Zeitgeschichte:Die Zwiebel, die Tomate

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Die französische Schauspielerin und Regisseurin Marceline Loridan-Ivens schreibt einen Brief an ihren Vater, der in Auschwitz ermordet wurde: "Und du bist nicht zurückgekommen".

Von Alex Rühle

Ein Text, der um einen gelöschten Text kreist. Um ein schwarzes Loch, das sich auftut zwischen der Anrede und der Verabschiedung: "Mein liebes kleines Mädchen", hat der Vater geschrieben und am Ende unterschrieben mit "Schloime". Ein Überlebensgruß an die Tochter, die mit ihm aus Frankreich deportiert worden war. Er war nach Auschwitz gekommen, die 16-jährige Tochter ins drei Kilometer entfernte Birkenau. Eines Tages tauchte ein Elektriker auf, um die Glühbirne in Marcelines Baracke auszuwechseln. Er hatte den Brief unter Lebensgefahr herübergeschmuggelt, "ein Stück Papier, nicht glatt, an einer Seite eingerissen", sie sieht es bis heute vor sich, sogar die Schrift sieht sie noch genau, "deine nach rechts geneigte Schrift, vier oder fünf Sätze". Nur was ihr Vater ihr geschrieben hat damals, hat sie sofort nach dem Lesen wieder vergessen. "Es bleibt mir davon nur Schloime und sein liebes kleines Mädchen. Sie sind zusammen deportiert worden. Du nach Auschwitz, ich nach Birkenau."

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