark ab und verwandelte das Wohnzimmer zum Pornokino. "Ich durfte zu Hause alles."

Melanie dagegen, seine Frau, auch sie Köchin, kommt aus einer Jägerfamilie. Der Großvater hat aus dem Auto heraus Wild geschossen. Mit zwölf, als sie verkündete, dass sie von nun an Vegetarierin sei und erst mal erklären musste, was das eigentlich heißt, lautete die Antwort: "Du spinnst! Du isst, was auf den Tisch kommt." Als Jérôme 27 und Melanie 18 ist, heiraten sie - während ihre Eltern gerade im Urlaub waren. Als sie ihren Eltern erklärt, dass sie von nun an vegan leben würde, schlägt die Mutter beide Hände über dem Kopf zusammen: "Jetzt ist sie auch noch in einer Sekte."

Eckmeiers älteste Tochter rebelliert relativ schnell gegen das, was die Oma Sekte nennt. Knallende Türen, viel Streit: "Warum sollten wir deine Entscheidung mittragen?" Eckmeier erzählt davon, wie die heute 15-Jährige zum Beispiel Frischkäse wollte - und er sich windet. "Das fühlt sich einfach falsch an. Da sind Hormone drin, habe ich ihr dann gesagt. Da kriegste noch mehr Pickel von." Eckmeier hat kein Problem damit, seine Haltung nicht nur vor seinen Kindern, sondern auch für seine Kinder zu vertreten. "Früher hat doch auch der Vater gesagt: ,Iss dein Gemüse auf.' Wer sagt, dass da noch was anderes auf dem Teller liegen soll?"

Er gibt seinen Kindern Tricks für unterwegs mit. "Ein Pizzabrot bestellen, dazu einen Salat - und sich den dann draufpacken. Und immer dazu sagen, dass es ernst ist. Dass man darauf allergisch ist, der Hals sonst zuschwillt, ein Rettungswagen kommen muss." Einmal war eine seiner Töchter beim Geburtstag einer Kindergartenfreundin eingeladen. Die Mutter wollte ihn provozieren und hat eine Runde Fischstäbchen ausgegeben. Als er das beim Abholen mitbekommt, geht Jérôme an die Decke: "Ich lege deiner Tochter doch auch nicht eine Packung Zigaretten hin. Da qualm mal!" Ist das so viel anders als Melanies Jägerfamilie? Wie viel Zwang ist erlaubt, auch für eine gute Sache? Inzwischen lebt er nicht mehr so dogmatisch wie früher. Er ist ruhiger geworden, will mehr bei seiner Familie sein, arbeitet auch als Sozialpädagoge. Längst ist er versöhnt, auch mit seinen Schwiegereltern, kocht auch mal für die große Tafel, natürlich vegan.

Mit den eigenen Kindern durchläuft er Phasen. Zunächst erlaubt er, dass sie außer Haus auch mal Milch trinken oder Käse essen. Dann, dass auch der heimische Kühlschrank nicht mehr rein vegan ist. Aber sie müssen es selbst einkaufen. "Heute bin ich deutlich entspannter. Ich habe kein Problem mehr damit, der Großen was Vegetarisches mitzubringen." Sie ist die einzige der Eckmeiers, die sich nicht rein vegan ernährt. Was, wenn ihn jemand im Bioladen mit Käse erwischt? Ihn, den Bestsellerautor veganer Kochbücher? Er schürzt die Lippen. Kinder eben. "Unsere Hauptmahlzeiten sind rein vegan. Aber wenn die Große sagt, sie geht zu McDonald's - was willst du machen?" Zum Glück esse sie dort nur Pommes oder Apfeltaschen. Und oft ist es umgekehrt. Da sitzen Freunde mit am Esstisch, und abends rufen deren Eltern an: Was war das für ein toller Kuchen? Wie geht diese Grünkernbolognese? Eckmeier sieht sich als Starthilfe: "Egal, wie sie später damit umgehen, sie werden immer im Kopf haben, dass wir versucht haben, sie gesund zu ernähren."

Momentan arbeitet er an einem neuen Tattoo, ein riesiges, über den gesamten Rücken: zwei gekreuzte Samurai-Schwerter, von Hüfte bis Schulterblatt, dahinter eine Maske. Es gehe um Liebe und Haltung, um Schutz und Überleben, vor allem um den Kampf, das Richtige zu tun. Zu viel für einen Rücken? Für ein Leben? Das sei, sagt Jérôme Eckmeier zum Schluss, wie im Dönerladen: "Mit alles? - Ja gern."

© SZ vom 23.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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