Report:Wirb langsam

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Testimonials in der Endlosschleife: Ohne Prominente geht in der Werbung heute kaum noch was. Aber es sind immer dieselben. Ab wann nervt ein Gesicht?

Von Angelika Slavik und Jan Stremmel

Da lachen sie, die Journalisten. Der Mann auf der Bühne hat Elyas M'Barek gerade als "komplett unverbrauchtes Gesicht" bezeichnet. Bisher haben die 30 Reporterinnen und Reporter brav bei jeder Pointe geklatscht, als wäre der Termin hier keine Pressekonferenz, sondern die Aufzeichnung einer heiteren Samstagabendshow. Aber "komplett unverbraucht", bei der Formulierung müssen sie dann doch prusten.

Der Mann auf der Bühne ist Carsten Schmidt, Chef von Sky Deutschland. Er stellt der Presse an diesem Vormittag in München-Unterföhring das neue Werbegesicht seines Senders vor: Elyas M'Barek. Das Gelächter über den unfreiwilligen Witz will nicht so richtig abklingen, auch der "Fack ju Göhte"-Star muss jetzt grinsen. Der Sky-Chef holt Luft und sagt, mit etwas festerer Stimme: "Also, in der Werbung haben wir Elyas eigentlich noch nirgends richtig wahrgenommen. Deshalb war er unsere erste, zweite und dritte Wahl." Basta.

Schön und gut. Aber die Heiterkeit der Zuhörer an diesem Vormittag hat ihren Grund. Wer Elyas M'Barek in der Werbung wirklich noch nirgends richtig wahrgenommen hat, muss die letzten fünf Jahre mit Augenbinde und Ohrstöpseln durch die Welt gestolpert sein. M'Barek hat aktuell Werbeverträge mit Orangina, Asics und Jeep. Auch die Telekom, McDonald's und Langnese zählen zu den Marken, die mit dem prominenten Gesicht auf sich aufmerksam gemacht haben. Nun soll er also Sky dabei helfen, wegzukommen vom Image als reiner Bundesliga-Sender. In den neuen TV-Clips sitzt M'Barek auf einer Couch in einem weißen Wohnzimmer und schwärmt für das große Angebot an TV-Serien bei Sky: "Genau mein Ding."

M'Barek ist Schauspieler, einer der erfolgreichsten und populärsten des Landes, mit knapp 2,5 Millionen Facebook-Freunden, aber sichtbar ist er zurzeit vor allem als Werbegesicht, als sogenanntes Testimonial. Auch hier spielt er in der obersten Liga. Einer Liga, die sehr klein ist - als Promi-Testimonial kommt überhaupt nur infrage, wer einen Bekanntheitsgrad jenseits von 50 Prozent der Bevölkerung hat. Deshalb teilen ein paar Stars den Markt der Testimonialwerbung quasi unter sich auf. Menschen wie Barbara Schöneberger, Jürgen Klopp oder Manuel Neuer sind die neuen Werbekönige. Sie vertreten nicht nur ein Produkt, sondern eine ganze Produktpalette. Was mitunter zu kuriosen Situationen führt - nicht nur an diesem Vormittag beim Münchner Bezahlsender.

Im vergangenen Sommer etwa druckte der Kicker auf drei Seiten ein Interview mit Nationaltorwart Neuer. Auf die Frage nach seinen Werbepartnern antwortete Neuer mit einem wahrhaftig bemerkenswerten Satz: "Allianz zum Beispiel steht für Rückhalt, wie ich als Torwart auch; Coke Zero steht für das Zu-null, das ich immer schaffen will; Sony für die Schärfe des Bildes, die ich auch benötige." Dieser befremdliche Werbeblock im Interview wurde vom Presserat als "höchst problematisch" eingeschätzt und führte in sozialen Netzwerken vor allem zu einer neuen Frage: Manuel Neuer, geht's eigentlich noch?

Für Unternehmen ist Werbung mit Prominenten ein Balanceakt, zwischen größtmöglicher Aufmerksamkeit und totaler Beliebigkeit. Aber es ist ein Balanceakt, den immer mehr Firmen auf sich nehmen: Anfang der Neunzigerjahre hatten einer Studie zufolge etwa drei Prozent aller deutschen TV-Spots ein prominentes Testimonial. Heute sind es 16 Prozent. In den USA, die Deutschland in dieser Entwicklung um einige Jahre voraus sind, greift bereits jeder vierte Werbeclip auf ein bekanntes Gesicht zurück. Dort sind auch die Preise auf einem anderen Level: Der Basketballstar LeBron James erhält für einen siebenjährigen Werbevertrag mit Nike satte 90 Millionen Dollar. Der ehemalige Boxweltmeister George Foreman bekam für seinen Werbedeal mit einem Grillhersteller sogar 137 Millionen Dollar - ein Rekordhonorar für einen Vertrag auf Lebenszeit.

Die Frage ist: Kann sich das rechnen? Denn auch die deutschen Promi-Werbekönige bekommen stolze Honorare für ihre Leistung. Ein Branchenkenner schätzt, dass M'Barek für die Sky-Spots etwa 700 000 Euro pro Jahr bekommen dürfte - je nachdem, wie viele Events und Werbeauftritte inklusive sind. Die TV-Clips jedenfalls wurden an drei Tagen gedreht.

"Klar kann sich das rechnen", sagt Ruben Mosblech. Seine Agentur Celebrity Performance berät Unternehmen, die mit Prominenten werben wollen. Welcher Star passt am besten? Denn genau diese Frage sei die wichtigste. "Es kommt auf den perfekten fit an", sagt Mosblech. Die Attribute, die die Öffentlichkeit dem Prominenten zuschreibt, müssen zu dem passen, was die Marke sich wünscht.

Christian Rätsch ist der Chef der Werbeagentur Saatchi und Saatchi. Er ist verantwortlich für den Auftritt der "Tatort"-Schauspieler Axel Prahl und Jan Josef Liefers in den Werbespots für Toyota. Werbung, sagt Rätsch, müsse heute ganz anders konzipiert werden als früher. "TV-Spots waren lange etwas Lästiges, eine Unterbrechung des Programms, das die Leute eigentlich sehen wollten." Heute versuche man, die Werbung zur eigentlichen Unterhaltung zu machen. "Das Ziel ist, etwas zu kreieren, worauf die Menschen wirklich Lust haben: entweder weil es lustig ist, oder weil es nützliche Information bringt." Der Einsatz des populären Ermittlerduos in den Spots für Toyota sei dabei hilfreich, denn der Auftritt von Prominenten bringe immer ein großes Maß an Aufmerksamkeit - "und wenn die Kampagne dann auch noch die richtige Botschaft transportiert, ist das schon eine Menge wert", sagt Rätsch. Die richtige Botschaft? Im Fall von Toyota wollten die Strategen das Auto als gleichermaßen sportlich wie sparsam positionieren: Eigenschaften, die sich in den Tatort-Charakteren von Liefers als eitlem Rechtsmediziner Boerne und Prahl als bodenständigem Ermittler Thiel wiederfänden. Die Strategie ist aus Sicht der Werbestrategen aufgegangen: Acht Millionen Mal seien die verschiedenen Liefers-und-Prahl-Videos online angesehen worden: "Das sind alles Menschen, die nicht dazu genötigt wurden; die wollten das bewusst ansehen. Das bedeutet eine enorme Werbewirkung", sagt Rätsch. Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts IMAS erinnern sich Menschen messbar stärker an Marken, die mit Prominenten werben.

Rätsch erklärt die strategischen Überlegungen einer Testimonialkampagne. Da sei zum einen der erhoffte Image-Transfer: Die guten Attribute, die viele Menschen den Prominenten zuschreiben, sollen auf das beworbene Produkt abfärben. "Die Kunden unterstellen zudem automatisch, dass ein Prominenter, der ein Produkt bewirbt, dieses Produkt auch selbst verwendet." Das kann bei der Kaufentscheidung den Unterschied ausmachen, denn ein Star gibt sich nur mit dem Besten zufrieden, richtig? Zusätzlich helfen bekannte Testimonials dabei, die Bekanntheit eines Produkts rasch zu steigern; die Videos mit Prominenten verbreiten sich weitaus schneller in den sozialen Medien - und Klicks sind längst die härteste Währung in der Werbebranche.

Es rechnet sich also, für die Unternehmen. Rechnet es sich auch für den Künstler? Wie wählt man aus, welche Marke zum eigenen Image passt - und nicht schadet? Elyas M'Barek sitzt an einem Tisch irgendwo im Sky-Gebäude, überlegt kurz und sagt dann: "Ich glaube, man muss sich auch klar darüber werden, wofür man selbst als Marke steht - und wofür man dann glaubwürdig werben kann." Er würde zum Beispiel nie für ein Tabakunternehmen werben, Alkohol wäre im Moment auch schlecht. "Ich erreiche viele echt junge Leute, die beobachten sehr genau, was ich tue. Und ich möchte ehrlich gesagt nicht der Typ sein, der Jugendlichen eine Flasche Bier hinhält und sagt: Hier, trink mal." Er habe deshalb schon einige lukrative Angebote abgelehnt. Und er achte darauf, seine Präsenz als Werbegesicht schön gleichmäßig zu verteilen: Die Spots für Sky laufen im Fernsehen, der für Langnese lief im Kino, die Werbung für Jeep wird nur über Social Media gespielt, Orangina wirbt mit M'Barek nur auf Plakaten. "Ich mache ja auch nicht fünf Filme im Jahr", sagt M'Barek, "sondern maximal zwei. Man muss den Zuschauern auch mal die Zeit geben, durchzuatmen und sich aufs nächste Projekt zu freuen. Das ist mit Werbung auch so."

Tatsächlich ist übermäßige Präsenz schädlich. Sowohl für das werbende Unternehmen als auch für den Star. Sie ist eines der großen Risiken, die der Einsatz von prominenten Gesichtern mit sich bringt. Während früher eine eiserne Regel der Branche lautete, "nicht mehr als drei Produkte pro Promi", sind viele Stars heute längst in andere Dimensionen vorgestoßen. Helene Fischer zum Beispiel bewarb in den vergangenen Jahren unter anderem Kräuterbutter von Meggle, Haarfärbemittel von Garnier, Autos von Volkswagen, ihre eigene Kollektion bei Tchibo, ihre eigenen Parfums bei Douglas. "Sie ist stark gefährdet, es zu übertreiben", sagt einer aus der Branche, "die Menschen können sich so viele Botschaften zu einem Prominenten ganz einfach nicht merken." Wear- out-Effekt nennen die Strategen das: Wenn die Werbewirkung eines Stars durch übermäßigen Einsatz immer stärker nachlässt. Zu seinen besten Zeiten war etwa Franz Beckenbauer für viele sehr unterschiedliche Produkte im Einsatz - einst wechselte er sogar als Werbefigur von E-Plus zum Konkurrenten O2. Und nahm den Claim gleich mit: "Ja, is' denn heut' scho' Weihnachten?"

Seit den Enthüllungen über die WM-Vergabe 2006 ist Beckenbauer als Testimonial nicht mehr gefragt. Und da liegt auch eines der größten Risiken beim Einsatz von Prominenten: Ein Skandal kann das Image eines Stars mit einem Schlag grundlegend ändern - und der gewünschte Image-Transfer ist plötzlich schädlich. Tiger Woods zum Beispiel, einst der beste Golfer der Welt, erlebte so einen Wandel 2009. Damals wurde eine beeindruckende Zahl an außerehelichen Affären bekannt. Das Ende des sorgsam gepflegten Bildes vom Saubermann war doppelt teuer: Die Ehegattin bekam bei der Scheidung einen kolportiert dreistelligen Millionenbetrag als Abfindung, und zahlreiche Unternehmen kündigten die üppig dotierten Werbeverträge. Unglücklich war auch die Wahl von Opel, den Fußballspieler Marco Reus zum Mittelpunkt einer Kampagne zu machen: Der fuhr jahrelang ohne gültigen Führerschein, wie sich vergangenes Jahr herausstellte. Autsch.

Petra Mikloweit muss am Telefon lachen, wenn sie sich an die Geschichte erinnert - ein Parade-Fehlgriff in der Testimonialwerbung. Mikloweit ist Geschäftsführerin der Firma Brands and Talents, sie vertritt Prominente, die als Markenbotschafter arbeiten. Unter anderen die Moderatorin Barbara Schöneberger - laut Marktforschung eines der glaubwürdigsten Testimonials überhaupt. Schöneberger wirbt beispielsweise für Haarpflegeprodukte von Garnier, für elektrische Zahnbürsten von Oral-B und Kartoffelsalat von Homann. "Das funktioniert hervorragend", sagt ihre Werbemanagerin Petra Mikloweit. Natürlich sagt sie das. Aber warum funktioniert es? "Man glaubt Barbara Schöneberger einfach, dass sie Kartoffelsalat mag. Der Verbraucher erkennt sie in der Werbung so wieder, wie sie auch sonst ist. Deshalb ist sie auch erfolgreicher als andere."

Glaubwürdigkeit über alles. So sieht es auch Ruben Mosblech, der Unternehmensberater in Testimonialfragen. Und gerade bei Mittelständlern raufe er sich regelmäßig die Haare. Reiner Calmund für das Portal fluege.de oder Heiner Lauterbach für das Möbelhaus Who's Perfect werben zu lassen, hält er für klare Fehlentscheidungen - und die Marktforschung bestätige seine Einschätzung. Beide Kampagnen wirkten auf Verbraucher nicht gut. "Ganz ehrlich", sagt Mosblech, "wer will schon gerne im Flugzeug neben jemandem wie Reiner Calmund sitzen?"

Auf der Sky-Pressekonferenz mit Elyas M'Barek muss natürlich irgendwann diese Frage kommen: Schaut der Schauspieler denn auch wirklich selbst Serien über Sky? M'Barek nimmt das Mikrofon in die Hand und sagt: "Ich muss Fan von einem Produkt sein, um dafür zu werben. Oder mir vorstellen können, Fan davon zu werden. Und bei Sky ist das der Fall." Im Übrigen, fügt er grinsend an, habe er bis vor Kurzem auch gedacht, dass der Sender nur Fußballspiele sende.

Aber man lernt ja nie aus.

© SZ vom 09.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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