Burgtheater Wien:Wachgeküsst

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Nein, das sind nicht die Heiligen Drei Königinnen, sondern (von links) Marie-Luise Stockinger, Andrea Wenzl und Dörte Lyssewski in "Lärm.Blindes Sehen.Blinde sehen!" von Elfriede Jelinek. (Foto: Matthias Horn)

Nach 307 Schließtagen hat das Wiener Burgtheater wieder den Betrieb aufgenommen - mit Reden zu Afghanistan und mit einer Jelinek-Inszenierung von Frank Castorf.

Von Wolfgang Kralicek

Nicht einmal im theaterverrückten Wien ist es der Normalfall, dass die Spielzeit mit feierlichen Worten des Intendanten und der eigens dafür in Auftrag gegebenen Rede einer Schriftstellerin eröffnet wird. Weil jedoch von Normalfall derzeit keine Rede sein kann, hat sich im Burgtheater genau das am Sonntagmittag zugetragen. Anlass für die Matinee war aber auch nicht einfach nur der Saisonstart, sondern die Wiedereröffnung des Burgtheaters nach 307 Tagen. 307 Tage! So lang war das Gebäude an der Ringstraße in seiner 133 Jahre langen Geschichte noch nie geschlossen; abgesehen von den Nachkriegsjahren, als es zerbombt war (aber da spielte man immerhin in einem Ausweichquartier weiter).

Verantwortlich für die lange Pause war hauptsächlich natürlich der im Herbst vergangenen Jahres verhängte Lockdown; im Mai, als Theaterbesuche wieder möglich waren, blieb das Burgtheater dann freiwillig geschlossen - wegen Renovierungsarbeiten im Zuschauerraum, wo die Bestuhlung erneuert (es gibt jetzt etwas mehr Beinfreiheit) und die Belüftungstechnik modernisiert wurde.

Direktor Martin Kušej sprach in seiner Begrüßungsrede über den 2. November des Vorjahrs, als im Burgtheater die für lange Zeit letzte Vorstellung über die Bühne ging, das Gerichtsdrama "Das Himmelszelt". Es war der Abend, an dem Wien von einem Terroranschlag mit vier Todesopfern erschüttert wurde; wegen der unklaren Sicherheitslage in der Stadt durften die Besucher erst Stunden nach Vorstellungsende das Theater verlassen. Kušej erinnerte daran, dass es am selben Tag auch in Kabul einen Anschlag gegeben hatte, und verband das mit dem Appell, schutzbedürftigen Menschen aus Afghanistan Zuflucht und Hilfe zu bieten - "und zwar nicht irgendwo in den Nachbarländern, sondern bei uns, in Wien, in Österreich".

Als Wiedereröffnungsrednerin wurde die in Teheran geborene und in Graz wohnhafte deutsche Schriftstellerin Nava Ebrahimi engagiert. Sie habe den Job bekommen, weil sie gerade den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen und eine Migrationsgeschichte hat, sagte Ebrahimi in ihrer eleganten, witzigen Meta-Rede, und natürlich erwarte man von ihr jetzt "migrantinnenkonformes Zeug". Sie habe schon überlegt, einfach die Rede zu klauen, die Navid Kermani vor 16 Jahren im Burgtheater zum 50. Jahrestag der Wiedereröffnung nach dem Krieg gehalten hat. Inhaltlich sei sein Text noch aktuell, und sogar ihre Namen seien sich zum Verwechseln ähnlich. "Das wäre das perfekte Verbrechen gewesen."

"Bitte, schminken wir uns jede Form von Überheblichkeit ab": Nava Ebrahimi bei ihrer Rede zur Wiedereröffnung des Burgtheaters. (Foto: Matthias Horn)

In ihrem Was-soll-ich-bloß-sagen-Gestus wirkt die Rede stellenweise ein wenig kokett, dann aber spricht Ebrahimi wieder ganz unverblümt Klartext. Zum Beispiel komme die Politik in Österreich (und anderswo) bei vielen Menschen mit Migrationsgeschichte folgendermaßen an: "Ihr habt es zwar hierhergeschafft, trotz aller Steine, die wir euch in den Weg gelegt haben, also bleibt halt, aber mehr von euch wollen wir nicht, No way!" Und: Spätestens seit Moria und Afghanistan habe der Westen den Anspruch auf moralische Überlegenheit verwirkt. "Bitte, schminken wir uns jede Form von Überheblichkeit ab."

Damit war die Spielzeit offiziell eröffnet. Aber eigentlich hatte die Burgtheatersaison bereits am Vorabend im Akademietheater begonnen, mit Frank Castorfs Inszenierung von Elfriede Jelineks jüngstem Theatertext "Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!". In einem 80, dicht beschriebene Seiten starken Sermon verarbeitet die Autorin alle möglichen Texte und Stimmen, die ihr zum Thema Covid-19 untergekommen oder eingefallen sind. Besondere Beachtung schenkt sie den Zuständen im Tiroler Corona-Hotspot Ischgl und dessen orgiastischem Après-Ski-Treiben. Der in der antiken Mythologie so firmen Jelinek kommt da gleich jene Passage aus der "Odyssee" in den Sinn, in der Odysseus' Männer von der Zauberin Kirke in Schweine verwandelt werden; auch der Skandal um Corona-infizierte Mitarbeiter der Großfleischerei Tönnies liegt dann nahe.

Es spielt ein lebendes Schwein namens Edmund mit, das aber ist keine Rampensau

In der von Karin Beier inszenierten Hamburger Uraufführung war das Bühnenbild ein Skistadl, und es gab einen echten Schweinskopf. In Wien kommt die Bühne ohne Alpinflair aus, dafür spielt nach der Pause sogar ein lebendes Schwein namens Edmund mit (dieses ist aber offenbar keine Rampensau und bleibt scheu im Hintergrund). Einmal blättern die Schauspielerinnen gemeinsam in dem Ischgl-Fotoband von Lois Hechenblaikner, den Jelinek als Quelle anführt. Eine der Sexpuppen, wie sie darin zu sehen sind, wird später auch auf die Bühne gebracht; sie wird jedoch, anders als in Hamburg, nicht aufgeblasen.

Aleksandar Denić hat einen Raum entworfen, der vom riesigen, begehbaren Kopf eines antiken Kriegerdenkmals dominiert wird, über dem sich der Musketier-Wahlspruch "Un pour tous, tous pour un" dreht; ein Bankomat und ein Coca-Cola-Schild vervollständigen das Bild. Große Teile der Handlung aber spielen sich auch in dieser Castorf-Inszenierung im Off ab, werden per Video auf eine Leinwand übertragen: Hinter einer Bretterwand verbirgt sich eine Art Boudoir, in der Unterbühne ist eine Gefängniszelle eingerichtet. Der für Castorf-Verhältnisse relativ kurze Abend (reine Spielzeit: gerade mal drei Stunden) erinnert im Gestus, aber auch inhaltlich an ein René-Pollesch-Stück: Gut gelaunt tänzelt das sechsköpfige Ensemble in oft reichlich bizarren Kostümen (Adriana Braga Peretzki) durch Jelineks Text, den Castorf unter anderem durch Passagen aus "Schwein und Zeit" vom veganen Philosophen Fahim Amir oder eine grausame Inquisitions-Erzählung von Villiers de L'Isle-Adam ("Die Marter der Hoffnung") ergänzt hat.

Es ist ein teils recht disparater und spröder, dann wieder herrlich vitaler und spielerischer Abend. Wie es Jelinek und Castorf nun mit Corona halten, weiß man am Ende immer noch nicht so genau. Der Intendant hingegen lässt da keinen Zweifel aufkommen. Vor Beginn der Vorstellung wird per Band eine Botschaft eingespielt, in der Kušej das Publikum nicht nur an die Maskenpflicht erinnert, sondern auch ganz direkt zur Immunisierung aufruft: "Bitte, lassen Sie sich impfen!"

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