Selbst damals, Anfang der Achtzigerjahre, grenzte es an ein Wunder, dass ein Historienschinken, der mit einem solchen Übermaß an postmoderner Texttheorie und profunder kulturgeschichtlicher Gelehrsamkeit gespickt war, zum Weltbestseller avancieren konnte. Zumindest das Lesepublikum war noch kaum gewöhnt an die ironischen Maskenspiele der Pop-Literatur, als Umberto Eco mit "Der Name der Rose" das neben Patrick Süskinds "Das Parfüm" erfolgreichste und wirkmächtigste Buch schrieb, in dem sich der Zeitgeist ausformulierte. Der bis dahin auf larmoyante Innerlichkeitsprosa abonnierten Gegenwartsliteratur gab Eco eine neue Richtung, indem er das Individuelle und das Allgemeine in ein anderes Verhältnis setzte und die Historie als Echoraum des Nachdenkens über die Gegenwart rehabilitierte.
Dabei ist "Der Name der Rose" mit seinem barocken philosophischen und philologischen Überbau im Grunde ein Meta-Roman, ein Stück Lesestoff gewordene Theorie. Das Werk ist voller Vorbedingungen, voller intertextueller Beziehungen - und brachte daher alles andere mit als die idealen Voraussetzungen für einen Blockbuster.
Hauptsächlich Schriftsteller, nebenher Professor? Es war umgekehrt
Es war eben nicht nur der unwiderstehliche "Drang, einen Mönch zu vergiften", der den damals immerhin schon 48-jährigen Eco dazu bewog, als Romancier zu debütieren. Vielmehr wollte er nichts Geringeres, als den idealen postmodernen Roman zu schreiben, wie er in der "Nachschrift zum ,Namen der Rose'" ausführt - einem kleinen, nachgereichten selbstexegetischen Bändchen, das Eco 1983 dem italienischen Original von "Der Name der Rose" (1980) hinterher schickte.
Häufiger liest man jetzt, Eco sei ein Schriftsteller gewesen, der im Nebenberuf Philosophie und Linguistik lehrte. Dabei war es genau umgekehrt. Vor Erscheinen von "Der Name der Rose" kannte man im universitären Umfeld seinen Namen durch einschlägige Werke zur Sprachphilosophie.
Der italienische Vorposten virulenter Denkrichtungen
Eco unterrichtete an der als links geltenden Universität von Bologna Semiotik und war, beeinflusst vom "linguistic turn" in der Philosophie einerseits und vom französischen Strukturalismus andererseits, so etwas wie der italienische Vorposten der seinerzeit angesagten und virulenten Denkrichtungen.
Als Theoretiker war er ein absolut schwindelfreier Akrobat auf dem Hochtrapez der Begriffsarbeit. Doch so mühelos er sich in der dünnen Luft der Abstraktionen zu bewegen verstand - seine Gedankenflüge waren stets abgesichert durch ein Wissen von enzyklopädischer Breite, als wäre er ein wiedergeborener Renaissance-Gelehrter. Seine universelle Bildung verlieh ihm, gepaart mit einer üppig sprudelnden Beredsamkeit, eine geistige Leichtfüßigkeit, die man lateinisch zu nennen geneigt ist, gäbe es diesen Typus des frei schwebenden, in alle Richtungen sich verströmenden Intellektuellen nicht auch in anderen Kulturen.
Der ebenfalls gerade verstorbene Roger Willemsen war vom selben Schlage - und sein Verlust auch deshalb so besonders schmerzhaft, weil er wie Umberto Eco nicht im Elfenbeinturm zu Hause war, sondern im öffentlichen Diskurs. Der Public Intellectual Eco intervenierte nicht zuletzt als Kolumnenautor in der Tageszeitung.