"Ich sehe Dich überall. Du bist die Ärztin, die meine Kinder behandelt, wenn sie krank sind. Du bist die Grundschullehrerin meines Sohnes", schreibt eine Hausfrau an eine berufstätige Mutter. Und weiter: "Manche werfen Dir vor, Du würdest Dein Kind weniger lieben als Mütter, die zu Hause bleiben. Wie können sie so etwas behaupten? Ich weiß, dass Du Dein Kind genauso liebst wie jede andere Mutter es tut."
Die Sätze stammen aus einem Blogeintrag mit dem Titel "A Letter From a Working Mother to a Stay-At-Home-Mother, and Vice Versa" von der australischen Ärztin und Bloggerin Carolyn Ee. Ihr Artikel hat derzeit über 600.000 Facebook-Likes. Ee hat zwei fiktive Briefe aufgesetzt - einen aus der Perspektive einer arbeitenden Mutter und einen zweiten aus der Sicht einer Hausfrau, beide richten sich an die Vertreterinnen des jeweils anderen Lebensmodells. In den Briefen teilen die Frauen einander mit, dass sie die Sorgen und Ängste der anderen kennen und einander wertschätzen.
Die berufstätige Frau schreibt der Hausfrau unter anderem: "Viele Leute fragen sich, was Du den ganzen Tag zu Hause machst. Ich weiß es. Ich kenne die Herausforderungen, vor denen Du täglich stehst: Die Trotzanfälle des Kleinkindes, die vollgemachten Hosen, der Kampf ums Essen, die Rivalität zwischen den Geschwistern, das Baby, das nicht aufhören will zu schreien. Manche Leute verstehen nicht, dass Du arbeitest, dass Du einfach einen unbezahlten Job zu Hause hast."
Oft fehlt die Solidarität
Beide Briefe enden mit den Zeilen "Ich wollte Dir nur sagen, dass ich Dich verstehe. Denn wir sind beide Mütter - Love from the trenches", was übersetzt so viel heißt wie: "Liebe Grüße von der anderen Seite des Schützengrabens." Anscheinend hat Carolyn Ee mit ihren Briefen einen Nerv getroffen.
Hausfrauen und berufstätigen Müttern wird oft ein Konkurrenzkampf nachgesagt. Jede berufstätige Mutter kennt die skeptischen Blicke der Vollzeitmütter, wenn sie bei Kindergeburtstagen oder Kita-Feiern keinen selbstgebackenen, sondern lediglich einen gekauften Kuchen mitbringt. "Mütter, euer Feind ist weiblich", lautet der Titel eines Buches der Journalistin Cornelie Kister, in dem sie unnötige Konkurrenzkämpfe zwischen Frauen schildert und sie zur Solidarität aufrufen will. Die vierfache Mutter hat diesen Kampf selbst häufig erlebt.
Sobald Mütter über Kinderbetreuung und ihre eigene Berufstätigkeit reden, sei laut Kister kein normales Gespräch mehr möglich. "Dann gehen wir instinktiv in Alarmbereitschaft und wetzen die Messer, für einen gezielten Angriff oder die wütende Verteidigung", schrieb sie 2011 in einem Artikel für das SZ-Magazin. Kister glaubt, dass Frauen bei diesem Thema besonders empfindlich reagieren, da jeder Lebensentwurf das Ergebnis nervenaufreibender Diskussionen mit dem Partner, den Kindern und dem Arbeitgeber sei.
Erwerbsarbeit ist höher angesehen
"Mütter stehen unter Druck, weil sie Beruf und Familie als zwei getrennte Bereiche wahrnehmen, in denen sie gleichermaßen perfekt funktionieren wollen", sagt Corinna Onnen, die als Professorin für Familiensoziologie an der Uni Vechta forscht. Gleichzeitig habe die Hausfrau in unserer Gesellschaft ein Imageproblem. Das liegt auch daran, dass berufstätige Frauen mittlerweile ein höheres Ansehen genießen. "Erwerbsarbeit gilt als Nonplusultra", sagt Familienforscherin Onnen. Viele Frauen würden sich selbst nicht mehr fragen, ob sie ihre Familie mit einem Job vereinbaren können, sondern ob ihr Job eine Familie zulasse. Gleichzeitig blenden viele aus, dass sich kleine Kinder nur schwer einem geregelten Arbeitstag unterordnen lassen.
Soziologen bezeichnen diese Entwicklung als Ökonomisierung der Gesellschaft. Diese stresst sowohl berufstätige als auch sich ganztags um die Kinder kümmernde Mütter gleichermaßen. Arbeitende Mütter machen sich oft Sorgen, dass sie zu wenig Zeit für ihre Kinder haben. Gleichzeitig müssen sich Frauen, die ihr Leben voll und ganz der Familie widmen, heute viel häufiger rechtfertigen als berufstätige. Um ihr Lebensmodell zu legitimieren, würden sich viele Hausfrauen selbst unter Druck setzen, sagt die Familiensoziologin. "Zum Beispiel, indem sie von sich verlangen, ihre Rolle als Erzieherin, Köchin, Hausfrau und Ehefrau ganz besonders gut zu erfüllen."
Mütter teilen viele Herausforderungen
Vollzeitmütter sind mittlerweile außerdem in der Unterzahl. Eine Erhebung des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2011 hat gezeigt, dass zwei von drei Müttern arbeiten. Den Kindern scheint die Berufstätigkeit der Eltern meistens nicht viel auszumachen - im Gegenteil. Im Rahmen der Kinderstudie 2010 wurden 2500 Sechs- bis Elfjährige befragt, ob es sie störe, wenn beide Eltern arbeiten. Die meisten fanden es völlig in Ordnung.
Dass die Diskussion über einen angeblichen Konkurrenzkampf zwischen berufstätigen Müttern und Hausfrauen von den eigentlichen Problemen ablenke, davon ist die Genderforscherin Christine Eifler von der Uni Bremen überzeugt. Die meisten Frauen würden sich ihrer Meinung nach gar nicht aus ideologischen Gründen für oder gegen eine Erwerbstätigkeit entscheiden. Vielmehr sei diese Entscheidung von vielen Faktoren abhängig, beispielsweise von der Kinderfreundlichkeit der Umgebung, der beruflichen Situation des Partners oder weiteren familiären und gesellschaftlichen Gründen.
So wie es auch in den Briefen der Bloggerin Carolyn Ee deutlich wird, stehen die meisten Mütter vor ähnlichen Herausforderungen, egal, ob sie erwerbstätig sind oder nicht: "Sie wollen mit ihren Kindern ein gutes Leben führen, diese gut erziehen, ihnen emotional und finanziell alles bieten, was sie brauchen", sagt Genderforscherin Eifler. Das sei viel wichtiger, als die Frage, was die Nachbarin anders mache.