Zum Tod von Michael Jackson:Eine Vision von Erotik

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Michael Jackson mag als psychisch labiles Riesenkind noch so verwirrt gewesen sein. Doch als Tänzer und Entertainer war er wegweisend.

Jonathan Fischer

Michael Jackson mag als Mann, Afroamerikaner und psychisch labiles Riesenkind noch so verwirrt gewesen sein. Als Entertainer verkörperte er eine reine, hellsichtige Energie. Und er fand gerade deshalb so tiefen Widerhall in der menschlichen Seele, weil er uns tanzend einen Spiegel vorhielt, weil er die Verwandlungen und Verwüstungen der Psyche in einer märchenhaften und jedermann verständlichen Sprache sichtbar machte.

Der junge Michael Jackson: Viel eher ein begnadeter Pantomime als einer, der echten Sex simuliert. (Foto: Foto: Reuters)

Etwa im 1991er Video zu "Black Or White": Jackson tanzt da in weißem Hemd und schwarzer Hose mit Vertretern verschiedener ethnischer Gruppen. Alle tragen ihre Landestracht - und morphen dank neuester Videotechnik ineinander. Bis ein Schnitt zum Regisseur alles als Studiotraum enttarnt.

Nun wird das Video schwarz-weiß: Graffitis wie "Hitler lebt" und "Ku Klux Klan an die Macht" sind auf Fensterscheiben geschmiert und Jackson stößt als Gefangener eines Albtraums langgezogene Schreie aus. Er schleudert Mülltonnen gegen Fensterscheiben, steppt in wildem Furor und verwandelt sich schließlich von einem wütenden Mann mit der Hand am Gemächt in einen großen schwarzen Panther.

Harmoniesüchtig und verzweifelt

Männlich und weiblich, harmoniesüchtig und verzweifelt, autoerotisch und animalisch aggressiv: Michael Jackson vermochte all diese vermeintlichen Gegensätze in sich und uns auszuspielen. Kein Wunder, dass ihn der afroamerikanische Kulturkritiker und Theologe Michael Eric Dyson als "Repräsentanten einer postmodernen Form afroamerikanischer Spiritualität" erkannte.

Es ist dieser säkularisierte Kern afroamerikanischer Religion, der im Entertainer Michael Jackson offenbar wurde. Der aus einem Tanz mehr machte als Akrobatik und seine Choreographien zu einer Art schwarzer Geschichtsschreibung werden ließ. Jackson stand schließlich fest in der Show-Tradition seiner Vorbilder James Brown und Jackie Wilson. Und er bediente sich - ohne den offen homosexuellen Rock'n'Roll-Mann jemals namentlich zu nennen - beim schwulen Cabaret des stets mit gepudertem Gesicht, geschminkten Lippen und divenhaften Gospelschreien auftretenden Little Richard. Er integrierte die Breakdance-Bewegungen New Yorker Ghetto-Jugendlicher ebenso in seine Performance wie die klassischen Step-Künste von Bojangles und Sammy Davis.

Eine Vision von Erotik

Michael Jacksons Songtexte mögen zu vernachlässigen sein. Seine Choreographien jedoch gaben dem schwarzen Körper als dem "verachteten Anderen" seine Würde zurück, entwarfen eine Vision von Erotik, die sich nicht in den traditionellen Kategorien des Machismo erschöpft. Als er 1983 im Rahmen einer "25 Jahre Motown"-Sondersendung das erste Mal den "Moonwalk" aufs Parkett legte, waren 50 Millionen Fernsehzuschauer weltweit hypnotisiert. Nicht nur glitt der Popsänger scheinbar schwerelos und puppenhaft über den Schirm.

Er erinnerte daran, dass seelische Befreiung in den Kirchen Afroamerikas auch eine körperliche Sache ist, dass die Ketten der Sklaverei immer wieder wortwörtlich abgeschüttelt werden müssen. Auch wenn es vordergründig um Boy-Meets-Girl-Dramolette ging: Mit der Piepsstimme des gerade einmal grundschulreifen Leadsängers hatte Jackson bereits einen Geschmack seiner durchschlagenden Bühnenwirkung erhalten.

Auf der nächsten Seite: Wie Michael Jackson mit Hüftschwung, Tritten á la Mr. Dynamite und selbstbewusstem Schulterzucken seine Sexualität in Szene setzte.

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Spiel mit maskulinen Klischees

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Vielleicht weiß ein Zehnjähriger noch nicht, was sein "Baby" wirklich braucht. Aber Hüftschwung, Tritte á la Mr. Dynamite, selbstbewusstes Schulterzucken setzten bereits damals Sexualität in Szene. Sekundiert von den synchronen Bewegungen seiner Brüder gab Jackson Jugendliche und Männer. Spielte mit maskulinen Klischees. Und war viel eher ein begnadeter Pantomime als jemand, der wirklichen Sex simulierte: Die Jackson Five hatten anders als die Temptations oder die Four Tops nichts mehr mit den fettigen Garderoben, dem Schweiß und der Schmuddel-Aura des Chitlin' Circuit am Hut. Sie repräsentierten vielmehr Motown-Boss Berry Gordys Traum: Das Gesicht des makellosen, sexuell unberührten, vom weißen Mainstream goutierten Afroamerika.

"Die wahre erotische Potenz", schrieb die Kritikerin Margo Jefferson einmal, "offenbarte sich dabei immer in seiner Stimme und den Bewegungen des Körpers". Dass diese Stimme und dieser Körper jahrelang alle Regeln brach, die für schwarze Männer bestehen, nötigte selbst Jacksons Verächtern einen gewissen Respekt ab. Der Showman hatte über den Tanz einen indirekten Weg gefunden, seine Sexualität zu leben. Als androgyner Popstar gelang es ihm, die Phantasie eines von sexuellen, rassischen und menschlichen Makeln befreiten Menschen in seinen Videos zu transportieren.

Er war, wie er selbst zugab, von Perfektion besessen. Manche Bewegungen hat er stundenlang geübt, bis sie passten. Und manchmal gelangen ihm die Momente, in denen alles zusammenkam: Auf "Thriller" etwa. Da gibt die Disco-Rock-Produktion von Quincy Jones dem Tänzer einen Steilpass. Und Jacksons Füße nehmen eine Geschichte auf, die das Video im Märchenstil weitererzählt: Als große Metapher von Gut und Böse, Mann und Weib. Und ihrer Versöhnung in einem, dem eigenen Körper. "Ich habe nicht darum gebeten", sagte Michael Jackson einmal im Interview, "singen und tanzen zu können. Aber sobald ich den Mund aufmache, lässt Gott Musik aus meinem Körper."

© SZ vom 27.6.2009/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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