Werbung:Wie die Litfaßsäule die Digitalisierung überlebt

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Ernst Litfaß, Erfinder der gleichnamigen Säulen (hier in Berlin, um 1855), wurde vor genau 200 Jahren geboren. (Foto: epd)

Vor 200 Jahren wurde Ernst Litfaß geboren. Warum gibt es seine Erfindung immer noch?

Von Gerhard Matzig

Den Zylinder trägt er tief in die Stirn gezogen, die Augen blicken den Betrachter grimmig an - und den Spazierstock hält er wie eine Waffe: Es ist gut, dass Ernst Theodor Amandus Litfaß, der an diesem Donnerstag 200 Jahre alt geworden wäre, die Bekanntschaft von "schickiwilli" nicht mehr machen konnte. Gut ist das jedenfalls für schickiwilli. Denn der wollte in der Ratgeber-Community "Gute Frage" vor einiger Zeit wissen: "Kann ich auf einer Litfaßsäule ein Plakat überkleben?"

Der schicke Willi wollte die Welt wissen lassen, dass das Event "Geburtstagsfeier" bei ihm "in der Garage" stattfindet. Litfaß, der im späten 19. Jahrhundert gestorben ist, Druckereibesitzer und Verleger von imposanter Gestalt, wäre angesichts dieses anarchistischen Vorhabens schlicht ausgerastet. Überkleben? Ja geht's noch?

Ernst Litfaß, ein ordnungsliebender (und geschäftstüchtiger) Mensch, ärgerte sich maßlos über all die Plakate und Werbezettel, die in seiner Heimatstadt Berlin an Gartenzäunen, Hauswänden und Bäumen klebten. Immer und immer wieder wurden sie überklebt. Wahllos, regelwidrig, unorganisiert. Und - auch so eine seltsam anarchistische Idee - gratis. Es herrschte der Darwinismus der Werbewelt.

Nicht nur ein architektonisches, urbanes, sondern auch autoritäres Element

Litfaß wollte damit aufräumen und zugleich Geld verdienen. So erfand oder zumindest nachempfand er (nachdem er in London und Paris schon Ähnliches gesehen hatte) das bis heute dominanteste Möbelstück im öffentlichen Raum. Eine Säule, nicht dorisch oder ionisch und schon gar nicht korinthisch, die man auch für ein Denkmal des verlegerischen Genies einerseits und der krämerischen Ambition andererseits halten könnte. Am 1. Juli 1855 wurden in Berlin die ersten 150 "Annoncier-Säulen", die bald Litfaß' Namen trugen, aufgestellt. Von da an stand "wildes Plakatieren" unter Strafe. Die Säule ist, so gesehen, nicht nur ein architektonisches oder urbanes, sondern auch ein autoritäres Element. Weshalb der Philosoph Paul Scheerbart (1863-1915) einst zum Sturm auf die Säulen aufrief: "Zerschlagt sie!"

Das ist nicht geschehen. Allein die Firma Complac Medienservice hält noch 14 567 "klassische Ganzsäulen" im eigenen Bestand. Insgesamt gibt es in Deutschland etwa 50 000 Plakat-Säulen. Die Ganzsäule ist ein direkter Nachfahre der Litfaßsäule. Unten ist sie mit einem Betonsockel ausgestattet, über den sie sich zylindrisch bis zu 360 Zentimeter aufschwingt, um oben von einer Betonplatte bekrönt zu werden, die manchmal wie ein keckes Hütchen aussieht. Würde Schickiwilli in München die Säule an der Arnulf-/Ecke Seidlstraße anmieten, so würde das übrigens 42,80 Euro kosten. Am Tag. In München gibt es nur knapp 900, in Berlin, der Hauptstadt der Litfaßsäule, mehr als 3000 von den rundlichen Werbebotschaftern.

Die Litfaßsäule überlebt die Digitalisierung wegen der Digitalisierung

Vor allem dort, in Berlin, ist immer wieder von unaufmerksamen Fußgängern oder sogar Radlern zu hören, die mit Blick aufs Handydisplay eine so intime wie schmerzvolle Bekanntschaft mit einer Säule schließen. Wobei die Litfaßsäule dem Smartphone paradoxerweise nicht nur die Unfallträchtigkeit, sondern auch das eigene Überleben verdankt. Ist es doch ohnehin sonderbar, dass dieses analoge Stadtmöbel die digitale Ära so gut übersteht. Einst, also vor Radio, Fernsehen und weit verbreiteten Zeitungen, diente es der Information. Man hätte meinen können, dass die Litfaßsäule von der medialen Evolution hinweggefegt wird wie die Dinosaurier.

Doch die Litfaßsäule ist in der Konkurrenz mit anderen Werbeträgern ("MegaLight-Poster", "Panorama-Board", "Großfläche", "Superposter" . . .) nicht nur deshalb erfolgreich, weil sie kleineren Firmen oder Veranstaltungen für - relativ - günstige Preise Aufmerksamkeit verschafft. Sondern die Litfaßsäule überlebt die Digitalisierung gerade auch wegen der Digitalisierung. Denn vor allem das Smartphone macht, wie der Fachverband Außenwerbung weiß, die Menschen immer mobiler. Sie sind mehr unterwegs. Für die "Out of home"-Werbung sei das günstig - wovon wiederum die Litfaßsäule profitiert. Zudem: Immer öfter sieht man Menschen, die - vor einem Plakat an einer Litfaßsäule stehend - den QR-Code (Quick Response) mit Hilfe einer entsprechenden App auf dem Handy scannen. Auch so kommt die Litfaßsäule in der Gegenwart an.

Und weil man sich im Lauf von mehr als 150 Jahren einfach an ihren Anblick im Stadtraum so sehr gewöhnt hat, wird sie mittlerweile sogar imitiert. Als aufblasbare Säule gibt es sie beispielsweise auch in Form eines Gummibärchens oder einer Whiskey-Flasche. Die Litfaßsäule ist grundsätzlich unparteiisch: Mal Bärchen, mal Bourbon; mal wird Dvoráks "Stabat Mater" im Münchner Herkulessaal annonciert, mal die Erotikmesse "Venus" in Berlin. Das alles ist natürlich reiner Konsum-Terror und schiere Aufmerksamkeits-Ökonomie in der bösen Event-Gesellschaft. Eh klar. Davon abgesehen kann man die Litfaßsäule aber auch umarmen. Fast. Zum Beispiel nach sehr viel Bourbon.

© SZ vom 11.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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