Dem Geheimnis auf der Spur:Mörderische Schleifen

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War Albert DeSalvo der "Würger von Boston"? Trotz DNA-Spuren bleibt sein Geständnis bis heute umstritten.

Von Trisha Balster

Meistens endete die Tat mit Nylonstrümpfen. Dem Opfer um den Hals geschlungen, zur Schleife gebunden. Viele Frauen in den frühen Sechzigern stapelten sie im Kleiderschrank oder trugen sie am Bein - einer der rätselhaftesten Serienmörder dieser Zeit verwendete sie zum Luftabschnüren. Manchmal knüpfte er die Strümpfe mit einem BH oder Schal zur Kette. Immer entkam er, ohne jede Spur, ließ nur das zum Verhängnis gewordene Kleidungsstück zurück.

13 Frauen erwürgte der "Boston Strangler", wie er bald genannt wurde, zwischen 1962 und 1964. Willkürlich schien er die Opfer auszuwählen, klingelte, tötete und vergewaltigte sie. Einmal stach er mit dem Küchenmesser zu. Die Frauen verband nichts, außer dem unverkennbaren Band um die Kehle.

Die Erste, Anna Slesers, war 55 Jahre alt, als der "Strangler" sie am 14. Juni 1962 besuchte. Die Älteste, Mary Mullen, starb am 28. Juni 1962 mit 85 an einem Herzinfarkt, noch bevor er seine Tat vollenden konnte. Die Jüngste, Mary Sullivan, war erst 19, als er zuschlug. Sie sollte am 4. Januar 1964 sein letztes Opfer sein - und Jahrzehnte später zu seiner Überführung beitragen.

Zunächst aber brachte das unberechenbare Vorgehen des Mörders Bostons Polizei gehörig durcheinander, die Frauen der Gegend versetzte es in Hysterie. Eine Notrufnummer wurde eingerichtet für vermeintliche Würger-Vorfälle, die Presse berichtete im Akkord, die Ermittler verhörten Hunderte Verdächtige, schalteten irgendwann sogar einen Hellseher ein - Klarheit schaffen konnte auch der nicht.

Wahrscheinlich wäre die Fahndung noch lange so weitergegangen, hätte sich nicht urplötzlich ein gewisser Albert DeSalvo aus seiner Zelle im Bridgewater State Hospital in Massachusetts zu Wort gemeldet. Er sei es, gestand er seinem Anwalt ein Jahr nach der letzten Tat, er sei der "Boston Strangler". Aber wie konnte er bereits einsitzen, während die Polizei noch spurlos umherirrte?

Der vermeintliche Würger war kein Unbekannter - aber bevor er zum "Boston Strangler" wurde, trug er viele Namen. Anfangs klingelte sich DeSalvo als "Measuring Man" durch Bostons Vororte und sagte den Hausfrauen, er sei Fotograf, sie würden sich gut als Models machen, und dass er Maß nehmen wolle. 1961 musste der damals 30-Jährige elf Monate für die Belästigungen in Haft. Wieder auf freiem Fuß ließ er zwar den Beinamen hinter sich, aber nicht die Taktik.

Sein Geständnis war vor Gericht nicht belastbar, denn es fehlten die Beweise

Der Anfang von seinem Ende war eine grüne Hose. Nun war er der "Green Man", strich als angeblicher Handwerker umher, in grüner Arbeitskleidung. Wieder stand er bei Hausfrauen oder alleinstehenden Damen vor der Tür, er solle etwas reparieren, sagte er, bekam Einlass, und vergewaltigte sie. Aber auch der "Green Man" wurde gefasst: 1964 kam DeSalvo in das Gefängniskrankenhaus Bridgewater State Hospital.

Wenig später wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt - aber eben nicht als "Boston Strangler". Sein Geständnis war vor Gericht nicht belastbar, Beweise vom Tatort fehlten. Der Öffentlichkeit schien das egal zu sein - Hauptsache, ein Schuldiger war gefunden, zumal seine kriminelle Laufbahn ziemlich passend klang. Viele sahen in DeSalvo bereitwillig den skrupellosen Killer, der bereits als Jugendlicher zu klauen begann und später von seiner Frau als sexsüchtig beschrieben wurde. Nun würde er nach Aufmerksamkeit lechzen, sagten sie; deshalb habe er sich auch gestellt. Die Aufmerksamkeit bekam er auch: Ein Gerichtsreporter des Boston Globe schrieb damals, um den Verhandlungssaal hätten sich so viele Schaulustige gedrängt, dass die Polizei die Korridore räumen musste.

Skeptischere Berichterstatter und Anwälte wiesen auf das wohl lückenhafte Geständnis hin, zu dem DeSalvo der Mitgefangene George Nassar gedrängt hätte. Nassar saß wegen Mordes an einem Tankstellenmitarbeiter ein und galt als enger Vertrauter von DeSalvo. Der Guardian beschrieb ihn später als "kaltblütigen Killer mit dem IQ eines Genies". Was besonders heikel war: Als DeSalvo 1973 seine Aussagen zurückziehen wollte und gegenüber einem Gefängnispsychologen Andeutungen Richtung Nassar machte, wurde er erstochen auf der Krankenstation gefunden. Der vermeintliche "Strangler" war außer Gefecht gesetzt, und auch die Ermittlungen kamen ins Stocken.

Wer sich für den Fall stattdessen brennend interessierte, waren Hollywoods Filmemacher. Genug Stoff für Thriller bot er schließlich. Ein zunächst unauffindbarer Mörder, der später zum umstrittenen Schuldigen und schließlich selbst zum Opfer wurde. Bereits wenige Monate nach der finalen Tat kam "Der Würger von Boston" raus, in dem Victor Buono als Serientäter auftritt. Vier Jahre später spielte Tony Curtis DeSalvo in "Der Frauenmörder von Boston", was ihm eine Golden-Globe-Nominierung einbrachte. Selbst 2010 faszinierte die Geschichte noch, da jagte Andie MacDowell in "Patricia Cornwell - Undercover" als Staatsanwältin dem Mörder hinterher.

Abseits der Leinwand schien ein Ende des Krimis lange aussichtslos. Zwar hatten Ermittler an Mary Sullivans Körper früh Spermaspuren gefunden. Aber für entsprechende Untersuchungen waren die Technologien nicht weit genug. Erst 2013 startete die Polizei auf Drängen der Angehörigen einen neuen Anlauf, schickte die Proben wieder ins Labor, grub sogar DeSalvos Leiche aus - und stellte eine nahezu vollständige Übereinstimmung mit den Y-Chromosomen seines Neffen fest.

Fall erledigt? Die Familie DeSalvo protestierte; die DNA-Spuren des Onkels an Sullivans Körper seien nicht zwangsläufig ein Beweis für dessen Schuld, sagte ihre Anwältin. "Wir haben möglicherweise eine der größten Mordserien des Landes aufgedeckt", jubelte dagegen die Generalstaatsanwältin - wenn da nicht noch mindestens zwölf ungeklärte Taten wären.

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