Die Vorbild-Politiker:Die Wurst und die Wähler

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Warum Politiker so gerne beim Essen zeigen, wie volkstümlich sie sind -neuerdings aber auch an Möhren und Äpfeln knabbern.

Christian Mayer

Jahrzehntelang war die Wurst ein deutsches Nationalgericht, das keine Parteien kannte. Politiker mussten alles hinunterwürgen, vor allem wenn Kameras in der Nähe waren. Ein Profi wie Gerhard Schröder wurde mit jeder Variante fertig: Ganz gleich, ob Currywurst, Bratwurst oder Fränkische, der Mann hatte Biss, und immer war die Botschaft gleich: Ich, Schröder, bin ein Mann aus der Mitte des Volkes. Ich esse, was ich bin, und ich bin, was ich esse; geht mir weg mit dem Gemüse!

Schröder, Schröder-Köpf; AP

Wenn's dem Wähler schmeckt, schmeckt's dem Staatsmann auch. Eine Currywurst mag zwar nicht besonders gesund sein, dem Image tut sie aber mitunter gut.

(Foto: Foto: AP)

Notfalls ließ er sich sogar von Ehefrau Doris beim "Schorsen-Fest" in Hannover mit Pommes füttern, was vom anwesenden Volk natürlich sehr goutiert wird. Die Wähler sollen es ruhig merken, wenn denen da oben das schmeckt, was die da unten gerne zu sich nehmen.

Angela Merkel zeigt sich bei solchen Gelegenheiten fast so unkompliziert wie ihr Vorgänger. Auch sie schreckt nicht vor deftigen Gerichten zurück und betont ihre Bodenständigkeit. Sie ließ sich mit dem amerikanischen Präsidenten beim Grillen fotografieren; sie ging zünftig frühstücken mit ihrem ärgsten Rivalen; sie bekannte freiherzig in der Bunten und bei Beckmann, dass sie in ihrem Ferienhaus selbstgemachten Pflaumenkuchen am liebsten mag.

Die Tischordnung der Macht

Bei der traditionellen Schaffermahlzeit der Bremer Kaufleute setzte sich Angela Merkel 2007 sogar als erster weiblicher Gast einem fünfstündigen Gelage aus, bei dem unter anderem Stockfisch, Grünkohl und Pinkel, Rigaer Butt und Kalbsbraten, Selleriesalat und Chester-Käse mit Sardellen aufgetischt wurden. Die Essenz dieser Kraftleistung ist klar: Wer so was aushält, ohne dass der Magen rebelliert, kann auch die ganz normalen Widrigkeiten der Politik verdauen.

Man darf der Kanzlerin übrigens glauben, dass sie nach einem langen Arbeitstag ganz gerne nach einer ehrlichen Currywurst verlangt, wenn sie abends endlich mal Zeit für einen Happen hat.

Was Politiker zu sich nehmen, wird schnell zum Politikum, weil nicht die Nahrungsaufnahme an sich zählt, sondern die symbolische Handlung. Schon immer war es so, dass die Mächtigen bei öffentlichen Gelagen beweisen mussten, dass sie im Vollbesitz ihrer körperlichen Kräfte waren, also im Saft standen.

Am Hofe des französischen Königs Ludwigs XIV. war es üblich, dem Monarchen bei einer seiner vornehmsten Aufgaben zuzusehen: der öffentlichen Nahrungsaufnahme. Wenn der Herrscher speiste, mussten die Hofschranzen in gebührendem Abstand Gang für Gang, Köstlichkeit für Köstlichkeit verfolgen - ein stummes Schauspiel, bei dem die Zuschauer hungrig die Tafel verließen.

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