Alleinerziehende Mütter:"Mei, das war ein Kampf"

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Alleinerziehende - eine arme Gruppe am Rande der Gesellschaft? Frauen aus drei Generationen, 27, 68 und 97 Jahre alt, erzählen von ihrem Leben.

Charlotte Frank und Inga Rahmsdorf

Die Münchnerin Katharina Schwab, geboren 1913, brachte nach dem Krieg ihre Kinder alleine durch.

In Deutschland leben 1,6 Millionen Alleinerziehende, 90 Prozent von ihnen sind Frauen. Immer noch gilt dies als eins der größten Risiken für Armut. (Foto: Foto: dpa)

Er kam einfach nicht mehr wieder. Rief noch "Bis bald" zum Abschied, radelte davon und wurde bei einem Bombenangriff lebendig begraben. Da stand sie nun, ohne Zuhause, ohne Geld, ohne Mann. Aber mit Anneliese und Rudi.

"Mei, wenn ich daran denk', das war ein Kampf", sagt sie heute, "ich konnte die Kinder ja nicht verwahrlosen lassen". Dann spricht Katharina Schwab über die Straßenbahn, mit der sie jeden Morgen um vier zum Putzen in die Vereinsbank gefahren ist. Das war viel später, aber manchmal geraten ihr die Jahre ein bisschen durcheinander. Kein Wunder, was sind schon ein paar Jahre gegen ein Leben, das 1913 begann?

Es war oft ruppig zu ihr, dieses Leben, trotzdem sieht man Katharina Schwab ihre 97 Jahre nicht an. Sie hat einen sehr wachen Blick, den sie hinter einer Goldrandbrille durch ihr Pflegeheimzimmer in München wandern lässt, sie grüßt freundlich, dann erzählt sie ihre Geschichte. Wie sie den Krieg überlebt und ihre Kinder durchgebracht hat. Ganz alleine.

Fast sieben Millionen mehr Frauen als Männer gab es 1945 in Deutschland, sie wurden Kriegerwitwen genannt oder Trümmerfrauen, aber nie Alleinerziehende. Dass viele von ihnen Kinder hatten, die sie durchbringen mussten, war Nebensache. Für die Frauen aber war es oft die Hauptsache. "Die sind alle was geworden, dafür habe ich gesorgt", sagt Katharina Schwab. Manchmal mehr als für sich selber, sagen ihre Kinder.

Alles fing im Jahr 1939 an. "Meier", so nennt sie ihren ersten Mann nur, wurde nach Frankreich abkommandiert; sie blieb in Mannheim, mit ihrer vierjährigen Tochter Anneliese und Rudi, der erst eineinhalb war. "Die hatten nicht viel von ihrem Vater", sagt Katharina Schwab, "das war schon ein Leid". Als sie dann erzählt, wie die Stadt bombardiert wurde und wie sie ihre Kinder in Sicherheit brachte, wie Menschen im Luftschutzkeller übereinander trampelten und wie sie Anneliese und Rudi beschützt hat vor denen, die selber Schutz suchten, da versagt ihr die Stimme. Die alte Dame sinkt in den Rollstuhl, zwischen Fotos ihrer Kinder und Enkelkinder und Urenkelkinder, und fängt an zu weinen.

Sie fasst sich wieder, und dann geht es über Umwege in den Odenwald. Dort landete die ausgebombte Familie auf einem Bauernhof. "Die Kinder waren gut versorgt", erinnert sich Katharina Schwab, das war für sie das Beste an dieser Zeit: Sie konnte Rudi und Anneliese auf dem Hof alleine lassen, sie haben gespielt und Beeren gesammelt und Obst, das sie für ein paar Pfennige an die Mostpresse verkauften. "Das war einfacher früher, alle hatten ein Auge auf die Kinder." Sie selbst hatte ja keine Zeit, sie musste auf dem Feld arbeiten und füttern und Kühe melken und dann auch noch den Haushalt bestellen. "Man kann sich nicht vorstellen, wie ich geschuftet habe", sagt sie, aber die Kinder mussten ja essen, und die Familie hatte nichts außer der Unterkunft im Odenwald - vor allem nicht, nachdem Meier zum letzten Mal weggeradelt war.

Katharina Schwab erinnert sich noch gut an die harte Zeit, als sie ihre Kinder nach dem Krieg allein durchbringen musste. (Foto: Foto: Alessandra Schellnegger)

Im Jahr 1945 wurde er in Crailsheim stationiert, 100 Kilometer von der Familie entfernt. Das nahm er mit dem Fahrrad auf sich. Aber die Stadt wurde ihm zum Verhängnis: An einem Tag im Mai, unmittelbar vor Kriegsende, wollte er sich am Hauptbahnhof eine Suppe holen. Da traf eine Bombe das Gebäude, Meier wurde verschüttet. Ein Kamerad brachte Katharina Schwab die Gewissheit in den Odenwald: Von jetzt an war sie endgültig alleine mit den Kindern, ein Schicksal, das sie mit Hunderttausenden Frauen verband. "Das Wort alleinerziehend haben wir nicht benutzt", sagt sie. Das Wort "Ein-Eltern-Familie" kennt sie nicht einmal, es entlockt ihr nur einen fragenden Blick. Heute noch beschwert sie sich nicht gerne. "Es ging damals allen schlecht", sagt sie, alle hätten gehungert und gefroren und immerhin sei es keine Schande gewesen, als Frau mit Kindern alleine dazustehen. "Es gab viel gegenseitige Hilfe." Aber natürlich, räumt sie ein, wäre es mit dem Überleben leichter gewesen, wenn sie einen Mann an der Seite gehabt hätte: "Dann hätten wir die Kinder zu zweit satt gekriegt."

Nach Kriegsende gelangte sie über Umwege schließlich nach München. Die Kinder gingen dort zur Schule, "und wenn sie heimkamen, hab' ich immer etwas auf den Tisch gebracht", sagt Frau Schwab, sie ist heute noch stolz darauf. Sie musste sich dafür ja auch alles Mögliche einfallen lassen: ist putzen gegangen und hat Näharbeiten erledigt, hat zusammengekratzt, was sie im Haus finden konnte und hat das auf dem Land gegen ein paar Eier und Fett eingetauscht.

Aber dauerhaft hat sie es nicht geschafft - nicht, weil sie zu schwach war, sondern weil sie kein Mann war. "Die beiden haben sich so sehr einen Vater gewünscht", sagt Katharina Schwab. Sie weiß noch, wie ihr Sohn das Viertel auf der Suche nach einem Mann für sie durchstreift hat und wie er fündig wurde, in einer Werkstatt um die Ecke. "Ich habe für meine Kinder noch einmal geheiratet", sagt Frau Schwab. Sonst spricht sie nicht so gerne über ihren zweiten Mann. Nur so viel verrät sie: Dass sie ihm zwei Töchter zu verdanken habe und dass er sehr streng gewesen sei, dass es für die Älteren oft schwer war mit ihm. "Und trotzdem, es war besser als alleine."

Antje M., 68, musste nach einer gescheiterten Ehe viele Dinge noch einmal von vorne beginnen.

Wenn Antje M. davon erzählt, wie es war, drei Jungen ohne Vater aufzuziehen, alle Entscheidungen alleine zu fällen und dabei gerade eben finanziell über die Runden zu kommen, ist keine Klage, kein Vorwurf und kein Groll zu hören. Vielmehr überwiegt der Stolz auf ihre Kinder - und manchmal, für einen kurzen Augenblick, klingt auch ein wenig Überraschung über sich selbst mit. Nach ihrem Lehramtsstudium hatte sie sich elf Jahre lang um die Kinder gekümmert. Als dann ihre Ehe scheiterte, musste sie sich eine neue Anstellung suchen und wusste nicht einmal, wie eine Banküberweisung funktioniert. Geldangelegenheiten seien nichts für Frauen, hatte ihr Vater immer gesagt, und auch ihr Ehemann hatte ihr keinen Zugriff auf das Konto genehmigt.

Resigniert hat Antje M. trotzdem nie, nicht als sie schwanger wurde und mit Unterstützung ihrer Mutter das Studium durchzog, nicht als ihre Ehe zerbrach und ihr Mann sie mit den Söhnen alleine ließ. Für Antje M. stand fest, die Kinder sollten nicht darunter leiden. Wenigstens auf einen sollten sie sich verlassen können - wenn schon nicht auf den Vater, dann umso mehr auf die Mutter. Eine Stelle als Lehrerin fand Antje M. nicht mehr und so arbeitete sie als Sachbearbeiterin, halbtags, damit sie Mittags zu Hause war, wenn die Söhne aus der Schule kamen. Trotzdem plagte sie immer das schlechte Gewissen, nicht genug Zeit für die Kinder zu haben.

"Den Alltag haben wir im Laufe der Zeit ganz gut geregelt", erinnert sie sich. Die Söhne halfen beim Einkaufen und machten Reparaturen in der Wohnung. Doch jede Ausnahmesituation wurde zum Problem. Dazu zählten auch die Schulferien. Antje M. konnte sich nicht so viel Urlaub nehmen. Verwandte und Freunde halfen dann oft aus und luden die Kinder zu sich ein. Dafür ist Antje M. ihnen heute noch dankbar.

Von ihrem Wohnzimmer aus blickt die 68-Jährige auf grüne Hügel. Seit knapp drei Jahrzehnten lebt sie hier in Nordhessen, fühlt sich längst zu Hause, kennt viele Nachbarn und hat enge Freunde gefunden. Im Bücherregal stehen Fotos ihrer Söhne und Enkeltöchter. "Keinen Gesprächspartner zu haben, mit dem ich meine Sorgen um die Kinder teilen konnte, das war anstrengend", erinnert sie sich. Doch wenn sie zurückblickt, sieht sie auch positive Seiten. "Es war auch ein Gewinn an Selbstständigkeit und Unabhängigkeit", sagt sie. Das erste selbstverdiente Geld war "etwas Sagenhaftes." Es war nur ein kleines Gehalt, doch sie allein konnte darüber bestimmen.

Als sie vor fünf Jahren in Rente gegangen ist, hatte sie erstmals ein wenig Angst davor, so viel freie Zeit zu haben. Doch nun genießt sie es. Die Beziehung zu ihren Söhnen ist immer noch eng. Zu ihrem 60. Geburtstag haben die drei ihr eine gemeinsame Reise geschenkt. "So schlimm kann die Zeit damals für sie dann auch nicht gewesen sein", sagt sie und lacht. Inga Rahmsdorf

Erst bezog sie für sich und ihre Tochter Hartz IV, heute kann Diana Schubert, 27, wieder arbeiten.

Tabea, so hat Diana Schubert ihre Tochter genannt, weil die sich unter widrigsten Umständen auf die Welt gekämpft hat. So dramatisch war die Geburt und so gesund das Baby, dass die Mutter an die Jüngerin Tabea denken musste, die im Neuen Testament vom Tod auferweckt wird. "Tabea, die lässt sich nicht so leicht unterkriegen", sagt Diana Schubert.

Diese Eigenschaft kann der Achtjährigen sicherlich nicht schaden - es gibt denkbar bessere Ausgangsbedingungen für ein Kind in Deutschland als sie sie hat.

Die Mutter war erst 19, als sie schwanger wurde. Ihr Job war auf sechs Monate befristet, den verlor sie nach der Entbindung. Ihren Freund, Tabeas Vater, hatte sie da schon lange verloren. "Ich war alleinerziehend, arbeitslos und viel zu jung", sagt sie. Damals, 2002, gab es in ihrem Dorf auch noch keinerlei Betreuungsmöglichkeiten für Kleinkinder. Drei Jahre lang lebte die Familie von Sozialhilfe und HartzIV. "Erst als Tabea in den Kindergarten kam, wurde es besser", sagt Diana Schubert, ein "Riesenglück" habe sie gehabt.

"Riesenglück", das Wort benutzt die 27-Jährige häufig, wenn sie von ihrem Leben mit der Tochter erzählt. Oft lacht sie dabei, dann funkelt auf ihrem Eckzahn ein Strass-Steinchen. Seit sieben Jahren wohnt sie in Donauwörth in einer Dreizimmerwohnung mit bunt zusammengewürfelten Möbeln und viel Spielzeug im Wohnzimmer. Auf dem Sofa liegt Tabea und ist entschlossen, sich vom Nintendo-Spiel nicht unterkriegen zu lassen.

Ihre Mutter hat sie gerade vom Hort abgeholt, gleich nach der Arbeit. Mit dem Job hat sie, so sagt sie, "auch Riesenglück" - weil die Arbeitszeiten so flexibel sind, dass sie um 16 Uhr nach Hause kann. "Wenn die Firma mitzieht, ist es möglich, Kind und Job zu vereinbaren." Das Problem lag für Diana Schubert eher darin, die Arbeit erstmal zu finden. Jedes Vorstellungsgespräch mündete ja irgendwann in der Frage, was sie als Alleinerziehende machen würde, wenn ihr Kind krank sei. Aber da konnte sie sagen, dass ihre Mutter ihr hilft und manchmal Tabeas Vater.

Inzwischen arbeitet Diana Schubert 30 Stunden die Woche als Buchhalterin, Tabea geht in die zweite Klasse und in den Hort. "Sie geht da gerne hin", sagt die Mutter, trotzdem müsse sie oft aufpassen, sich kein schlechtes Gewissen einreden zu lassen - von denen, die fragen, ob das nicht ein bisschen früh sei: So ein junges Kind, so wenig zu Hause. "Ich denke nicht, dass ihr das schadet", sagt Diana Schubert. Jammern liegt ihr nicht so.

Nicht mal beim Geld. Im Schrank im Wohnzimmer stehen zwei Spardosen. Tabea stellt sich auf Zehenspitzen, zieht eine aus dem Regal und zeigt, wie schwer sie ist. "Für den Urlaub", sagt sie, immer wenn sie ein paar Euro bekommt, wirft sie sie ein. "Wir sammeln für eine Woche am Gardasee", erklärt ihre Mutter. Eigentlich wollten sie ans Meer, aber dann kam eine Stromnachzahlung, 433 Euro. Das sind drei Euro mehr, als die Familie im Monat zum Leben hat: Abzüglich Miete und Hortgebühr bleiben 430 Euro. "Das ist eng, aber als Buchhalterin bin ich es gewohnt, aufs Geld zu achten", sagt sie. Da könne Tabea eben nicht reiten, aber sie turnt, das ist günstiger.

Was sich Diana Schubert trotz allen Glücks wünschen würde? "Dass der Hort günstiger wäre", sagt sie sofort, 170 Euro koste der im Monat. Dann erinnert sie an die Alleinerziehenden, denen der Vater keinen Unterhalt zahle und denen der Chef nicht entgegenkomme: Die bräuchten viel flexiblere Kinderbetreuung, auch abends und am Wochenende, meint sie. "Aber das kann ja noch kommen, seit Tabeas Geburt ist auch schon viel passiert."

© SZ vom 11.05.2010/che - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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