Extremsport:"Ich durfte als Kind einfach machen"

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"Es ist das Allerschönste, wenn man seine Leidenschaft findet": Skibergsteiger, Unternehmer und Vater Benedikt Böhm. (Foto: PHILIPP FREUND/Dynafit)

Der Extrem-Skibergsteiger und dreifache Vater Benedikt Böhm über die Grätsche zwischen Familie, Verantwortung und Besessenheit.

Von Friederike Walch-Nasseri

Benedikt Böhm ist Unternehmer und Extrem-Skibergsteiger. Der 43-Jährige bezwingt in Rekordzeit über 8000 Meter hohe Gipfel, zu Fuß und mit Skiern. Lebensgefahr inklusive. Während eines Geschäftsaufenthalts in Südtirol spricht der gebürtige Münchner zwischen zwei Business-Meetings via Video-Call. Es geht um Verantwortung - gegenüber der Familie, gegenüber den Kameraden bei einer Bergtour und gegenüber sich selbst.

SZ: Herr Böhm, sind Sie ein "Helikoptervater", der sich ganz besonders um seine Kinder sorgt?

Benedikt Böhm: Ein Helikoptervater? Nee, ganz und gar nicht. Ich bin eher das Gegenteil von einem Helikoptervater, weil ich selbst nach dem Motto erzogen wurde, dass man Kindern viel Eigenverantwortung gibt. Ich bin das fünfte von insgesamt sechs Kindern. Ich durfte halt einfach machen. Wenn ich auf einen Baum geklettert bin hieß es nicht "Hey komm runter", sondern eher "Schau mal, ob du es zum nächsten Ast schaffst". Nicht, weil man mich pushen wollte, sondern einfach, weil das Vertrauen da war.

Sie bekommen also keine Schweißausbrüche, wenn Ihre beiden Söhne auf einen hohen Baum klettern?

Nein, aber natürlich gibt es schon Grenzen. Mir geht es darum, dass die Kinder zwar bestmöglich begleitet, aber nicht bevormundet werden. Ich glaube, das ist auch ein Thema, bei dem es ein ziemlich hohes Konfliktpotenzial zwischen meiner Frau und mir gibt. Wir sind da einfach völlig unterschiedlich gepolt. Wenn ich auf dem Berg unterwegs bin, hat sie interessanterweise keine Angst. Um mich sorgt sie sich lange nicht so sehr wie um die Kinder. Trotzdem sprechen meine Frau und ich über unsere Ängste und versuchen, den anderen verstehen. Ich finde, man hat einfach nicht alles in der Hand. Vor Kurzem waren wir auf einer Skitour, und da hat sich der Sechsjährige das Knie verdreht. Sicher, ist blöd - aber passiert halt mal. Solange er keine schwere Verletzung hat, geht davon die Welt nicht unter.

Sie haben mit elf Jahren begonnen, Leistungssport zu treiben, ihr Ältester ist jetzt zehn. Was würden Sie sagen, wenn er sich demnächst die Skier auf den Rücken schnallt und trainiert, um in Zukunft Achttausender zu besteigen?

Also abhalten würde ich ihn definitiv nicht. Klar würde ich mir auch Sorgen machen, ich weiß, worum es geht. Aber es ist auch das Allerschönste, wenn man seine Leidenschaft findet - etwas, wo man seine ganze Passion reinlegen kann. Ob das jetzt das Bergsteigen ist oder Musik machen oder schreiben oder jeder andere Beruf, der zur Berufung wird. Das ist letztlich wurscht. Es geht um Selbstfindung und ich glaube, das ist das, was uns Menschen am allermeisten Kraft und Freude gibt: Wenn man etwas findet, das einen wirklich erfüllt.

Ganz ehrlich, auf wie vielen Elternabenden waren Sie in den letzten Jahren?

Das ist eine harte Frage. Auf zwei.

Und Ihre Frau...?

Die war natürlich auf viel mehr. Dafür rühme ich mich auch nicht. Ich bin inzwischen sehr viel geschäftlich unterwegs. Es ist auch oft so, dass ich gehe, wenn die Kinder noch schlafen, und nach Hause komme, wenn sie schon wieder im Bett sind. Wenn überhaupt, habe ich oft nur am Wochenende Zeit, da versuche ich dafür dann auch viel Quality-Time mit ihnen zu verbringen. Ich denke, es geht da um Intensität, darum dass ich eine wirklich intensive Zeit mit den Kindern habe.

Gibt ein bestimmtes Abschiedsritual, wenn Sie Ihre Familie mal länger verlassen, gerade vor risikoreicheren Touren?

Ich wünschte, das gäbe es. Meistens ist es wahnsinnig hektisch, bevor ich gehe. Deswegen gibt es eigentlich keine Rituale, außer dass man sich vielleicht noch schnell umarmt. Mir ist wichtig, dass man vorher trotzdem über alles Wichtige gesprochen und für alle Eventualitäten einen Plan hat. Das habe ich auch erst mit der Zeit gelernt. Die Verabschiedung selbst ist dann oft sehr routiniert.

Haben Sie eine - vermutlich sehr teure - Lebensversicherung?

Ja, vor etwa zwei Jahren habe ich tatsächlich endlich eine Lebensversicherung bekommen. War ein harter Überzeugungskampf. Man kann sie sogar aufstocken, wenn man rechtzeitig vorher Bescheid gibt, so dass sie auch Expeditionen mit einschließt.

Treffen Sie sonst irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen? Gibt es zum Beispiel eine Reiseapotheke, die trotz dem extrem minimierten Gepäck auf einer Tour nicht fehlen darf?

Ich habe da schon ein großes Gottvertrauen. Und mein Geheimmittel ist, mich selbst zu kennen. Zu wissen, wie weit ich gehen kann und wie weit eben nicht. So ein kleines Sicherheits-Package mit Tabletten, die man nimmt, gibt's natürlich schon. Zum Beispiel Blutverdünner, Dexamethason gegen Entzündungen.

Und Viagra?

Das auch, für die bessere Sauerstoffaufnahme in extremer Höhe. Der Rest liegt dann beim Schicksal.

Welchen Sonnenschutzfaktor braucht man denn im Himalaya?

Am besten schon 50er.

Bei Ihrem letzten Besuch bei Markus Lanz wurde ein Bild Ihres Fußes nach einer Tour gezeigt - mit einem ziemlich großen Loch in der Ferse. Wie geht es Ihren Füßen aktuell?

Also besonders sexy schauen sie jetzt nicht aus. Ich hatte zwar keine Amputationen, aber die Zehnkappen sind schon ein bisschen in Mitleidenschaft gezogen. Die Ferse hat sich auch nie so ganz erholt, da ist zwar keine offene Stelle mehr, aber sie ist sehr empfindlich. Das ist jetzt ziemlich genau zwei Jahre her, und die Haut ist immer noch rosa.

Auf den Touren, die Sie machen, kann es auch mal zu schwereren Verletzungen kommen und sogar lebensgefährlich werden. Gibt es denn vorher irgendwelche Absprachen, wer am Berg dann für wen die Verantwortung trägt, wenn es zu einem Unfall kommt?

Das gibt schon, ja. Da habe ich auch einen langen Lernprozess durchgemacht. So eine Gruppe Männer lösen angehende Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten ja oft, indem sie einfach gar nicht darüber reden. Eigentlich geht's darum, unangenehme Fragen auf eine möglichst professionelle Art und Weise anzusprechen. Welche Ängste gibt es und wo liegen individuelle Stärken? Haben wir noch dasselbe Ziel? Zählt es schon als Gipfelerfolg, wenn nur einer den Gipfel erreicht oder müssen wir zusammen oben ankommen? Gehen wir gleich schnell, oder nicht? Wenn einer umdreht, drehen dann alle um? Es ist nichts anderes als professionell, über solche Erwartungen zu sprechen.

Aber dann werden sich immer alle einig?

Manchmal muss man das dann noch eine Weile reflektieren und die Emotionen rausnehmen. Inzwischen unterschreiben wir sogar richtige Vereinbarungen miteinander. Letzten Endes fühlen sich nach so einem klärenden Gespräch alle besser.

Spüren Sie Verantwortung, dass Sie ein Vorbild oder sogar der Antrieb dafür sind, dass manche Menschen mit diesem Sport beginnen?

Ja, aber diese Verantwortung übernehme ich gern. Ich spüre sie nicht als Belastung. Im Gegenteil, ich freue mich wirklich über jeden, der vielleicht dazu animiert wurde, sich und seine Grenzen durch den Sport besser kennenzulernen. Die meisten Menschen in unserer westlichen Gesellschaft kennen ihre Grenzen oft überhaupt gar nicht. Ich wage mal zu behaupten, dass sowas wie Schmerzempfinden und unsere Belastungsfähigkeit eher auf einem absteigenden Ast sind. Und ich glaube, da hilft es schon, wenn man sich durch den Bergsport vielleicht irgendwie selbst ein bisschen wiederfindet.

Gibt es am Berg denn eine gelebte Solidarität zwischen all den Menschen, die nach oben wollen? Oder ist dann doch jeder, der sich in gefährliche Zonen begibt, für sich selbst verantwortlich?

Also prinzipiell sehe ich's so, dass jeder unbedingt für sich selbst verantwortlich ist. Auch im Team. Wenn du ein guter Teamplayer bist - ich rede jetzt von der Todeszone - musst du wissen, wo deine Limits sind. Man ist schon so mit dem eigenen Überleben beschäftig, dass man dort oben eigentlich keine Hilfe leisten kann. Es gibt, soweit ich weiß, keine Bergung von da oben.

Menschen, die in solchen Gefahrenzonen tödlich verunglücken, werden wirklich nie geborgen?

Ein Kufsteiner ist 2006 auf einem Achttausender in Pakistan verstorben, und sein Bruder hat seiner Mutter versprochen, dass sie ihn runterholen, um ihn in Kufstein beizusetzen. Dafür wurde dann eine riesige Expedition mit hunderten Sherpas angeleiert. Das war ein Mega-Kraftakt. Und dabei war es - auch wenn das makaber klingt - nur ein Toter, der geborgen werden musste. Das macht einen großen Unterschied. Wenn du ihn einmal gefunden hast, packst du ihn irgendwo rein. Und ob dann der Sarg oder Sack auf dem Weg nach unten ein paar Felsen schrammt, das ist dann relativ egal. Und trotzdem hat sein Bruder danach gesagt: Wenn er gewusst hätte, was das für ein Aufwand ist und wie groß das Risiko für die Truppe ist, hätte er es nicht gemacht. Deswegen ist Eigenverantwortung so wichtig.

In einem Interview haben Sie einmal gesagt, das Bergsteigen sei wie eine Sucht. Haben Sie jemals über eine Therapie nachgedacht?

Ja, ich habe tatsächlich über eine Therapie nachgedacht, weil mir das Runterkommen nach einer Tour so schwer gefallen ist. Aber ich habe fünf Geschwister, davon drei Schwestern, mit denen ich sehr eng bin. Dazu kommt ein großes Freundes-Netzwerk in München, wo ich ja auch aufgewachsen bin. Ich finde immer jemanden, bei dem ich meine Seele ausschütten kann. Das ist ein großes, großes Glück und auch eine wichtige Basis für alles, was ich bisher machen konnte - machen durfte. Ich glaube, ohne diese Unterstützung, sowohl von der Familie als auch von Freunden, wäre mir all das viel schwerer gefallen.

Mitarbeit: Lisa Oppermann, Alexandra Pöhler, Julian Schmidt-Farrent, Aaron Wörz

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